Kommentar von Holger Hornik, Msg Systems Künstliche Intelligenz in der Finanz- und Versicherungswirtschaft

Autor / Redakteur: Holger Hornik / Nico Litzel

Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning könnten den Kundenservice von Banken und Versicherungen revolutionieren. Für die Kundenbindung, Cross- und Up-Selling sowie Kostenoptimierung in der Kundenbetreuung bieten KI-Lösungen ein enormes Potenzial. Diese sind aber immer nur so gut, wie sie mit dem vorhandenen Wissen trainiert werden.

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Der Autor: Holger Hornik leitet das Team Cognitive Analytics bei Msg
Der Autor: Holger Hornik leitet das Team Cognitive Analytics bei Msg
(Bild: Msg Systems)

Bei Banken und Versicherungen ist die zeitnahe Beantwortung von Kunden- und Interessentenanfragen von essenzieller Bedeutung – und je mehr Produkte ein Finanz- oder Versicherungsdienstleister im Portfolio hat, desto mehr interne Bearbeiter sind in die Kundenbetreuung involviert. So treffen die unterschiedlichsten Themen in verschiedenen Formaten über diverse Kanäle bei der Organisation ein, ohne eine Gesamtdokumentation über den Kunden zu haben.

Nach einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) von 2017 könnte die Finanzbranche durch „Software-Roboter“ und „virtuelle Agenten“ bei Effizienz und Kundenbindung stark zulegen. Das Handelsblatt zitiert BCG, dass Dienstleister wie die explizit genannten Versicherungen durch die Digitalisierung ein Einsparpotenzial von bis zu 40 Prozent erschließen könnten. Dieses Potenzial kann aber nur heben und ausschöpfen, wer sein KI-System richtig anlernt. Und zwar mit allen Informationen, die das Unternehmen zu seinen Kunden bisher gesammelt hat. Und natürlich mit allen Fakten zu allen Produkten, die das Unternehmen anbietet. Dieses Inputmanagement entscheidet letztlich, wie gut die Ergebnisse sind, die eine KI im Versicherungseinsatz abliefert.

Smartes Inputmanagement bedeutet daher, alle über einen Kunden im Unternehmen vorliegenden Informationen zu sammeln, auszuwerten und richtig zuzuordnen. Dafür müssen natürlich alle Kundenkontakte sinnvoll miteinander verknüpft werden, um die Kundenhistorie aktuell und für alle Anwendungsszenarien der KI zu dokumentieren. Schriftliche und digitale Dokumente wie E-Mails, unterzeichnete Verträge auf Papier, Web-Formulare, Fax-Sendungen oder PDF-Dateien für die Schadenabwicklung sowie Aufzeichnungen von Kundenkontakten in CRM-Systemen müssen dafür dem KI-System zugeführt werden. Und das muss mit maschinengerechter „Sprache“ erfolgen, wenn ein KI-Projekt später erfolgreich sein soll.

Inhalte identifizieren, lernen und anwenden

Bevor eine KI wie beispielsweise Watson von IBM aus einem solchen Datenmix Informationen und Wissen generieren kann, müssen alle Fakten mittels Natural Language Processing (NLP) maschinengerecht aufbereitet werden. In einem nächsten Schritt muss das System die Bedeutungszusammenhänge der Fachbegriffe lernen, um sie künftig richtig zuzuordnen und interpretieren zu können. Das erfolgt mit einem sogenannten Annotator. Mit ihm lernt ein KI-System beispielsweise, einen Sachverhalt richtig zu verstehen, Personen von Organisationen zu unterscheiden und die versicherungstechnischen Fachbegriffe richtig einzuordnen.

KI-Experten arbeiten dafür mit einem Entitäten-Modell in dem sie Personen, Policen, Organisationen, Produkte und alle Arten von Fakten getrennt annotieren und der KI-Maschine beibringen. Anschließend werden Relationen hergestellt, wie Informationen aus den Texten extrahiert werden und die Algorithmen diese künftig verarbeiten sollen. Erst durch diese begriffliche Anreicherung der Fakten und der Regeldefinition für die Verarbeitungsalgorithmen versteht das System den Kontext, kann Texte richtig interpretieren und daraus Handlungsoptionen ableiten. Und je mehr es mit dem Annotator gefüttert also angelernt wird, desto eher wird eine KI selbstständig lernfähig. So kann das KI-System dann aus den unstrukturierten und verteilt liegenden Texten die Informationen herauslesen.

Diese Anlernphase ist entscheidend für die Güte der Dialoge im späteren Einsatz. Und diese Lernphase muss durch Menschen didaktisch gestaltet und sinnvoll strukturiert werden. Denn nur wenn diese „Grundschule“ gut organisiert ist, wird das System auch eigenständig schlauer. Nur dann lernt es aus Erfahrungen und Anwendung seines Wissensfundus. Nur so kommt der Prozess des Maschinellen Lernens ins Laufen, mit dem die KI nach der Lernphase durch die Anwendung ihres Wissens Muster und Gesetzmäßigkeiten selber ableiten und künftig anwenden kann.

Vielseitige Anwendungsszenarien

Das Ziel ist, dass ein solches KI-System überall im Einsatz ist, wo Kunden und Interessenten der Versicherung schnelle und professionelle Antworten auf Fragen oder Anliegen erhalten wollen. Eine klassische und bisher sehr zeitaufwendige Arbeit ist die Kundeninformation zu einzelnen Produkten. Hier kommt der eingangs beschriebene „virtuelle Agent“ zum Einsatz, der einem Interessenten als Chatbot gegenübertritt. Dabei greift er auf die KI zu und kann im Kontext der Fragen verstehen, welche Information beziehungsweise Lösung der Interessent erwartet.

Ein weiterer Anwendungsfall ist natürlich der Dialog mit Bestandskunden, die zu einem bestehenden Produkt eine Frage haben. Schon bei der Anmeldung auf dem Kundenportal der Versicherung zieht der Chatbot die „Kundenakte“ und führt den Kundendialog im Kontext der Vertragshistorien. Der Kunde fragt dann beispielsweise nach seinem Krankenversicherungsschutz im Urlaub. Der Chatbot führt den Dialog mit gezielten Fragen, um den erforderlichen Schutzumfang zu ermitteln. Am Ende erstellt er aus den gesammelten Kundenangaben ein Angebot für einen zusätzlichen Krankenversicherungsschutz. Dieses sendet die KI per E-Mail oder per Link zu einer Web-App dem Kunden zu, wo er es annehmen kann.

Schrift- oder sprachbasierte Konversationssysteme

Diesen Dialog kann er schriftlich oder auch „mündlich“ mittels Sprachausgabe führen. Rund um die KI wird dafür ein zentrales Konversationssystem aufgebaut mit separaten Applikationen für die Dialogführung. Das passiert über Micro-Architekturen mit den Anwendungen, die der Kunde wünscht. So kann der Dialog mit bewährten und bekannten Sprachsteuerungssystemen wie Siri oder Alexa umgesetzt werden. Kombiniert wird der mündliche Dialog mit einer Speech-to-Text-Anwendung, die die Kundenworte in maschinenlesbaren Text transkribiert. So interagiert der Chatbot in kürzester Zeit mit kaum spürbarer Latenz mit dem Kunden.

Von einfachen Antworten bis Beratung und Vertragsabschluss

Welche Aufgaben eine KI bei Versicherungen und Finanzdienstleistern künftig übernehmen wird, wird sich zeigen. Zunächst werden schrift- oder auch sprachbasierte Chatbots im Kontext der Kundenfragen wohl lediglich automatisierte und standardisierte Antworten geben. Vor Einführung eines KI-basierten Chatbots im Kundencenter sollte dieser allerdings validiert werden. Hierfür ist es wichtig, dass er nicht mit den gleichen Fragen überprüft wird, mit denen er trainiert wurde. Denn erst, wenn sichergestellt ist, dass er aus dem Kontext die Kundenfragen versteht, sollte er in den Kundeneinsatz gehen.

In einer weiteren Ausbaustufe könnte das KI-System weitere Funktionen im Marketing und Vertrieb übernehmen. Der Vertrieb erhielte beispielsweise eine 360-Grad-Analyse über jeden Kunden und könnte erkennen, welche Policen er eventuell noch brauchen könnte. So lassen sich Up- und Cross-Selling-Kampagnen planen. Eine KI könnte beispielsweise alle Kunden identifizieren, die fast volljährige Kinder haben. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass diese kurz davor sind, einen eigenen Hausstand zu gründen. Das ist eine gute Gelegenheit, um einen bestehenden Familienversicherungsschutz zu erweitern oder neue Policen zu verkaufen. Technisch wäre es sogar denkbar, eine KI als proaktive „Beraterpersönlichkeit“ aufzubauen, die Kundenprozesse selbstständig anstößt. Aus der Analyse von Kundendaten könnte das System einen Versicherungsbedarf feststellen und rechtzeitig Maßnahmen „ergreifen“. Die KI könnte auch den Vertragsabschluss abwickeln. Bis es soweit ist, werden uns aber zunächst die Chatbots begegnen, die erstaunlich gut und freundlich einfach nur unsere Fragen beantworten.

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