Smart Home Allzeit zu Diensten – Big Data und das „smarte“ Zuhause

Von Filipe Martins und Anna Kobylinska |

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Hollywoods Vision des „smarten“ Zuhause nimmt in der Realität Gestalt an. Zwischen der wohlwollenden Dienstbarkeit von Amazon Alexa oder Google Assistant und dem Sci-Fi-Albtraum autoritärer Übergriffe von KIs wie SARAH oder V.I.K.I. ist nur ein kleiner Schritt. Er nennt sich: Datenschutz.

Über 54 Prozent aller Häuser in den Vereinigten Staaten sind bereits Smart Homes, so der Marktforscher Strategy Analytics. In Deutschland schätzen die Analysten den Anteil auf 40 Prozent.
Über 54 Prozent aller Häuser in den Vereinigten Staaten sind bereits Smart Homes, so der Marktforscher Strategy Analytics. In Deutschland schätzen die Analysten den Anteil auf 40 Prozent.
(Bild: thanmano - stock.adobe.com)

SARAH ist das „smarte“ Zuhause in der Sci-Fi-Serie „Eureka – die geheime Stadt“. In einem unterirdischen Bunker installiert, rückt es in das Zentrum der Handlung und Aufmerksamkeit, als es seine Bewohner und deren Gäste zwischendurch hinter Schloss und Riegel setzt. Die Softwarebugs des KI-Systems sorgten durch die gesamte Serie hindurch für erstklassige Unterhaltung. SARAH hatte sogar einen eigenen Twitter-Account, der rund acht Jahre später immer noch auf unzählige Follower verweisen kann – aber kein Verständnis für die Privatsphäre der Bewohner.

Eines Tages ließ das Haus seine Big-Data-Fähigkeiten spielen und die Katze auf Twitter unverblümt aus dem Sack: „Frau Dr. Blakes hat momentan erhöhten Blutdruck, aber ein Ganzkörper-CT von Sheriff Carter zeigt seinen als vollkommen gesund, gar ungewöhnlich fit“ – wohlgemerkt vor dem Hintergrund der Liebesbeziehung der beiden Protagonisten. Der „Selbsttätige automatisierte Wohnraum“ (Engl. Self-Actuated Residential Automated Habitat, kurz: SARAH) hatte auf einmal Plauderlaune.

So viel Redlichkeit wäre in der Realität eher unerwünscht und doch ließ das „smarte“ Zuhause nicht lange auf sich warten. Die Zeitreise der Zuschauer in die Zukunft der „datengetriebenen“ Behausung dürfte SARAH in der Tat bald zur neuen Realität werden lassen.

Licht aus, Schotten dicht

Das Smarte Zuhause verspricht eine Vielzahl nützlicher Szenarien für den vernetzten KI-gestützten Lebensstil von heute, morgen und übermorgen:

  • Energieeffizienz: Licht abschalten und Heizung herunterfahren, wenn niemand da ist; Googles Nest kann es bereits heute (im Rahmen der unterhaltungsfähigen Nest-Hub-Plattform);
  • Entlastung von unliebsamen Hausarbeiten: Tätigkeiten wie die Bodenreinigung können dank Haushaltsrobotern wie Neato oder Roombas iRobot bereits seit Jahren zeitgesteuert und vollautomatisiert ablaufen;
  • Gewährleistung von Sicherheit: Bei einem Einbruchsversuch geht ein automatischer Anruf an die Polizei während das Gebäude die vermeintlichen Eindringlinge unter Hausarrest setzt – Sicherheitssysteme wie Amazon Ring machen es zum Teil schon heute möglich (SARAH wäre bestimmt beeindruckt);
  • Babysitting, Überwachung von Jugendlichen: Bei elterlicher Abwesenheit wacht das Haus über das Wohlergehen von Minderjährigen und die Einhaltung vorgegebener Benimm-dich-Regeln (also etwa: Hausaufgaben machen statt Fernsehen gucken);
  • medizinische Überwachung des Wohlergehens von Senioren: Ambulanz rufen, wenn die Sensorik im Boden einen Sturz meldet;
  • Unterhaltung: Musik, News und E-Mails folgen schon heute den Bewohnern von Raum zu Raum durch das Haus … und so weiter.

Die Technik gibt es bereits. Jetzt beginnt die Ära der Datenauswertung und KI-gestützter Automatisierung mit allem Drum und Dran, das damit einher geht.

Smarter wohnen

Bei mehr als 54 Prozent aller Häuser in den Vereinigten Staaten handelt es sich bereits um ein smartes Zuhause, fand Strategy Analytics Ende 2019 heraus. In Deutschland schätzen die Analysten den Anteil auf 40 Prozent.

„Nach weniger als einem Jahrzehnt auf dem Markt als ein kommerzielles Angebot hat das Smart Home bereits den Wendepunkt überschritten“, verkündet Bill Ablondi, Direktor für Smart-Home-Strategien bei Strategy Analytics. Die Tatsache, dass sich die Mehrheit der Menschen für das Smart Home entschieden haben soll, zeige, dass es „kein Zurück mehr gibt“. Ablondi urteilt: „Das Smarte Zuhause ist das normale Zuhause.“

Der weltweite Markt für Smart-Home-Einrichtungen dürfte voraussichtlich von 78,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 135,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 steigen, prognostizierte im Juni 2020 das Marktforschungsinstitut Markets&Markets. Das Wachstum entspricht einer CAGR von 11,6 Prozent über einen Prognosezeitraum von fünf Jahren. Angetrieben werde es von einer Vielzahl verschiedener Faktoren, beginnend mit der zunehmenden Anzahl von Internetnutzern, über die rasche Verbreitung von Smartphones und Smart-Gadgets, Innovationen im Smart-Home-Produktportfolios zahlreicher Anbieter, die Herausforderungen der physischen Sicherheit (insbesondere, aber nicht nur, an abgelegenen Standorten) bis hin zum Wunsch nach erhöhtem Komfort in der allgemeinen Bevölkerung und einem energiesparenden Lebensstil, um nur einige Einflussgrößen zu nennen.

Die COVID-19-Pandemie habe das Wachstum der globalen Smart-Home-Branche stark beeinflusst. Der weltweite Umsatz werde in diesem Geschäftsjahr voraussichtlich um 5 bis 10 Prozent sinken. Die Auswirkungen von COVID-19 auf wichtige Märkte seien auf Grund der Unterbrechung der Lieferketten „nachteilig“ gewesen. Märkte wie Deutschland verzeichneten dennoch eine hohe Marktsättigung, weswegen sich das Wachstum in den kommenden Jahren verlangsamen werde.

Das neue „normale“ Zuhause

Als einige der Produkte mit der höchsten Marktdurchdringung im „Smart Home“ nannten die Analysten intelligente Thermostate, intelligente Stromzähler, HLK-Steuerungen und Beleuchtungssteuerungen (Dimmer, Timer, Anwesenheit-, Tageslichtsensoren und Relais) sowie Unterhaltungs- (Audio und Multimedia) und Sicherheitssysteme. Einige dieser Produkte würden sich in Hausautomationssysteme und andere Steuerungen über drahtlose wie drahtgebundene Technologien integrieren, um die benötigte Datenkonnektivität herzustellen.

Die Analysten erwarten in den kommenden Jahren eine „erhebliche Nachfrage“, interessanterweise vorrangig nach Produkten ohne externe Steuerung und ohne externe Dienste. Doch genau das wollen die Hersteller nicht.

Ein Beispiel ist Amazon Alexa, die „Außendienstmitarbeiterin“ des Online-Händlers, die sich als virtuelle Assistentin des Endbenutzers ausgibt und vielerorts Teil der Familie wurde. Die Geräte der Amazon-Alexa-Familie (Echo, Echo Dot, Echo Show 10 und andere) machen sich im Alltag überaus nützlich, ob man ein Kochrezept dringend sucht oder die COVID-Ausgangsbeschränkungen nicht verletzen will. Doch im Endeffekt ist es klar, was es mit Alexa & Co. auf sich hat: Die Erfassung von Big Data aus dem smarten Zuhause hilft Amazon bei der Ausgestaltung personalisierter Angebote, damit der Nutzer gut versorgt ist und beim Online-Riesen die Kasse klingelt.

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Auch Google macht es nicht viel anders. Das große Google Home Max bietet einen raumfüllenden Klang, während Google Nest Hub Max ein attraktives, helles und intelligentes Big-Data-getriebenes Display mitbringt, welches Googles hauseigene Dienste in den Vordergrund stellt. Selbst die kleineren Gadgets Nest Audio, Nest Mini und Nest Hub wollen sich in jedem Raum des Hauses als Datensammler „einnisten“.

Übrigens: Als die wichtigsten europäischen Akteure auf dem globalen Markt für das smarte Zuhause gelten aus Sicht der Analysten von Markets&Markets unter anderem Siemens (u. a. Anbieter der Plattform Synco IC) und Schneider Electric (u. a. Anbieter von Gebäudeautomatisierungssystemen).

Letztlich wollen alle „smarten“ Endpunkte endlos smarter werden: mit Big Data versorgt, von KI getrieben; sie wollen schalten und walten. Automatisch nachbestellen, automatisch ausliefern – den Selbsterhaltungstrieb dieser KIs kann ihnen wohl keiner übel nehmen. Selbstlos ist das natürlich nicht – von Amazon, Google & Co. erwartet es ja auch niemand. Doch der Schritt von einer „harmlosen“ virtuellen Assistentin zur autoritären V.I.K.I. (kurz für Virtual Interactive Kinetic Intelligence) aus dem Hollywood-Blockbuster „I, Robot“ ist bloß ein Katzensprung – und sei es „nur“ durch Hacking-Angriffe, welche die unvermeidlichen Cyber-Verwundbarkeiten ausnutzen. Es gab ja bereits einige, von einem falschen Atomalarm, der eine Familie in Panik versetzte, bis hin zur unerwünschter Fern-Überwachung durch Dritte in Hotelzimmern einer bekannten Kette.

Nach dem jetzigen Wortlaut der DSGVO stehen den Datenschützern keinerlei Möglichkeiten zur Verfügung, um die Opfer von Datenmissbrauch zu entschädigen. Die drakonischen Strafen für Datenmissbrauch kommen den Betroffenen bisher in keiner Weise zugute.

Das wäre vielleicht ein Gedanke.

Fazit

Das smarte Zuhause will sich im Leben seiner Nutzer unersetzlich machen. Big Data ist der Schlüssel zu dieser Goldgrube. Sicherheitskameras, IoT-Sensorik, Management-Software, KI aus der Cloud und Gebäude-Automatisierung: Die Echtzeitströme von Sensordaten bilden den Kreislauf des „smarten Zuhauses“ – und eine Verkaufsmaschine ohne Gleichen. Doch dieser unbestrittene Komfort hat bisher noch dunkle Schattenseiten.

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