Kommentar von Dr. Nicolai Erbs und Julian Kling, Infomotion KI – vom ersten Projekt zum datengetriebenen Unternehmen

Autor / Redakteur: Dr. Nicolai Erbs und Julian Kling / Nico Litzel |

Wenn Mitarbeiter heute nach den Trends mit dem größten Einfluss auf ihr Unternehmen gefragt werden, fallen häufig die Begriffe Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI). Insbesondere zum Einsatz letzterer wird in vielen Fällen jedoch Bedenken geäußert. Diesen gegenüber stehen die Chancen, auch komplexe Prozesse durch KI automatisieren und neue Services anbieten zu können.

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Prototypischer Ablauf von KI-Projekten in Unternehmen
Prototypischer Ablauf von KI-Projekten in Unternehmen
(Bild: Infomotion)

Man entscheidet sich nicht, ein KI-Unternehmen zu sein, sondern entwickelt sich dazu. Als Netflix zur Verbesserung seines Filmempfehlungssystems auf Machine Learning gesetzt hat, war wahrscheinlich noch nicht klar, dass später ähnliche Systeme für die Empfehlung von Drehorten und Plots genutzt würden. Große Bauernhöfe beispielsweise produzieren heute viele Daten, die sie für den optimalen Einsatz von Düngemittel (z. B. Bosch Deepfield Connect) oder zur Frühdiagnostik kranker Tiere einsetzen. Hier stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob Daten eine wichtige Rolle spielen, sondern für welche weiteren Erkenntnisse sie noch genutzt werden können.

Die Geburt von KI-Leuchttürmen als Start in die Transformation

Pauschal einen firmeninternen Einsatz von KI zu empfehlen, ergibt wenig Sinn. Wichtig ist es vielmehr, sich ein Bewusstsein für die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, ein grundlegendes technisches Verständnis sowie eine Wahrnehmung der Grenzen dieser Technologien zu verschaffen. Dadurch können entscheidende transformative Prozesse in der eigenen Branche frühzeitig erkannt und selbst eingeleitet werden. Als Orientierung für den Einstieg in ein KI-Projekt eignet sich ein abstraktes Verlaufsdiagramm eines solchen Projekts (siehe Aufmacherbild).

Am Anfang steht ein häufig vernachlässigter Aspekt: die inhaltliche Auseinandersetzung mit KI. Dazu können relevante Artikel, Online-/Offline-Content, Schulungen und andere seriöse Quellen herangezogen werden. Doch Vorsicht: Lückenhaftes Halbwissen, Fehlinformationen oder allzu optimistische Berichte können – wie oft bei Trendthemen – unbegründete Aversionen oder überzogene Erwartungen schüren. Diese erschweren es, auf realistische Weise über den Einsatz von KI im eigenen Berufsalltag nachzudenken.

Da die Entwicklung Künstlicher Intelligenz extrem progressiv ist, ist es in der Tat schwierig, zuverlässige Prognosen über die Fähigkeiten intelligenter Systeme zu treffen. Um zu einer soliden Einschätzung zu kommen, sollte man sich die Einflüsse von KI im aktuellen Alltag bewusst machen und die Leistung neuer Referenzbeispiele analytisch nach den Rahmenbedingungen für deren Erfolg hinterfragen. So gewinnt man einen Eindruck, wie gut eine Transferleistung dieser Systeme auf eigene Probleme erbracht werden kann.

In der Ideation Phase genaue Ziele definieren

Sind die theoretischen Grundlagen erarbeitet, kann eine genauere Analyse eigener Betriebsstrukturen, Datensätze oder Problemstellungen erfolgen. In dieser „Ideation Phase“ wird das Toolset an verfügbaren technologischen Ansätzen auf eine Auswahl der geeignetsten Ansätze reduziert und Ziele werden definiert. Ist vielleicht auch der Zukauf bestehender Software oder die Integration existierender Gesamtsysteme eine Option? Besonders kleinere Unternehmen sollten sich in dieser Phase solche Fragen stellen. Selbst wenn die eigentliche Entwicklung intern erfolgen soll, lohnt sich der Austausch mit externen Experten. Denn zu diesem Zeitpunkt werden die Weichen für Investitionen in die neue Technik gestellt und der spätere Erfolg wesentlich mitbestimmt.

Schon frühzeitig sollte man sich also Gedanken über die verfügbaren Daten zur Umsetzung des Projekts machen. Moderne Methoden der KI benötigen häufig große Datenmengen, um überzeugende Ergebnisse liefern zu können. Für klassische Probleme, z. B. Gesichtserkennung, Verkehrsschilderkennung etc., gibt es in vielen Fällen bereits leistungsfähige Systeme oder Datensätze, die sich zum Trainieren eines problemspezifischen Falls eignen. Oft können auch artverwandte Probleme mit solchen Systemen durch leichte Anpassungen gelöst werden. Generell empfiehlt es sich aber, insbesondere auch mit Blick in die Zukunft, eigene Daten zu sammeln und sich damit die Freiheit einer individuellen Lösung zu ermöglichen.

Nach den Grundlagen folgen Implementierung und Evaluation

Stimmen die Grundlagen für ein KI-Projekt, also steigt ein Unternehmen mit realistischen Erwartungen sowie passenden Daten und Algorithmen in die Implementierung ein, läuft die Umsetzung analog zur klassischen Softwareentwicklung. Speziell für KI-Projekte sind agile Methoden und iterative Entwicklung vorteilhaft, um sich an die gewünschte Systemleistung schrittweise heranzutasten. Dabei sollten zur Lösung des Problems sowohl verschiedene algorithmische Ansätze berücksichtigt werden als auch die Tatsache, dass kleine Änderungen an den Parametern eines Algorithmus bereits große Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Systems haben.

Natürlich folgt im Rahmen eines KI-Projektes, wie auch in klassischen Softwareprojekten, nach der Implementierung, aber auch schon im Prozess der Entwicklung, eine Evaluation bzgl. der Zielvereinbarungen. Speziell an KI-Systemen ist jedoch der nicht binäre Erfolgsfaktor. Arbeitet das System ausreichend gut? Wie verhält sich der Transfer von Trainingsumgebung zu Produktion? Kann ich mein System in Zukunft einfach verbessern? Häufig sind diese Fragen erst mit einem ersten Prototypen zu beantworten, bieten aber das nötige Feedback das System auszubauen, abzuändern oder in manchen Fällen auch zu verwerfen.

Keine Angst vor Prototyping

In vielen Unternehmen steht vor einer Projektzusage eine Return-on-Investment-Analyse. Dies ist bei klassischen Projekten oft sinnvoll, um den Unternehmenserfolg zu maximieren. Bei innovativen Projekten mit KI-Bezug hat sich gezeigt, dass der potenzielle Erfolg nur schwer abzuschätzen ist. Die Entwicklung von Managementmethoden, wie Effectuation, haben geholfen, mit Unsicherheiten besser planen zu können. Jedoch führt dies nicht zur besseren Abschätzung des späteren Gewinns. Das gilt ebenfalls für die Festlegung des nötigen Aufwands, um ein Ziel zu erreichen. Simpel gesprochen, bedeutet Innovation hierbei das Fehlen von umfangreichen Erfahrungswerten. Um das durch den Mangel an Erfahrung einhergehende wirtschaftliche Risiko eines solchen Projekts klein zu halten, empfiehlt es sich, diese in Form kleiner Prototypen und durch Rapid Prototyping zu entwickeln.

Insbesondere bei KI-Projekten kann sich durch die Natur der stochastischen Modelle, die als Grundlage Künstlicher Intelligenz dienen, eine prototypische Entwicklung als hilfreich erweisen. Sie ermöglicht einen frühzeitigen Abgleich von Erwartungshaltung und Leistung der KI. Dies steht im deutlichen Kontrast zu herkömmlichen, deterministischen Systemen und unserem, über die vergangenen Jahrzehnte antrainierten Verständnis über deren Zuverlässigkeit. Dabei ist die Entwicklung kleiner Prototypen, neben einer großen Anzahl an verfügbarer Software für schnelle Entwicklung (MQTT, Node-RED, usw.), nicht auf rein digitale Strukturen beschränkt. Häufig interagieren KI-Systeme mit der echten Welt – sei es im Rahmen der Datenerhebung, zur Laufzeit oder danach. Günstige Mikrocontroller und Einplatinencomputer sowie zahlreiche Sensoren oder unbürokratische Fertigungsverfahren wie der 3D Druck ermöglichen es, das KI-System bereits im Prototypenstadium an die reale Welt zu koppeln.

Aufbau der Hardware-Komponenten der Info Point Rallye
Aufbau der Hardware-Komponenten der Info Point Rallye
(Bild: Infomotion)

Bei Infomotion wurde in kurzer Zeit die Info Point Rallye entwickelt. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus Hard- und Software, die das klassische Stempelkarten-Prinzip digitalisiert. Das für Messen und Konferenzen entworfene System besteht aus einer größeren Menge an Raspberry Pis mit Kameras, die in einem individuellen Gehäuse an Informationsständen platziert werden können und dort registrierte Besucher erkennen. Ein KI-System sucht dabei im Hintergrund nach in einer Datenbank hinterlegten Bildern von registrierten Nutzern.

Die Transformation zum KI-Unternehmen

Der Kulturwandel innerhalb des Unternehmens kann weder alleine durch das Management noch durch die Umsetzer erfolgen. Vielmehr geht es darum, dass ein Experimentieren mit KI-Leuchttürmen ohne überhöhte Erwartungshaltung ermöglicht wird und Mitarbeiter motiviert werden, kreative Lösungen zu entwickeln. Wir haben das erreicht, indem selbst Berater die Möglichkeit erhalten über interne Projekte Lösung auf Basis von KI aufzubauen. So ist es Infomotion gelungen, das Abstempeln von Bonuskarten abzuschaffen und Besuchern ein KI-Erlebnis zu bieten. Das ist für Unternehmen mit allen Reifegraden möglich, da der Wandel in kleinen Schritten startet und diejenige Ressource im Unternehmen stärkt, die einen Wandel umsetzen kann: die Mitarbeiter des Unternehmens.

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Die Autoren

Dr. Nicolai Erbs
Dr. Nicolai Erbs
( Bild: Infomotion )

Dr. Nicolai Erbs ist als Lead Consultant bei Infomotion für die Beratung im Bereich Machine Learning und Künstliche Intelligenz tätig. Er war zuvor sieben Jahre im universitären Kontext, zwei Jahre als freiberuflicher Berater und zwei Jahre als Geschäftsführer und CTO in einem Start-up beschäftigt.






Julian Kling
Julian Kling
( Bild: Infomotion )

Julian Kling ist als Werkstudent bei Infomotion im Bereich Big Data, Maschine Learning und Rapid Prototyping im Einsatz und beschäftigt sich in seinem Masterstudium an der Goethe Universität Frankfurt mit Künstlicher Intelligenz.

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