Kommentar von Dr.-Ing. Frank Breitenbach und Jana Speidel, EDAG Production Solutions Mehr Daten für mehr Nachhaltigkeit

Von Dr.-Ing. Frank Breitenbach und Jana Speidel Lesedauer: 7 min

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Der ressourcenschonende Umgang mit bestehenden Materialen und Komponenten wird maßgeblich davon beeinflusst, wie lange es Unternehmen gelingt, den Lebenszyklus von Betriebsmitteln aufrecht zu erhalten oder diese in einem sinnvollen Kreislauf ihre Arbeit verrichten können. Dabei spielt die Verarbeitung der vorhandenen Vitaldaten der Anlage und der Komponenten in Qualität und Quantität eine entscheidende Rolle – denn nur durch die Dokumentation und Historie eines Betriebsmittels ist es möglich zu entscheiden, wie die Ressource oder einzelne Komponenten weiterverwendet werden können.

Unternehmen bieten sich heute zunehmend Möglichkeiten, Daten zu sammeln, zu analysieren und zu nutzen, um positiven Einfluss auf die Produktion und die gesamte Wertschöpfungskette zu nehmen.
Unternehmen bieten sich heute zunehmend Möglichkeiten, Daten zu sammeln, zu analysieren und zu nutzen, um positiven Einfluss auf die Produktion und die gesamte Wertschöpfungskette zu nehmen.
(Bild: EDAG Production Solutions)

Bedingt durch die digitale Transformation und die damit verbundenen Technologien wie Digitaler Zwilling, IoT, Data Analytics und KI bieten sich Unternehmen heute zunehmend Möglichkeiten, Daten zu sammeln, zu analysieren und zu nutzen, um positiven Einfluss auf die Produktion und die gesamte Wertschöpfungskette zu nehmen. Dabei können im Lebenszyklus einer Produktion – abhängig von der jeweiligen Lebensphase – Daten und Informationen auf unterschiedliche Weise nachhaltig genutzt werden. Anhand des Fabriklebenszyklus (Vorbereitung – Planung und Engineering – Betrieb) soll im Folgenden betrachtet werden, wie dateninduzierte Nachhaltigkeit aussehen kann: ökonomisch, ökologisch und sozial.

Vorbereitungsphase (durchdachte Basis)

Die Grundlage für eine nachhaltige Datennutzung liegt in einer professionell organisierten Datenstruktur, die Daten und Informationen einfach zugänglich macht und verständlich zur Verfügung stellt. Dazu gehört auch eine Festlegung in Bezug auf verwendete (Standard-)Formate sowie auf die Zusammenführung der Daten: Welche Quellen werden genutzt? Welche Schnittstellen sind notwendig? Eine gute Struktur kann beispielsweise über die Festlegung einzelner Ebenen (Anlagenebene, Prozessebene, Auftragsebene usw.) und über einen modularen Aufbau gestaltet werden. So bietet das Datenmodell die Möglichkeit zur Erweiterung und kann flexibel auf neue oder geänderte Anforderungen reagieren. Das liefert unter anderem die Basis für die effektive Nutzung und Verarbeitung der Daten durch ein MES (Manufacturing Execution System).

Mit einer flexiblen und gut strukturierten Datenbasis wird zudem die Grundlage für den sogenannten Datenbackbone eines Unternehmens geschaffen. Dieser dient als zentrale Plattform für die Integration, den Austausch und die Analyse von Daten aus unterschiedlichen Systemen und Tools sowie zur Bereitstellung von Daten und Informationen zur richtigen Zeit und an der richtigen Stelle des Prozesses. Genauso wie die reine Datenstruktur muss auch der Backbone flexibel, skalierbar und offen für die Integration neuer Software sein, um geänderten Unternehmensanforderungen, z. B. Produktionserweiterungen, Produktänderungen, veränderte Marktlage usw. gerecht zu werden. Er kann dann dabei helfen, Prozesse zu automatisieren und auf Grundlage von Echtzeitdaten realistische Entscheidungen zu treffen.

Mit dem gesteigerten Bewusstsein für Nachhaltigkeit kommt ein weiterer, wichtiger Aspekt in die Vorbereitungsphase. Musste nämlich früher lediglich dafür gesorgt werden, dass ein Produktionssystem effektiv geplant, entwickelt, in Betrieb genommen und betrieben wird, so stellt sich nun berechtigterweise auch die Frage, was bspw. mit den Betriebsmitteln am Ende des Lebenszyklus des Produktionssystems passiert. Das „Leben nach der Erstverwendung“ ist eine neue Denkweise, die eben nicht nur das Produkt an sich, sondern auch die Betriebsmittel betrifft. Die in der Vorbereitungsphase aufzusetzende Datenbasis sollte also auch die Historie einzelner Anlagen und -komponenten sichern und belegen können, damit am Ende des Produktionslebenszyklus (u. U. KI-basiert) Entscheidungen über deren Weiter- oder Wiederverwertung getroffen werden können.

Planungs- und Engineeringphase (nachhaltig durch Frontloading)

Aufbauend auf einer klar definierten Datenbasis können bereits in der Planungsphase die Methoden der Digitalen Fabrik Anwendung finden. Hier wird mithilfe eines Netzwerks aus digitalen Modellen, Methoden und Tools (vgl. VDI-Richtlinie 4499) die künftige Produktion entwickelt und hinsichtlich der Prozesse und Ressourcen (Betriebsmittel und Werker), die zur Herstellung eines Produkts notwendig sind, bewertet – immer mit dem Ziel, im Rahmen eines Frontloadings bereits vor dem Aufbau einer realen Produktionsanlage ein optimales, maximal ausgereiftes und abgesichertes digitales Anlagenkonzept zu entwickeln und bereits in der Planungsphase mögliche Engpässe zu ermitteln. Beispielsweise können mithilfe von Robotersimulationen die Bewegungen eines Industrieroboters so ausgearbeitet werden, dass der Energieverbrauch möglichst niedrig ist.

Die Daten aus der Robotersimulation sind auch die Grundlage für eine Virtuelle Inbetriebnahme. Hier wird mit einer Kombination aus dem 3D-Modell der Anlage, der realen oder virtuellen Steuerungstechnik und dem Verhalten der Anlage der Ablauf getestet und, wenn notwendig, bereits am Digitalen Modell optimiert. Das spart nicht nur Zeit bei der Realisierung, sondern verbraucht auch weniger Material und Energie und reduziert die erforderlichen Reiseaktivitäten der Anlageninbetriebnehmer auf ein Minimum: eine positive Entwicklung sowohl für die Kostensituation als auch für den Nachhaltigkeitsbericht eines Unternehmens.

Derzeit wird auch die Fragestellung behandelt, wie der Einfluss Künstlicher Intelligenz auf den Engineeringprozess ist, bzw. sein kann. Die Gefahr hier ist allerdings, dass die allgemeine KI-Euphorie dazu führt, diese als Allheilmittel zu betrachten. Dennoch: Aktuell ersetzen KI-Anwendungen die äußerst rechenintensive, iterative Annäherung an das optimale Produktdesign via FEM-Berechnungen. Bei der alternativen Design-Entwicklung, die auf Erfahrungswerten und bestehenden Beispielen basiert, wird nur noch final die FEM-Absicherung herangezogen. So werden wochenlange reine Rechenzeiten eingespart.

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Ein weiteres Potenzial ergibt sich aus der interdisziplinären Betrachtung Gebäude und Anlage. Durch eine intelligente Vernetzung der Digitalen Zwillinge werden Weichen gestellt für einen effizienten Betrieb der Fertigung. Maschinen haben Anforderungen, bspw. Medienbedarfe, Bodentraglasten oder Raumklimatisierung, die das Gebäude in Form von Eigenschaften zur Verfügung stellen muss. Über die Durchgängigkeit der Datenmodelle wird sichergestellt, dass Planung oder Umplanung ohne Überraschungen ablaufen, ebenso der eigentliche Betrieb, wenn bspw. bestimmte Anforderungen (Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Reinraumbedingungen) berücksichtigt werden müssen.

Produktionsphase (nachhaltig und fehlerfrei produzieren)

In der Produktionsphase sorgt die Vernetzung von Maschinen und Anlagen über einen „Digital Backbone“ für eine verbesserte Kommunikation und damit auch für eine effizientere Arbeit entlang der Wertschöpfungskette.

Drei Faktoren bestimmen die Overall Equipment Effectiveness (OEE, Gesamtanlageneffektivität): Verfügbarkeit, Produktivität und Qualität. Alle drei Faktoren können durch die gezielte Sammlung und Auswertung von Daten optimiert und insbesondere in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit beeinflusst werden.

Digitalisierung ist die Voraussetzung für Automatisierung. Der Einsatz von Robotern oder Fertigungsmaschinen – genauso wie von automatisierten Lager- und Logistiksystemen – reduziert Fehler durch den Faktor Mensch, beschleunigt die Produktion und verbessert die Anlagenverfügbarkeit. Die kontinuierliche Erfassung und Transparenz von Produktionsdaten ermöglicht die Nutzung von Analysetools, mit deren Hilfe Einblicke in die realen Fertigungsprozesse gewonnen und ineffiziente Prozesse identifiziert werden können. In Echtzeit verfügbare Daten helfen dabei, Abweichungen in der Produktion frühzeitig zu erkennen und zu beheben, um Ausfallzeiten zu reduzieren oder die Produktion von Ausschuss zu vermeiden.

Ein wichtiger Faktor hinsichtlich der Anlagenlebenszeit ist die Wartung. Befindet sich die Anlage in einem guten Zustand, so verlängert sich unter anderem deren Lebensdauer und der Energieverbrauch ist optimal. Mittels Einsatzes von Sensorik und der Einbeziehung historischer Daten lassen sich Anomalien und Abweichungen genau erkennen, Ausfallwahrscheinlichkeiten vorhersagen und somit die Wartung exakt planen. Auch die Wartungsdaten werden in den Datenbackbone eingespeist und helfen später dabei, die Wartungshistorie einer Komponente nachzuverfolgen, was für die Nachnutzung in der Phase der Postproduktion relevant ist.

Mit digitalen Methoden kann außerdem die Instandhaltung dahingehend unterstützt werden, dass sie per Virtual Reality oder Augmented Reality notwendige Details wie 3D-Daten der Anlage und des Produkts oder Arbeitsanweisungen vor Ort verfügbar hat, aber auch weil die Daten und Informationen häufig eine Fernwartung möglich machen. Wiederum sind weniger Reisetätigkeiten notwendig – mit positiver Auswirkung auf Kosten, Zeitbedarf und den CO2-Footprint.

Eine gezielte (insbesondere frühzeitige) Erfassung qualitätsrelevanter Produktparameter sorgt zudem dafür, dass Unregelmäßigkeiten der Produktion rechtzeitig erkannt und behoben werden können. Hierfür ist es wichtig, Produktfehler in eine sichere Relation zu Produktionsprozessen und Betriebsmitteln setzen zu können. Aktuell gibt es hier bereits erste KI-gestützte Ansätze und Referenzen.

Postproduktion (Betriebsmittel im Unruhestand)

Um eine Kreislaufwirtschaft auch im Rahmen der Betriebsmittel sinnvoll etablieren zu können, werden deren über den Lebenszyklus gesammelte Daten herangezogen, um Entscheidungen bezüglich eines „Second Life“ der Komponenten treffen zu können. Die Dokumentation des Betriebsmittel-Lebenslaufs geschieht bspw. über die Verwaltungsschale des digitalen Typenschilds. So kann entschieden werden, dass fehleranfällige oder wartungsintensive Komponenten nicht mehr in sensiblen Bereichen eingesetzt werden, oder dass Bauteile, die kaum bewegt wurden, durchaus für eine intensive Nutzung bereitstehen. Weitere Wege führen ins Recycling oder (als letzte Alternative) die Entsorgung.

Ausblick – Equipment as a Service als nachhaltige Lösung

Wie gelingt die Steigerung der Nachhaltigkeit durch die Einführung von EaaS (Equipment as a Service)? Mit dieser Frage beschäftigt sich seit Mai 2022 das Forschungsprojekt

Autopilot – gefördert durch das BMBF (Förderkennzeichen 02J21E004). Ein zirkularer Betrieb von Betriebsmitteln und -komponenten erfordert eine effektive Verwaltung der Baugruppen und zudem eine Datenbasis, die das Leben der betrachteten Elemente aufzeichnet und auswertet, um stets die richtigen Entscheidungen über Wieder- und Weiterverwendung treffen zu können. Im Projekt (WZL (RWTH Aachen), Ligenium, Stackpole, eVolution, Seeburger, Innoface, Capgemini und EDAG Production Solutions) soll demnach bis zum Projektende (April 2025) neben einer Demonstrator-Zelle (inkl. LCA-Betrachtung) auch modellhaft eine Datenplattform zum Datenaustausch zwischen den Anlagen und dem Anwender/Betreiber/Eigentümer entstehen.

Über die Autoren

Jana Speidel, Dipl.-Ing. (BA), ist aktuell Senior Fachexpertin bei EDAG Production Solutions GmbH & Co. KG, kommt ursprünglich aus der Karosseriebauplanung und hat über 20 Jahre Erfahrung im Umfeld der Digitalen Fabrik und der Digitalisierung in der Produktion.

Dr.-Ing. Frank Breitenbach arbeitet bei der EDAG Production Solutions GmbH & Co. KG als Senior Fachexperte für Planungsmethodik im Bereich Smart Factory. Die Aufgabe umfasst die Schwerpunkte Industrie 4.0, Smart Factory.

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