Smart Factory Die smarte Fabrik der Zukunft gibt es schon
Viele halten die Vision einer total vernetzten und intelligenten Fabrik noch für Zukunftsmusik. Doch Smart Factories sind längst Realität, wie einige Beispiele zeigen.
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Am Anfang stand eine Vision: Auf der Hannover Messe 2011 stellte die deutsche Bundesregierung unter der Bezeichnung Industrie 4.0 ein Zukunftsprojekt zur umfassenden Digitalisierung der industriellen Produktion vor. Ziel dieser Initiative war, die deutsche Wirtschaft für die Herausforderungen der Zukunft besser zu rüsten.
Was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff? Industrie 4.0 bezeichnet die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen in der Industrie mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie, erklärt die Plattform Industrie 4.0. Auf dieser Plattform haben sich Unternehmen und ihre Belegschaften, Gewerkschaften, Verbände, Wissenschaft und Politik zusammengeschlossen, um die digitale Transformation der Produktion in Deutschland voranzubringen. Die Vernetzung von Produktions- und Geschäftssystemen soll in einer nach Industrie 4.0 gestalteten Smart Factory oder Intelligenten Fabrik eine deutlich wirtschaftlichere und effizientere Fertigung auch nach individuellen Kundenwünschen bis hin zu Losgröße 1 ermöglichen als in der Vergangenheit.
Smart Factories sind schon heute Realität
Wer angesichts dieser hochgesteckten Ziele meint, Smart Factories seien noch Zukunftsmusik, irrt: Sie sind bereits heute in weiten Teilen Realität. Einer der Wegbereiter dabei ist – wenig verwunderlich – die Automatisierungsbranche. Seit Mitte 2018 fertigt zum Beispiel der Sensorspezialist Sick in Freiburg Sensoren in einer vernetzten Fabrik mit autonomen digitalen Produktions-und Steuerungsprozessen.
In der 4.0 Now Factory genannten intelligenten Fabrik produzieren Roboter und Mitarbeiter Hand in Hand neue Sensoren: Zwölf vollautomatisierte Produktions-Technologie-Module, vier manuelle Arbeitsplätze und ein hybrider Arbeitsplatz stehen dafür zur Verfügung. Die Produktion erfolgt in einzelnen Zellen. Dank dieser Anordnung kann die Reihenfolge der Modulnutzung je nach Anforderung variieren. Die Materialzufuhr erfolgt über fahrerlose FTS (Flurtransportsysteme).
Eine Software, die bei Sick entwickelt wurde, steuert alle Abläufe. In dieser sind alle Informationen zum jeweiligen Auftrag hinterlegt, etwa Produkteigenschaften, Stückzahl oder welche Fertigungsschritte an welchem Modul notwendig sind. Das System sendet die Informationen an die Maschinen und erhält umgekehrt ständig Rückmeldungen. Alle Akteure – Sensoren, Maschinen und Menschen – sind dezentral organisiert, vernetzt und tauschen sich kontinuierlich aus.
Aktuell werden in der 4.0-Now-Fabrik fünf Produktfamilien hergestellt, geplant sind zwölf. Das System bietet dafür die notwendige Ausstattung: Neuentwicklungen kann Sick so deutlich schneller implementieren und auf den Markt bringen, beschreibt das Unternehmen einen Vorteil. Denkbar seien über 500.000 Produktvarianten. Damit könnten vielfältige und individuelle Kundenwünsche berücksichtigt werden. Selbst kleine Stückzahlen werden in der Fabrik „on demand“ produziert – und das bei Kosten vergleichbar einer Massenproduktion.
Ein weiterer Pluspunkt: „Wir sammeln hier jeden Tag wertvolles Know-how, um diese Art der Produktion weiter ausbauen und verbessern zu können“, sagt Bernhard Müller, Geschäftsleitung Industrie 4.0. Dabei gehe es nicht nur um die Prozesse in der digital vernetzten Fabrik, sondern auch um die laufende Optimierung der eigenen Produkte, Lösungen und Dienstleistungen sowie deren Vermarktung.
Smart Factory der frühen Stunde
Ein alter Hase hinsichtlich einer smarten Produktion ist Automatisierungsspezialist B&R. Das Unternehmen legt Wert auf die Feststellung, dass die Smart Factory bereits seit 2006 im Werk am Firmensitz im österreichischen Eggelsberg Realität sei. Die smarte Fabrik ist horizontal und vertikal komplett vernetzt, so B&R. Möglich mache dies ein ERP-System, das die Abarbeitung der Produktionsaufträge plant und eine reibungslose Logistik sicherstellt.
„Kundenbestellungen kommen über das CRM-System herein und werden über ein ERP-System aufbereitet. Die Daten fließen direkt in die Produktion mit ein. So weiß man zu jeder Zeit, welchen Status das Produkt hat oder welche einzelnen Komponenten im Produkt verbaut sind. Dazu geben die Maschinen Daten zurück in die Cloud, die ihrerseits im ERP-System verarbeitet werden“, skizziert Sebastian Brandstetter, Produktmanager für integrierte Robotik bei B&R, die Abläufe in der smarten Fabrik.
Konkret sieht das am Beispiel der Industrie-PC-Fertigung so aus: Der Kunde stellt sich in einem Online-Konfigurator seinen PC individuell zusammen. Das ERP-System prüft, ob die Zusammenstellung plausibel ist und erstellt eine Stückliste, die mit einer eindeutigen Seriennummer verknüpft wird.
Auftragsgröße spielt keine Rolle
„Der Kunde hat rechnerisch die Möglichkeit, eine von mehr als 250 Milliarden unterschiedlichen Hardware-Konfigurationen auszuwählen“, sagt Gerald Haas, Leiter Global Industrial Management bei B&R. Hinzu kommen unzählige Software-Optionen. Die meisten Bestellungen umfassen Stückzahlen im 2- oder 3-stelligen Bereich. „Für unsere Produktion spielt die Auftragsgröße keine Rolle, wir wickeln eine Bestellung von 1000 Stück ebenso effizient ab wie Losgröße 1.“
Das ERP-System plant die Abarbeitung der Aufträge und stellt eine reibungslose Logistik sicher. Werden Teile aus dem Lager benötigt, werden diese Just-in-time in die Produktionshalle geliefert. Das ERP-System steuert auch die einzelnen Regalbediengeräte des Hochregallagers. So kann es auf Basis aktueller und zu erwartender Auftragseingänge Materialien im Hochregallager umsortieren gegebenenfalls Nachbestellungen auslösen.
Punktgenaue Unterstützung für den Werker
Auch Menschen werden in der smarten Fabrik noch benötigt: Sie montieren zum Beispiel die PCs. Läuft eine solche Bestellung beim Arbeitsplatz eines Werkers auf, sind bereits alle nötigen Bauteile in Griffweite. Mit Bildschirmanweisungen und Lichtsignalen wird der Werker beim Zusammenbauen jedes individuellen PCs unterstützt.
Um die Mitarbeiter in Zukunft noch besser zu unterstützen und ihre Zusammenarbeit mit Maschinen zu verbessern, arbeitet B&R gemeinsam mit der Fachhochschule Oberösterreich am Projekt Human Centered Workplace for Industry, dem Arbeitsplatz der Zukunft. Die FH analysiert dafür aktuelle Arbeitsumgebungen und baut dann im Labor einen Prototyp des Arbeitsplatzes der Zukunft auf. So kann zum Beispiel getestet werden, wie sich Arbeitsplätze durch neue Geräte wie Augmented-Reality-Brillen aufwerten lassen.
„Unsere PC-Fertigung zeigt die Vorteile der digitalen Fabrik sehr gut auf. Die B&R-Mitarbeiter können nach kurzer Einschulung jeden PC zusammenbauen und das bei bis zu 250 Milliarden unterschiedlicher Konfigurationsmöglichkeiten“, sagt Robert Perperschlager, Produktionsleiter und Mitglied der Geschäftsführung bei B&R. Am Arbeitsplatz der Zukunft der FH testet B&R nun weitere Möglichkeiten für assistierende Systeme auf ihre Praxistauglichkeit. „Insbesondere beim Handling von komplexen Teilen spielen auch zunehmend kollaborative Roboter eine Rolle, die den Mitarbeiter direkt unterstützen“, erklärt Perperschlager.
Dieser Artikel stammt von unserem Partnerportal Konstruktionspraxis.
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