Kommentar von Dr. Sebastian Tramp, Eccenca Big Data braucht semantische Technologien
Big Data beschränkt sich oft auf das bloße Sammeln von Massendaten. Häufig können die Daten gar nicht sinnvoll ausgewertet werden und damit ist auch die Ableitung neuer Erkenntnisse aus solchen Daten schwierig. Wenn das Internet of Things und Visionen wie Smart Citys Realität werden sollen, brauchen wir deshalb semantische Technologien. Verschiedene Pilotprojekte arbeiten derzeit daran, wie die Überführung von Big Data in Anwendungen im Alltag aussehen könnte.
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Die Antwort auf Internet of Things (IoT) und Smart Data heißt nicht (nur) Big Data. Denn mit Big Data, also sehr großen Mengen an Daten, die heterogen sind, keine einheitliche Strukturierung aufweisen, unterschiedliche Komplexitätsgrade besitzen und aus ganz verschiedenen Quellen stammen, sind wir noch meilenweit vom IoT entfernt. Smart ist das noch lange nicht. Für den Sprung von „big“ zu „smart“, von „data lake“ zu „Datenanwendung“, von „Datensilo“ zu „Linked Data“ benötigen wir vor allem zwei Fähigkeiten:
- 1. Die Verknüpfung von unterschiedlich strukturierten Daten aus heterogenen Quellen sowie
- 2. die Verknüpfung unterschiedlicher Anwendungen, Systeme und Nutzer.
Aktuelle Projekte im Rahmen der semantischen Forschung, wie Linked Enterprise Data Services (LEDS) oder bIoTope, konzentrieren sich deshalb auf drei daran angelehnte Themen:
- 1. Entwicklung einer Verlinkungsautomatik, um verschiedene Datenquellen bzw. Anwendungen miteinander verknüpfen zu können (LEDS).
- 2. Entwicklung eines effizienten Managements von Hintergrunddaten, also Daten und Datenquellen aus dem offenen Web (LEDS).
- 3. Entwicklung eines Systems von Systemen, in dem neue Systeme (sprich: Anwendungen und Dienstleistungen) entwickelt werden können (bIoTope).
Die Städte Lyon und Helsinki könnten in dieser Hinsicht in den nächsten Jahren zum Vorzeigemodell für eine Smart City werden. Im Februar dieses Jahres fiel in Lyon unter anderem der Startschuss für das Pilotprojekt „Smarter Together“, bei dem sich auch Wien und München beteiligen. Das von der EU geförderte Projekt zielt darauf ab, die Lebensqualität der Bürger durch die Verwertung von Smart Data im öffentlichen Raum zu steigern und die Städte damit zukunftsfähig zu machen.
Im Rahmen des bIoTope-Projektes, an dem ein Partner aus dem LEDS-Konsortium ebenfalls beteiligt ist, möchten Lyon und Helsinki zudem ein digitales Ökosystem aus offen zur Verfügung stehenden Daten schaffen. Dieses Ökosystem soll Unternehmen die Möglichkeit geben, durch Lizenzierung der öffentlichen Daten eigene Geschäftsmodelle und Dienstleistungen zu entwickeln und anzubieten.
Smarte Parkplatzsuche in Lyon
Die ersten Schritte hat Lyon bereits erfolgreich umgesetzt. So können die Bürger Lyons auf dem Portal Données métropolitaines du Grand Lyon Einsicht in eine Vielzahl statistischer Daten zur Stadt nehmen und diese als Datensätze in verschiedenen Formaten herunterladen.
Auf einer weiteren Seite können sich Interessierte in Echtzeit über die Verkehrslage in Lyon informieren und die beste Route durch die Stadt finden. Zusätzlich stellt die Stadt den Bürgern live die aktuellen Belegungsdaten von Parkhäusern zur Verfügung. Jedoch stehen diese Daten aktuell nur unübersichtlich als Datensammlung zur Verfügung und werden nicht aufbereitet und über Apps oder Services nutzbar gemacht.
Der entscheidende Schritt zu einer nutzerfreundlichen Bereitstellung dieser Daten soll nun innerhalb des Projekts bIoTope verwirklicht werden: das Verknüpfen der öffentlichen Daten mit Apps und anderen Software-Anwendungen wie zum Beispiel Navigationssystemen.
Ziel ist dabei, in Zukunft eine echte Live-Nutzung und Verknüpfung von aktuellen Daten zu ermöglichen. Als möglicher Use Case ließe sich hier das folgende Szenario entwickeln: Ein Unternehmer aus dem zwei Stunden entfernten Genf hat 17:30 Uhr ein Geschäftsessen mit einer potenziellen Geschäftspartnerin im Zentrum von Lyon vereinbart. Er fährt zu diesem Termin mit Auto und möchte zuvor noch bei einem seiner B2B-Kunden am Rande der Innenstadt vorbeischauen. Der Unternehmer ist selten in Lyon und kennt weder die Straßenführung, noch die aktuelle Verkehrssituation und Parkhäuser der Stadt. Er schaltet bei Abfahrt sein Navigationsgerät an. Dieses wählt sich nach Eingabe der Zielparameter in das IoT-Ökosystem der Stadt Lyon und sucht ihm automatisch die zeitlich und räumlich optimale Route heraus.
Das klingt im ersten Moment nicht sonderlich fortschrittlich, die entscheidenden Unterschiede zu einer normalen Navigationsfunktion sind jedoch:
- Die Routenführung passt sich dynamisch und mit höherer Genauigkeit an, je nachdem wie das aktuelle Verkehrsaufkommen, die Baustellensituation und der zeitliche Verlauf der Fahrt ist.
- Der Unternehmer erhält automatisch Vorschläge zu Parkhäusern in der Nähe seiner Ziele – abhängig davon, wie stark belegt diese aktuell und statistisch gesehen bei der Ankunft sind und wie optimal er damit beide Termine miteinander verbinden kann (ohne nochmals umzuparken).
Der damit angebotene Service ist somit immer aktuell, prognostisch (durch statistische Auswertung der aktuellen und vergangenen Daten aus dem Data Lake) und individuell.
E-Mobility ohne Wartezeit in Helsinki
Mit der zunehmenden Verbreitung von elektrischen Autos wird auch der Bedarf an Ladestationen steigen. Doch nicht nur die Anzahl an Ladestationen ist beim Thema E-Mobility wichtig. Da elektrische Fahrzeuge gegenüber herkömmlichen Fahrzeugen eine geringere Reichweite aufweisen, sind auch eine verbesserte Routenführung und optimales Lademanagement entscheidend. Dabei geht es um die folgenden Fragestellungen, die in einem konkreten Pilotprojekt beantwortet werden sollen:
- 1. Besitzer von elektrischen Autos oder Motorrädern: Welche für ihr jeweiliges Fahrzeug passende Ladestation ist aktuell oder in nächster Zeit verfügbar?
- 2. Wie können zusätzliche Dienste zur Verfügung gestellt werden, um die Ladezeit sinnvoll und entspannt zu verbringen?
Für Frage 1 bedarf es eines dynamischen, prognostischen Austausches zwischen Fahrzeug und IoT-Ökosystem Helsinki zu den Informationen:
- Welche Ladestation benötigt das Fahrzeug? Ein BMW sollte zum Beispiel nicht versehentlich zu einer Tesla-Station geschickt werden.
- In wie viel Kilometern benötigt das Fahrzeug eine Ladestation? Hier könnten unter anderem auch statistische Daten zur Bremsenergie-Rückgewinnung mit einfließen.
- Welche Ladestationen sind bei Ankunft frei? Wenn zum Beispiel eine Ladestation bereits besetzt ist, kann dem Fahrer die Information errechnet werden, ab wann die Ladestation wieder verfügbar ist. Das ist gerade dann sinnvoll, wenn der Fahrer sich mit seinem Fahrzeug zum Beispiel noch auf dem Weg in die Stadt befindet. Es geht also nicht nur darum, den Status Quo der Stationsbelegung auszuliefern, sondern prognostisch zu erfahren, ab wann die Station wieder frei ist bzw. ob die Station bei Ankunft verfügbar ist.
- Wie kann verhindert werden, dass zwei Fahrzeuge gleichzeitig auf dieselbe Ladestation zusteuern?
Die zweite Frage zu den Dienstleistungen betrifft vor allem Informationen für den Zeitraum während des Aufladens. Nicht immer wohnt oder arbeitet der Fahrzeughalter in der Nähe. Und mit zunehmend schnelleren Aufladezeiten geht es in Zukunft auch nicht mehr darum, mehrere Stunden auszufüllen, sondern vielleicht nur noch dreißig Minuten. Aber auch diese möchte man als Fahrzeughalter gerne sinnvoll und angenehm verbringen.
Die Daten zu den Ladestationen sollen deshalb im Sinne von Linked Data mit weiteren Informationen angereichert werden. Beispielsweise könnten Informationen zu Restaurants, Cafés und Geschäften in der Nähe (sowie deren Öffnungszeiten) bereitgestellt werden. Dieses Informationsangebot könnte das Auto also eigenständig abrufen und zur Optimierung seiner eigenen Routenplanung im angeschlossenen Navigationssystem heranziehen oder sogar schon Ladestationen gemäß Bedarf reservieren.
Die Semantik hinter dem IoT-Ökosystem
Um die Funktionsfähigkeit der IoT-Dienste sicherstellen zu können, bedarf es jedoch einer semantischen Bearbeitung und Strukturierung aller Daten. Denn für beide Pilotprojekte gilt:
- Die Unmengen an Daten müssen um semantische Metadaten erweitert werden. Die Daten für die Dienste werden aus unterschiedlichen Datenquellen (Stationen der Stadt, von privaten Betreibern, von Unternehmen, von öffentlichen Einrichtungen, offene Quellen im Netz) stammen und verschiedene Informationstypen (Standort, Zustand, Ausstattung, Tarif, Belegung) aufweisen. Diese müssen zur Weiterverarbeitung semantisch annotiert werden.
- Es muss berücksichtigt werden, dass in dem IoT-Ökosystem viele weitere Informationen zur Verfügung gestellt werden, die für andere Dienste genutzt werden. Das können neben den Daten zum Verkehr und der Ladestationsbelegung auch Emissionsdaten, Energieflussdaten aus erneuerbaren Energien oder Daten des öffentlichen Nahverkehrs sein. Aus diesen Unmengen verschiedener Daten und Dienste muss deshalb das Fahrzeug selbstständig jene heraussuchen können, die für den Fahrzeughalter relevant und nutzbar sind. Das bedeutet, dass die implizit in den Daten enthaltenen Verlinkungen ebenfalls explizit gemacht werden müssen.
Grundsätzlich soll deshalb ein offenes Vokabular auf Basis des Resources Description Frameworks (RDF) zum Einsatz kommen, welches die Semantik der Ladestationsdaten in Triple und Quads beschreibt. Über eine weitere Datenaufbereitung durch semantische Werkzeuge sollen die Daten dann für andere Systeme (Navigationssystem, Bordcomputer) zur Verfügung gestellt werden.
Als Datenaufbereitungsservice, auf den Datenproduzenten (z. B. Ladestationen) und Datenkonsumenten (z. B. Navigationssysteme) gleichermaßen zugreifen können, um Daten auszutauschen, soll eine Streaming Data Platform eingesetzt werden. Die Schnittstellen zwischen den Applikationen und der Plattform werden innerhalb des bis Juni 2018 laufenden Projekts Linked Enterprise Data Services entwickelt und umgesetzt. Das nächste Ziel ist, diese Integrationsarchitektur möglichst auch im bIoTope-Projekt zu nutzen. Unternehmen, die eigene Services innerhalb des IoT-Ökosystems (System im System) anbieten möchten, sollen damit unproblematisch und einheitlich in das bestehende System eingebettet werden können.
Die Ergebnisse der ersten Pilotprojekte zur Smart City werden spätestens Anfang 2019 vorliegen, wenn das bIoTope-Projekt abgeschlossen wird.
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