Industrie 4.0 Robo-Advisor für Druckmaschinen auf Basis von Process-Mining
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Die Druckindustrie, bis vor wenigen Jahren noch überwiegend klein- und mittelständisch geprägt, hat durch die Digitalisierung einen enormen Schub in Richtung Industrialisierung erhalten. Die Heidelberger Druckmaschinen AG (Heidelberg) hat diesen Entwicklungen unter anderem mit der Gründung der Heidelberg Digital Unit (HDU) Rechnung getragen. Unterstützt wird das Unternehmen durch die Process-Mining-Technologie des Darmstädter Start-ups Process Analytics Factory (PAF).

Die Heidelberg Digital Unit (HDU) verantwortet das digitale Marketing, eCommerce sowie digitale, innovative Geschäftsmodelle und treibt digitale Innovationen maßgeblich für die Unternehmensgruppe weltweit weiter voran. Hierzu gehört die Anbindung von über 13.000 Maschinen in die „Heidelberg Cloud“, dem größten IIoT-Netzwerk der Druckindustrie sowie die Einführung eines Subskriptions-Modells, bei dem Kunden am Beratungswissen der Heidelberg-Experten partizipieren und die Abrechnung sich am Kundennutzen, also dem tatsächlichen Output bzw. der Zahl der bedruckten Bogen, orientiert.
Da „Heidelberg Subscription“ Beratungsleistungen beinhaltet, sind der Skalierung des Modells durch die Kapazität der Experten Grenzen gesetzt. Daher sucht Heidelberg nach Möglichkeiten, die Beratung durch Automatisierung und KI zu unterstützen. Durch die Integration der Process-Mining-Technologie des Darmstädter Start-ups Process Analytics Factory (PAF) in die „Performance Advisor Technology“ (PAT), gelang es Heidelberg, typische Performancemuster für Beratungsansätze automatisiert aufzudecken und die Basis für einen Robotic Advisor zu legen. „PAT“ erkennt eigenständig die Ursachen von Prozessanomalien und schlägt Verbesserungsmaßnahmen vor.
Entscheidet sich ein Kunde für „Heidelberg Subscription“, stellt ihm die Heidelberger Druckmaschinen AG die Maschinen, Verbrauchsmaterialien, Software, Serviceteile und Dienstleistungen zur Verfügung. Die Abrechnung orientiert am Output, das heißt, pro gedrucktem Bogen. Gute Performance liegt somit im gemeinsamen Interesse des Kunden und Heidelbergs.
Rund-um-die Uhr-Zugang
Ein digitales Geschäftsmodell wie Subskription erfordert einen digitalen 24/7-Zugang des Kunden zum Dienstleister. Mit dem Heidelberg Assistant führte das Unternehmen bereits 2016 ein umfassendes Kundenportal ein, welches nun auch die Performance-Services des Kunden abbildet. Nutzer profitieren von umfassender Transparenz und haben Zugriff auf wichtige Kennzahlen, Serviceverträge und Dienstleistungen und haben die Verfügbarkeit und Effizienz ihrer Maschinen direkt im Blick.
Mit dem im Frühjahr 2020 der Öffentlichkeit vorgestellten PAT-System können Kunden ab Herbst 2020 einen weiteren Service innerhalb des Heidelberg Assistant nutzen, der Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Process Mining kombiniert.
Tom Oelsner, COO und Head of Digital Innovation bei der HDU, stand vor folgendem Problem: „Digitale Geschäftsmodelle sind ein großer Erfolg. Doch bei aller Digitalisierung sind Druckprozesse noch immer so komplex, dass eine Prozessoptimierung nur mit dem Wissen von sehr erfahrenen Beratern durchgeführt werden kann. Mit etlichen Terabyte an Daten kamen wir bei der Beratung in der Vergangenheit immer wieder an personelle Grenzen. Die Berater brauchten ein digitales Hilfsmittel, das ihnen die Beratungsarbeit erleichtert. Ein solches Tool gab es noch nicht. So kamen wir auf die Idee, mit der PAF – als besonders forschungsaffinem und innovativem Technologie-Partner – einen Hackathon zu veranstalten.“
HackDays Rhein-Neckar
Für die HackDays Rhein-Neckar 2019 wurden dann von Timo Nolle, CTO der PAF, zunächst 30 ausgewählte Talente aus 13 Nationen im Umgang mit dem Process-Mining-Tool PAFnow geschult. Fünf Teams stürzten sich anschließend für 48 Stunden auf anonymisierte Daten der Heidelberg Cloud. Der Hauptpreis des Hackathons ging dabei an ein Konzept, das mittels Prozessoptimierungen die Produktivität der Heidelberg-Kunden weiter steigern sollte. Hierbei wurde die These getestet, dass es anhand der Identifizierung von Daten-Pattern möglich ist, eine automatisierte Ursachenanalyse zu betreiben. Dieses erfolgreiche Konzept stellte den Ausgangspunkt für PAT dar, das in der Folge über einen Zeitraum von rund zwölf Monaten gemeinsam mit der PAF weiter zu einem voll funktionsfähigen Service ausgearbeitet wurde.
Die Herausforderung unstrukturierter Daten
Tobias Rother, CEO der PAF, sieht die größten Herausforderungen des Projektes im Umgang mit den unstrukturierten Daten: „Klassische Process-Mining-Projekte setzen oftmals etwa auf SAP-Daten auf. Diese Daten sind soweit angereichert, dass unser Process-Mining-Tool hier im Handumdrehen eine Ursachenanalyse betreiben kann und die Lösung des Prozessproblems gleich mitliefert – in der Regel sogar auch gleich löst. Doch Druckmaschinen verfügen über etwa 3.000 Sensoren. Der Prozess ist hochkomplex. Hier helfen keine Standardanalysen mehr. Deswegen haben wir in enger Abstimmung mit dem HDU-Team PAFnow auf die Sprünge geholfen“, so Tobias Rother rückblickend auf die Ausgangslage.
Die Overall Equipment Efficiency (OEE) von Druckmaschinen wird hauptsächlich über drei Parameter definiert. Erster Ansatzpunkt ist die Rüstzeit der Maschine, bis ein sogenannter „Gutbogen“ entsteht, also der erste Bogen, der dem gewünschten Druckergebnis entspricht. Ein zweiter Parameter ist die Ausschussmenge, also die Anzahl verworfener Bögen bis zum optimalen Ergebnis. Zu guter Letzt wird gemessen, wie lange der Druckjob dauert.
„Spannend wird es, wenn man für die Ursachenanalyse einer suboptimalen OEE die entscheidenden Parameter in den Sensordaten sucht. Hierzu braucht es zweierlei: Die Anwendungsexperten, die wissen, wo Prozessprobleme typischerweise ihren Ursprung nehmen – und wie sie oftmals gelöst werden – sowie ein System wie PAFnow, das in tausenden von Daten in hoher Analysegeschwindigkeit Querbezüge herstellen kann“, so Tom Oelsner zu den Besonderheiten des Projektes. Eine weitere Herausforderung war, dass die Anomalien der verantwortlichen Parameter beim Hightech-Druck in der Regel so klein sind, dass sie eigentlich noch im Toleranzbereich der Maschinen liegen. Im Datenmodell von PAFnow werden sie jedoch sichtbar. PAFnow kann messen, an welcher Stelle ein Problem seinen Ursprung hat, wie stark der Effekt ist und liefert Anhaltspunkte dazu, wie man gegensteuern kann. PAT liefert dann als Teil des Heidelberg Assistant eine konkrete Verbesserungsmaßnahme. Anwender erhalten dabei über ein Schulungsvideo Hilfestellung zur Lösung des Problems an der Maschine.
Steile Lernkurve
Für das initiale Setup wurden hierbei zunächst Anwendungsexperten dazu befragt, was typische Probleme sind und wie sie diese lösen. Erkennt PAT ein entsprechende Datenmuster, kommen die vorher definierten Expertenregeln zum Einsatz und es wird eine Empfehlung ausgesprochen. Mit diesen Regeln startet PAT und lernt dann dazu: „Wenn ein User einen Vorschlag umsetzt, beobachtet das Process-Mining-Tool in PAT, ob er tatsächlich etwas gebracht hat, ob sich also die Datenmuster entsprechend verändern. Anschließend wird die Expertenregel auf Basis dieses Feedbacks weiter verbessert“, erklärt Tobias Rother. So lernt PAT über das Feedback von PAFnow deutlich schneller.
Die Künstliche Intelligenz hat derzeit Zugriff auf die Daten von rund 5.000 Maschinen. „Das entspricht ungefähr der 200-fachen Lernbasis im Vergleich zu unseren Anwendungsexperten. Zugleich werden unserer Berater von der Übermittlung von Routinevorschlägen entlastet. Sie können rund doppelt so viele Kunden beraten und sich außerdem auf hochspezifische Problemstellungen konzentrieren. So profitieren alle Beteiligten von PAT“, erklärt Tom Oelsner die Vorteile des neuen Systems.
Im Rahmen des Freemium-Modells des Heidelberg Assistant können alle Anwender kostenlos auf die Benchmarkingfunktion zugreifen und sehen, wo sie bei der OOE-Performance im weltweiten Vergleich stehen. Wer eine Ursachenanalyse für das jeweilige Ranking wünscht, kann diese dann kostenpflichtig hinzubuchen. „Aktuell wird PAT zunächst von ausgewählten Pilotkunden genutzt. Bis zum endgültigen Launch im Herbst wird das System entsprechend schon deutlich hinzugelernt haben. Für mich ist das ein Beispiel für ein Digitalisierungsprojekt, das den Namen auch wirklich verdient. Wir haben gemeinsam mit der PAF eine echte KI geschaffen, die unseren Kunden einen messbaren Mehrwert bringt“, so Tom Oelsners Resümee.
Process-Mining als Schlüsseltechnologie
„Vor allem im IIoT-Umfeld stehen IT-Systeme vor der Herausforderung, aus den enormen Datenmengen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Process Mining zeigt die tatsächlichen Ist-Prozesse und wirkt damit wie ein Röntgenblick. Das hat auch das PAT-Projekt einmal mehr gezeigt“, erklärt Tobias Rother die Rolle von Process Mining im Rahmen von KI-gestützter Prozessoptimierung.
Während bei PAT die Process-Mining-Engine von PAFnow adaptiert wurde, ist PAFnow in den regulär verfügbaren Versionen ein Tool, das sich besonders einfach in bestehende IT-Umfelder integrieren lässt und auch eine direkte Optimierung ermöglicht: „Die meisten Process-Mining-Tools bringen das eigentliche Optimierungswerkzeug nicht mit. Aufwendig werden sogenannte Action-Konnektoren entwickelt, um E-Mails zu versenden und Workflows anzustoßen. Wer die Microsoft Power Platform nutzt – welche die laut Gartner weltweitführende Business-Intelligence-Plattform Power BI sowie Power Automate beinhaltet – bekommt mehr als 300 Action-Konnektoren direkt mitgeliefert. Durch die Integration von Process Mining in Power BI kann der Analyse also eine unmittelbare Optimierung folgen“, so Tobias Rother zu den Vorteilen, die mit der Integration von PAFnow in Power BI einhergehen.
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