Künstliche Intelligenz Das leistet KI in der Produktion und der Pharmazie
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Künstliche Intelligenz (KI) gewinnt eine immer größere Bedeutung und wird im Jahr 2030 einen Wirtschaftswert von 13 bis 15 Billionen US-Dollar erreichen, sagt McKinsey voraus. Doch es gibt viele Hürden auf dem Weg zu erfolgreichen KI-Projekten zu überwinden, v. a. in Europa und Deutschland. Ein Roundtable von Experten und Praktikern hat sich über Erfahrungen und Ansichten über diese wichtige Entwicklung in der Technologie ausgetauscht.

Niko Mohr, Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey, sagt für den KI-Markt einen Wirtschaftswert von 13 bis 15 Billionen US-Dollar voraus. „Bei den Anwendungsfeldern von KI sind Produktion, Fertigung und Supply Chain mit etwa 25 bis 30 Prozent des Economic Values vertreten. Das ist substanziell. Zugleich sind alle Technologien vorhanden strategisch durchzustarten . Doch die Projekte liegen hinter den Erwartungen zurück.
Sein Befund basiert, neben praktischen Erfahrungen mit Kunden, auf einer Umfrage von McKinsey zum globalen Einsatz von KI-Technologien, dem McKinsey Global Survey on AI 2021. Dieser fand heraus, dass der Einsatz von KI stetig wächst und die Vorteile weiterhin signifikant geblieben sind. Während der COVID-19-Pandemie zeigten sich die Vorteile vor allem auf der Kosteneinsparungsseite, weniger in der Expansion. Während der geschäftliche Einsatz von KI selbstverständlich wird, werden auch die Tools und Anwendungen verfeinert, die den größten Nutzen aus KI erzielen.
Laut des McKinsey-Reports verwenden Unternehmen, die führend bei der Anwendung von KI sind, nicht nur die Grund-, sondern auch die fortschrittlichen KI-Praktiken, wozu beispielsweise MLOps gehört. Zudem zeichnen sie sich dadurch aus, dass ihre Investition in KI-Technologien (wie Machine Learning) effizienter verwendet wird. Erfolgskritisch ist laut den Autoren des Reports die Nutzung der Vorteile von Cloud-Technologie sowie der Einsatz von Methoden, die die mit KI verbundenen Risiken begrenzen. Die Ergebnisse der Untersuchung legen nahe, dass Unternehmen zu wenig in diesen Bereich investieren.
„Es fehlt an Courage und Konsequenz, mit der ,wir‘ diese Themen angehen“, sagte Niko Mohr. „Mehr und mehr Unternehmen setzen sich mit dieser Thematik auseinander. Körber ist mit seinem Geschäftsfeld Digital ein bestes Beispiel dafür, indem es die Herausforderungen angenommen und sich extrem weiterentwickelt hat.“ Körber Digital hat drei Tochterunternehmen gegründet – mehr dazu unten. „Führend sind diejenigen, die sich mit den Potenzialen von KI im Branchenvergleich früh auseinandersetzen. Diese Frontrunner können die Nachzügler substanziell outperformen und hinter sich lassen.“ Die führenden Wirtschaftsnationen machen Mohr zufolge rund 60 Prozent des bisher erreichten Value Pools aus: Japan, Westeuropa und USA. Auf China entfallen etwa 22 Prozent und auf die Entwicklungsländer etwa 16 Prozent. „Bis 2030 wird sich dieses Verhältnis weiter Richtung China und der Entwicklungsländer verschieben, die deutlich an Bedeutung gewinnen werden, während die führenden Nationen etwas verlieren.“
Die Möglichkeit, mit großen Datenmengen Analysen durchzuführen, sei in Europa bedeutend schwieriger als in anderen Regionen der Welt, berichtet Mohr. „Die großen Automobilhersteller machen ihre Tests mit autonomen Fahrzeugen deshalb in den USA und China. Nur mit dem entsprechend großen Datenvolumen lassen sich Algorithmen trainieren und deutliche Schritte nach vorne machen.“ Mohr resümiert: „Europa und Deutschland entwickeln sich im Vergleich zu den USA und China deutlich langsamer.“
Körber & Co.
Körber ist ein internationaler Technologiekonzern mit rund 12.000 Mitarbeitern und mehr als 100 Standorten weltweit. In den Geschäftsfeldern Digital, Pharma, Supply Chain, Tissue und Tabak bietet das Unternehmen Produkte, Lösungen und Services. Im Geschäftsfeld Digital bietet und entwickelt Körber „digitale Produkte, Dienstleistungen und Lösungen mit Experten, Wissenschaft und Partnern aus verschiedenen Branchen der Logistik, Pharma-, Tissue- und Tabakindustrie, um die globale Fertigung zu transformieren. Darüber hinaus zielen wir auf den Aufbau von Technologieunternehmen für eine durch künstliche Intelligenz getriebene Produktionseffizienz.“
Daniel Szabo sprach als CEO des Geschäftsfelds Digital, Christian Schlögel als Chief Digital Officer (CDO) des Körber-Konzerns. Schlögel sieht die große Bedeutung von KI, „aber wir sind noch ganz am Beginn.“ Immerhin gebe es jetzt vier Technologien, die den Aufschwung von KI ermöglichen: „Cloud Computing, Sensorik, Big Data, IoT, und alles zu einem günstigen Preis.“ KI sei wie ein Baukasten von Technologien: Wissensmanagement, Reasoning (Schlüsse ziehen), Fragestellungen für Vorhersagen und das Berechnen von Szenarien. Wichtig sei die Mensch-Maschine-Schnittstelle (HMI): „Interaktion, Wahrnehmung und Verstehen durch Computer“ sei von zentraler Bedeutung.
Noch viele Altlasten
Für Produktionsunternehmen, die ganz am Anfang ihrer Digitalisierungs-Journey stehen, bedeuten diese Bedingungen eigentlich beste Startmöglichkeiten. Doch Daniel Szabo von Körber Digital konstatiert, dass es noch viele Brownfield-Systeme gebe, die Schritte vor Digitalisierung und Industrie 4.0 zu bewältigen hätten. „Die Herausforderung besteht nun darin, Probleme zu identifizieren, die durch das Nutzen von digitaler Technologie gelöst werden können und dadurch ausreichend großen Mehrwert stiften. Der Grund ist simpel: In der ersten Digitalisierungswelle wurde viel in Datensammeln gesteckt, aber kaum etwas damit erreicht. Daher will heute kaum noch jemand signifikante Beträge investieren, wenn kein Mehrwert zu sehen ist.“ Seine gute Nachricht: „Es gibt noch ganz viele Potenziale. Es kommt darauf an, User-zentrierte Lösungen zu entwickeln, die einen messbaren Mehrwert schaffen, das heißt, für Kunden und andere Stakeholder-Gruppen.“ Mohr warnt jedoch, Industrie 4.0 nicht mit KI zu verwechseln.
Kein Datenmangel
Schlögel entgegnet Mohrs Perspektive auf die Herausforderungen des Datenmangels: „Wir müssen unseren Datenschutz nicht auflösen, aber wir können Daten anonymisieren. Es ist wichtig, den Wert von Daten zu erkennen und Datenzugriff als einen Wettbewerbsvorteil zu bewerten. Alles andere würde Fußfesseln bedeuten. Es gilt, smartere Lösungen zu finden: Wie können wir Software-Unternehmen die Möglichkeit geben, auf solche Daten zuzugreifen, ohne den gläsernen Mitarbeiter oder Bürger zu erzeugen?“ Szabo gibt Schlögel recht: „Es gibt Privacy-Enhancing-Computation-Technologien wie Maskieren, Anonymisieren und Pseudonymisieren, die es ermöglichen, Daten zur Verfügung zu stellen, um Algorithmen zu trainieren, ohne den Wettbewerbsvorteil freizugeben.“
Niko Mohr rät, „vorausblickend in Technologien zu investieren, die auch künftig im KI-Umfeld Relevanz besitzen: Dazu gehört Data-centric AI, beispielsweise Simulation, Operations Management inklusive OEE (Overall Equipment Effectiveness) , Predictive Maintenance, Human Productivity und Inventory Optimization.“ Mit Energieffizienz ließe sich der Green Deal der EU unterstützen, ergänzt Schlögel und verweist auf einen Anwendungsfall in zwei Körber-Tochterunternehmen namens FactoryPal und InspectifAI: „Mit FactoryPal können wir den OEE um 30 Prozent erhöhen inklusive der Optimierung von Parametern wie beispielsweise den Energieverbrauch. Bei InspectifAI können wir die Fehlauswurfrate in der pharmazeutischen Produktion mittels KI-gestützten visuellen Qualitätskontrollen um 85 Prozent senken.“
FactoryPal: KI in der Qualitätskontrolle
FactoryPal ist ein 2020 gegründetes Körber-Start-up im Bereich Industrial IoT aus Berlin. „Das Team bietet eine Software-as-a-Service-Lösung an, mit der die Fertigung in Fabriken weltweit effizienter gestaltet werden kann“, berichtet FactoryPal-CTO Andreas Schilling. „Die auf KI basierende Technologie analysiert Maschinendaten, verbindet Produktionslinien miteinander und optimiert so Arbeitsprozesse.“
FactoryPal richte sich initial an produzierende Unternehmen auf dem europäischen Markt. „Die Lösung wird für Kunden in der Tissue-Industrie eingesetzt und soll perspektivisch auf andere Bereiche der Fertigungsindustrie und internationale Märkte ausgeweitet werden.
InspectifAI: KI in der Pharmazie
Während FactoryPal mithilfe von KI für mehr Effizienz in der Fertigung sorgt, konzentriert sich das 2021 gegründete Körber-Venture InspectifAI auf den pharmazeutischen Markt. „Ziel ist es, die optische Inspektionskontrolle von pharmazeutischen Produkten wie z. B. Impfstoffdosen zu revolutionieren“, erläutert InspectifAI-CTO Moritz Strube. „Mittels KI-Unterstützung sollen die Inspektionsentscheidungen von heutigen Inspektionsmaschinen optimiert werden, sodass die sehr hohe Rate fälschlicherweise aussortierter Produkte, sogenannter False Ejects, auf ein Minimum reduziert wird.“
Der Use Case verspricht, einen hohen Mehrwert zu erzielen. „Gerade Hersteller pharmazeutischer Produkte müssen in deren Produktion größte Sorgfalt walten lassen. Ein beschädigtes oder verunreinigtes Produkt im Handel bedeutet schwerwiegende Folgen für Patient und Produktionsunternehmen bis hin zur Schließung des Produktionsstandortes. Zu Recht gestalten sich die Inspektionskontrollen daher als besonders wichtig und genau. Diese Vorsicht und Sorgfalt führt im Extremfall dazu, dass beinahe jedes dritte Produkt von der Inspektionsmaschine fälschlicherweise aussortiert wird. Das nachträgliche, händische Prüfen der aussortierten Produkte durch Mitarbeiter ist zeit- und kostenintensiv. Hier setzt InspectifAI an.
Seit 2021 entwickelt Körber Digital eine Softwarelösung, die direkt aus der Erfahrung von Inspektionsspezialisten lernt und dieses Wissen mittels trainierter Deep-Learning-Modelle einer Inspektionsmaschine zugänglich macht. Dadurch wird die Entscheidungstreue und -sicherheit der Inspektionsmaschine deutlich erhöht. Vereinfacht gesagt, trifft die Software InspectifAI eine bessere Entscheidung als bisherige Bildverarbeitungsmethoden, sodass es nichtmehr zum fälschlichen Auswurf der Produkte kommt. Was einfach klingt, kann den Arbeitsaufwand für Unternehmen und damit auch Kosten drastisch senken.
„Je nach pharmazeutischem Produkt und vorherrschenden Produktionsvarianzen kann die False-Eject-Rate zwischen 50 und 99 Prozent reduziert werden“, erläutert Moritz Strube. „Mit unserer Lösung beschränken wir uns nicht auf Inspektionsmaschinen aus dem Hause Körber, sondern fokussieren alle Maschinen, die vollautomatische visuelle Inspektionsaufgaben in der Pharmaproduktion erfüllen. Mit unserem Ansatz, durch KI den visuellen Inspektionsprozess zu verbessern, stiften wir einen großen Mehrwert für alle Hersteller pharmazeutischer Produkte. Eine genaue und zuverlässige Kontrolle ohne ständige Rückläufer, unabhängig von der einzelnen Inspektionsmaschine, bedeutet eine erhebliche Effizienzsteigerung der Kontrollen.“
Personalmangel
Für Daniel Szabo fehlt es vor allem an geeignetem Personal, um den KI-Markt in Deutschland und Europa zu fördern. „Die Kompetenz ist da, ebenso die Talente in Deutschland, aber auf der Entscheiderebene fehlt noch das Verständnis, um einerseits den Mut zu haben, Lösungen voranzubringen, andererseits zu investieren, um die richtigen Leute an Bord zu holen, die sich damit auskennen, und ihnen dann auch den notwendigen Freiraum zu geben, um Wert-Pools zu erkennen und freizusetzen.“
Szabo über Kritik an den Vorständen und Aufsichtsräten: „Die Entscheider haben die Sorge, Wettbewerbsvorteile abzugeben. Daten haben irgendwie einen Mehrwert, aber das Datensammeln und -speichern erzeugt keinen Mehrwert. Man muss etwas damit machen und darüber eine Verhaltensänderung herbeiführen, damit sich etwas ändert. Nur dann kann ich einen Wert wirklich zutage fördern.“
Guter Rat
Szabo empfiehlt: „Suche dir einen Partner, mit dem du das Projekt zusammen machen kannst. Sei bereit, gemeinsam im Ökosystem zu arbeiten und nicht alles als proprietäre eigene Lösung zu bauen. Für die meisten mittelgroßen Spieler wird keine Chance vorhanden sein, dort mitzuspielen.“ Körber hat in DAIN Studios investiert, ein deutsch-finnisches Unternehmen für Unternehmensberatung im KI-Umfeld.
Ein guter Start
„Die Resonanz und das Interesse der Pharmaunternehmen ist beeindruckend“, zeigt sich InspetifAI-CTO Moritz Strube erfreut. „Bereits heute befinden wir uns in konkreten Projekten mit Vertretern aus unterschiedlichen Kundensegmenten, von Top-10-Pharmaunternehmen bis hin zu Vertragsherstellern.“
Das liege unter anderem daran, dass die InspectifAI-Vision nicht bei der Optimierung der Einzelanlage ende. „Wenn es gelingt, das erlernte Wissen mittels KI-Modellen im Inspektionsmaschinennetzwerk des Pharmaherstellers zu transferieren, ergeben sich enorme Skalen- und Netzwerkeffekte. Kostenersparnisse, Qualitätsgewinne sowie Produkt- und Patientensicherheit potenzieren sich im selben Maße.“
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