IBM Watson Summit 2017 Digitalisierung schlau umgesetzt
Auf dem IBM Watson Summit 2017 in Frankfurt/Main haben führende europäische Unternehmen wie Kone, Lufthansa, Siemens oder Telekom ihre Digitalisierungsprojekte vorgestellt, die sie auf der Basis von Watson realisiert haben oder demnächst vorstellen. Darunter befand sich auch einer der ersten deutschen Chatbots.
Anbieter zum Thema

Die auf dem Watson Summit 2017 vorgestellten Anwender nutzen IBM Watson nicht nur als Expertensystem, das Informationen und Wissen aller Art auswerten kann, sondern auch als Integrationsplattform für die Zusammenführung von Daten unterschiedlicher Art. Watson ist dafür ideal geeignet, denn die Plattform, die in der Cloud bereitgestellt wird, verfügt über mehr als 50 Programmierschnittstellen, beispielsweise zu IBMs IoT-Plattform. Mit Watson Analytics lassen sich dann Methoden von Advanced Analytics anwenden, etwa für Predictive Maintenance.
Kone 24/7 Connected Services
Auf diese Weise setzt der finnische Konzern Kone IBM Watson für seine „24/7 Connected Services“ ein. Kones Rolltreppen und Aufzüge transportieren täglich rund eine Milliarde Menschen, weshalb das Firmenmotto gleichzeitig ein KPI ist: „people flow“. Um diesen KPI perfekt zu gewährleisten, messen Sensoren in jedem Aufzug über 200 Parameter rund um die Uhr das ganze Jahr über. Die Datenmenge, die damit erzeugt wird, eignet sich bestens für das Anlegen und Trainieren von Datenmodellen, die man benötigt, um verlässliche Vorhersagen treffen zu können.
Diese digitale Fernüberwachung im IoT-Bereich ist wie geschaffen für Watson, findet David Schmidt von der deutschen Kone GmbH, um Wartungsdienste anzubieten: Laut Schmidt kann Kone dem Kunden garantieren, dass Aufzüge – und schon bald auch alle Rolltreppen – die größtmögliche Verfügbarkeit aufweisen. Das wäre bei störanfälligen Rolltreppen keine geringe Leistung. Dieser Service heißt „Care 24/7“, der nächste soll 2018 folgen. Denn für den Kunden ist nicht nur Zuverlässigkeit von oberster Priorität, sondern auch Sicherheit, etwa in einem Hotellift. Die Sicherheit der Daten in der Kommunikation wird laut Schmidt von der Telekom und den verwendeten Cloud-Technologien gewährleistet.
Die Praxis im Falle eines Falles: Das Watson-gestützte System schickt Techniker gemäß einer Liste von Prioritäten aus – manche Orte sind eben wichtiger als andere. Außerdem informiert Watson per Sprachausgabe den jeweiligen Benutzer. Produktivität plus Planungssicherheit sind die weiteren Prioritäten für den Kunden. „People Flow“ ist daher nicht nur ein KPI, sondern ein wirtschaftlicher Wert an sich.
Volkswagen We Commerce
Volkswagen hat das Projekt „We Commerce“ auf den Weg gebracht. Die Kunden der Wolfsburger sollen künftig mithilfe eines digitalen Assistenten Empfehlungen unterschiedlichster Art über ihr Handy oder das jeweils bordeigene Infosystem erhalten. Sie erhalten Tipps für das nächstgelegene Hotel, die preisgünstige Tankstelle oder Raststätten in der Nähe ihres Standortes, über freie Parkplätze in der Innenstadt und das Wetter von morgen. Gibt es gerade eine Rabattaktion bei der bevorzugten Waschstraße? Ein Gutschein, vom VW-Assistenzsystem aufs Handy geschickt, dürfte ein Lächeln aufs Gesicht des Kunden zaubern. VW kooperiert als Mobilitätsdienstleister inzwischen mit zahlreichen Partnern.
Auf der technischen Ebene führt Watson Kundendaten mit Daten aus dem Fahrzeug und der jeweiligen Umgebung in kürzester Zeit zusammen. Aus GPS-gestützten Bewegungsdaten lassen sich Profile erstellen, um dem Kunden auf dieser Basis Angebote für die Werktage und fürs Wochenende unterbreiten zu können. Natürlich müssen die Wolfsburger ebenso wie IBM und die Cloud gewährleisten, dass die Kundendaten sicher sind. Der Erfolg der Services (Infos, Buchung, ortsgebundene Dienste usw.) wird anhand der Klickrate und der Konversionsrate gemessen, genau wie im E-Commerce.
Telekom: digitaler Assistent TINKA
Digitale Assistenten sind stark im Kommen, seit die drei sprechenden Musen Alexa, Cortana und Siri die Welt beglücken. Aber hinter jeder Assistentin steckt eine komplexe Infrastruktur, die nicht nur die Datenverarbeitung in Echtzeit, sondern auch Sprachein- und -ausgabe sowie Natural Language Processing umfasst. Die nächste Stufe werden handliche Translationsgeräte sein, die Übersetzungen in Echtzeit liefern, um einen Dialog im Alltag führen zu können. Was vor 30 oder 40 Jahren noch Science Fiction war, wird endlich langsam Realität.
Bei der Deutschen Telekom wird derzeit ein digitaler Assistent mit KI-Fähigkeiten entwickelt. Dr. Jürgen Stegmann, zuständig für Technologie und Innovation, stellte die umfassende Technologieplattform vor, die unter anderem auch Watson nutzt. Das Mensch-Maschine-Interface (HMI) wird ergänzt durch Informationssuche, eine Wissensdatenbank auf Wolfram-Basis, Big Data Analytics sowie Data Management. Wie im Deep Learning musste dieses System, das den Assistenten stützt, monatelang trainiert und getestet werden, doch inzwischen ist „Projekt TINKA“ bei T-Mobile Österreich versuchsweise im Einsatz. In Deutschland werden drei Kanäle für TINKA anvisiert: im Support, im Chat und im Voice-Call.
Siemens: CARL, der kognitive HR-Assistent
Am 4. Oktober konnte das Watson-basierte Siemens-Entwicklungsteam nach nur drei Monaten Ko-Entwicklung mit IBM den ersten in der Industrie genutzten, interaktiven Chatbot in Betrieb nehmen. CARL (Cognitive Advisor for Interactive User Relationship and Content Learning), der seinen Namen vom Sohn des Firmengründers Werner von Siemens entliehen hat, sorgt erst einmal firmenintern als kognitiver HR Advisor für mehr Durchblick in der Personalverwaltung. Er hat eine große Verantwortung: 120.000 Mitarbeiter in Deutschland und Österreich sollen auf sein Wort hören, später nach Möglichkeit sogar alle 350.000 Mitarbeiter weltweit.
Mit CARL sollen Siemens-Mitarbeiter jene für ihre Rolle relevanten und zugänglichen Inhalte finden können, von der Krankmeldung über die Urlaubs- und Reiseplanung bis zu Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen. Anfangs stehen nur vier bis fünf solcher Themen bereit, aber CARLs Architektur ist angesichts so hoher Nutzerzahlen von Anfang an auf Skalierung ausgelegt. Da nicht jedes Land alle Module von CARL nutzen will, ist die Architektur modular aufgebaut. Obwohl – oder gerade weil – CARL, der in die interne Website Landing Page integriert ist, die bisherigen Informationsseiten ablöst, sind bislang „nur“ 70 Prozent der 1.600 Pilot-Anwender mit ihm zufrieden. Dennoch geben sich die Siemens-Entwickler zuversichtlich: In den Schubladen warten rund 20 Chatbot-Projekte auf ihre Realisierung.
KI & Digitalisierung: Chance oder Gefahr?
Was bringt die Digitalisierung und KI-Nutzung der Wirtschaft und letzten Endes der Gesellschaft? In einer Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass die Digitalisierung bislang ganze Geschäftsmodelle und Wirtschaftszweige ins Nirvana gefegt hat. Das Beispiel der Plattenläden und Videotheken ist hinlänglich bekannt, doch seit 2004 wurde auch die gesamte Presse- und Medienlandschaft auf den Kopf gestellt. Christoph Keese vom Axel-Springer-Verlag schilderte anschaulich, wie mittlerweile alle Springer-Modelle, die Disruption aufzuhalten oder wenigstens zu nutzen, gescheitert sind. Nur wer die radikale Transformation durch Integration externer Modelle im Hinblick auf lukrative Use Cases vollzieht, hat offenbar noch eine Überlebenschance. Erich Kallert vom Lift-Hersteller Kone empfahl die konsequente Ausrichtung am Kunden und das Anbieten entsprechender Services. Das vielfach in diesem Zusammenhang benutzte Stichwort lautet „Customer Experience“.
Aber ob die deutsche Gesellschaft schon auf die Digitalisierung vorbereitet sei, fragten die Diskussionsteilnehmer. Die deutsche Volkswirtschaft mag zwar weltweit die viertgrößte sein, aber laut einer gemeinsamen Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) liegt sie in puncto Digitalisierung erst auf dem 17. Platz.
Es liegt noch ein weiter Weg vor der Gesellschaft und neben den First Movern mit Pioniergeist gibt es auch jene, die sich Neuem verweigern und abbremsen. Martina Koederitz, Vorsitzende des Vorstands von IBM Deutschland, wurde konkret: „Es sind die finanziell und technisch schlecht ausgerüsteten Schulen und andere Bildungsstätten einerseits, zum anderen aber auch eine vielerorts noch vorhandene Unternehmenskultur, die auf Hierarchie und Kontrolle setzt.“ Dem sei nur mit Vielfalt, Offenheit und interdisziplinärem Lernen und Arbeiten zu begegnen, so die deutsche IBM-Chefin. „Sie führen zur Fusion von Kompetenzen, wie sie heute gefragt sind.“ Und wie viele der vorgestellten Projekte zeigten, gehören Design Thinking und Scrum-Methoden in der Entwicklung zu diesen Kernkompetenzen. Damit sind kurze Projektlaufzeiten von lediglich drei Monaten bis zum Minimum Viable Product (MVP) zu realisieren.
(ID:44959868)