Kommentar von Dirk Balgheim, T-Systems Wie KI den ÖPNV im ländlichen Raum auf die Erfolgsspur bringt
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Ohne den Verkehrssektor rückt das Erreichen der Klimaziele für Deutschland in weite Ferne. Auch der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) spielt beim Mobilitätswandel eine entscheidende Rolle. Er soll möglichst flächendeckend zur dauerhaften Alternative zum eigenen Auto werden. Doch was bringt ein 49-Euro-Ticket, wenn auf dem Dorf Busse nicht in enger Taktung fahren und Bahnen nicht in allen Orten regelmäßig halten?

65 Prozent der Flächen in Deutschland gelten nach Angaben des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestages als ländlich: Hier leben rechnerisch weniger als 150 Einwohner pro Quadratkilometer. Bundesweit sind insgesamt rund 30 Millionen Menschen in diesen Regionen zu Hause. Tendenz sinkend. Denn im Gegensatz zu Großstädten geht die Einwohnerzahl im ländlichen Raum immer weiter zurück. In der Folge ist – finanziell betrachtet – nicht für alle Orte in der Fläche die Anbindung an einen ganztägig getakteten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) möglich. Einem Großteil der Landbevölkerung bleibt deshalb oft nichts anderes übrig, als weiterhin täglich mit dem eigenen PKW zu fahren – zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen oder zum Arzt. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) fand heraus, dass Menschen in ländlichen Regionen nur fünf Prozent ihrer Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Fehlende Direktverbindungen, ein unzureichender Takt sowie lange Fahrzeiten halten viele davon ab, auf den ÖPNV umzusteigen.
Wenige ÖPNV-Angebote, dafür viel CO2
Die Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr (MIV) wirkt sich entsprechend negativ auf die mobilitätsbedingten CO2-Emissionen aus. Laut Umweltbundesamt werden in ländlichen Regionen im Tagesschnitt pro Kopf 6,3 Kilogramm CO2 emittiert, 60 Prozent mehr als in Großstädten. Eine der größten Herausforderungen der Mobilitätswende ist deshalb, Regionen und Zonen mit geringem Fahrgastaufkommen ökonomisch und effizient an das Verkehrsnetz anzubinden. Denn nur dann wird die Bundesregierung ihre Klimaziele erreichen. Schließlich ist der Verkehr einer der größten Verursacher von Treibhausgasen: 2021 betrugen die verkehrsbedingten Emissionen laut Umweltbundesamt rund 148 Millionen Tonnen CO2, das waren fast 20 Prozent der gesamten Treibhausgase Deutschlands. Bis 2030 soll dieser Wert auf etwa die Hälfte sinken, bis 2045 will Deutschland treibhausgasneutral werden.
Doch wie lässt sich der ÖPNV so gestalten, dass die Menschen auf dem Land zukünftig lieber damit fahren als mit dem eigenen Auto? Ein Lösungsweg, den Verkehrsverbünde immer häufiger verfolgen, sind sogenannte „On-demand“-Angebote wie Rufbusse oder Sammeltaxis. Einen zusätzlichen Schub bekommen derartige Services nun durch erweiterte Möglichkeiten für autonom fahrende Busse. So hat die Bundesregierung mittlerweile den gesetzlichen Rahmen geschaffen, um autonome Fahrzeuge künftig bundesweit ohne physisch anwesende Fahrerinnen oder Fahrer im öffentlichen Straßenverkehr einzusetzen. Bislang war dies nur auf speziellen Strecken und mit einem geringen Tempo erlaubt.
Autonome Shuttles auf Zuruf
Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) steht für ein solches autonomes On-demand-Angebot bereits in den Startlöchern. Als einer der größten Verkehrsverbünde in Deutschland versorgt er knapp 300 Städte und Gemeinden mit Transportleistungen – und vernetzt so etwa zwei Drittel der Fläche des Bundeslandes Hessen. Auf Strecken, auf denen sich klassische Busse wegen zu geringem Fahrgastaufkommen nicht ökonomisch betreiben lassen, sollen zukünftig autonome Kleinbusse zum Einsatz kommen. Aktuell erprobt der RMV einen Shuttle-Service im Frankfurter Stadtteil Riederwald. Auch wenn dies kein ländliches Gebiet ist, liefert das Projekt in dem am Rand von Frankfurt und fern der Innenstadt gelegenen Stadtteil wichtige Erkenntnisse für den Einsatz autonomer Busse.
Der Test ist Teil des Projektes „Electric Autonomous Shuttle for You“ oder kurz EASY. Ziel des Projektes ist es, Mobilität flexibler und kundenorientierter zu gestalten und stärker intermodal miteinander zu vernetzen. Im Riederwald haben Fahrgäste nun erstmals in Deutschland die Möglichkeit, über eine App oder telefonisch ihre Start- und Zielhaltestellen innerhalb des Bediengebiets mit der gewünschten Abfahrtszeit zu buchen und kostenlos im autonomen Shuttle mitzufahren. Haben mehrere Personen ein ähnliches Fahrtziel, bündelt das System die Fahrten und der Shuttlebus sammelt die Mitfahrenden auf dem Weg ein. Und schafft so ein zusätzliches Angebot im Liniennetz des ÖPNV in der Mainmetropole.
KI unterstützt und ersetzt teilweise das Personal
Wichtig: An Bord des Kleinbusses fährt auch eine Künstliche Intelligenz (KI) mit. Und zwar nicht nur, um im Straßenverkehr sicher unterwegs zu sein. Sondern auch, um mittelfristig innerhalb des autonomen Shuttles die Aufgaben einer Busfahrerin oder eines Busfahrers zu übernehmen. Die dafür erforderliche technologische Grundlage schafft eine Lösung zur Personenerkennung von T-Systems. Diese besteht im Kern aus einer Applikation, die auf einem leistungsfähigen Rechner installiert ist und mit einer Onboard-Kamera verknüpft wird – egal, ob diese bereits im Bus vorinstalliert ist oder nachträglich angebracht wird. Die eigentliche Intelligenz der Lösung steckt allerdings in der Applikation. Sie ist unter anderem in der Lage, die Videobilder fast in Echtzeit auszuwerten. So erkennt sie, wie viele Fahrgäste sich im Shuttle befinden, ob sie stehen oder sitzen und ob sie – falls erforderlich – eine Maske tragen. Auch liegengebliebene Gepäckstücke bleiben der Künstlichen Intelligenz nicht verborgen.
Die KI-basierte Applikation an Bord übermittelt die gewonnenen Informationen an ein Dashboard im Kunden-Back-end. Der Vorteil: Mithilfe des Dashboards ist der RMV in der Lage, die Sicherheit in seinem Shuttle zu gewährleisten sowie die Auslastung zu ermitteln. Er erfüllt damit seine gesetzlichen Verpflichtungen als Personentransporteur. Und zwar vollkommen datenschutzkonform, denn personenbezogene Informationen werden nicht übertragen. Die On-board-Applikation erfasst und analysiert zwar Bilder und Videos, überträgt diese aber nicht in das Back-end.
Nächste Ausbaustufe in Sicht
Zur bidirektionalen Kommunikation mit den Fahrgästen steht ein Tablet oder ein Bildschirm bereit. Steht beispielsweise ein Fahrgast während der Fahrt oder trägt er keine Maske, erhält er einen entsprechenden Hinweis. Das Tablet dient auch als Infomedium, falls ungewöhnliche Verkehrssituationen wie Staus oder Unfälle eintreten sollten. Das schafft die Basis dafür, dass die autonomen Busse in absehbarer Zeit ganz ohne Begleitpersonal auskommen werden. Während des RMV-Tests in Riederwald ist noch eine geschulte Aufsichtsperson an Bord. Das soll sich jedoch bald ändern: Geplant ist laut RMV, dass Ende 2023 Shuttles im sogenannten autonomen Level 4 durch Darmstadt und den Kreis Offenbach fahren. In den Fahrzeugen wird es dann kein menschliches Personal mehr geben. Lediglich in der Zentrale und Leitstelle überwacht künftig jemand, ob auf den Straßen alles rund läuft.
Mit der nächsten Ausbaustufe kommt der RMV dem Ziel, den ÖPNV im ländlichen Raum attraktiver zu gestalten, ein großes Stück näher. Langfristig könnte der Verkehrsverbund dann ein Nahverkehrsangebot in dünn besiedelten Gebieten etablieren, was sich für beide Seiten rechnet: Die Menschen auf dem Land profitieren davon, dass das ÖPNV-Angebot vor Ort ausgebaut wird. Sie können so öfter das eigene Auto stehen lassen und bezahlbar und vor allem klimafreundlich unterwegs sein.
Verkehrswende intelligent meistern
Der Verkehrsverbund verfügt damit über ein wirksames Mittel für ein ökonomisch realisierbares Angebot und vor allem für eine Alternative gegen den akuten Fachkräftemangel. Schon heute fehlen laut Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (bdo) gut 5.000 Fahrerinnen und Fahrer. In den nächsten acht bis zehn Jahren könnten bis zu 36.000 offene Stellen dazukommen – allein, um die altersbedingt ausscheidenden Mitarbeitenden zu ersetzen. Und dabei ist der zusätzliche Bedarf aus der Verkehrswende noch gar nicht mit eingerechnet. Laut bdo lässt sich die angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen im ÖPNV nur mit tausenden zusätzlichen Beschäftigten stemmen. Die Verkehrswende wird also ohne digitale Technologien wie KI nicht gelingen. Sie machen zukunftsweisende Mobilitätsangebote erst möglich.
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