Kommentar von Andreas Puke & Rachel Boskovitch Automatisiertes Liquiditätsforecasting durch Machine Learning

Von Andreas Puke & Rachel Boskovitch |

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Weniger Zeitaufwand, höhere Qualität: Das sind die Ziele des automatisierten Liquiditätsforecasting mit Machine Learning. Der Schlüssel ist eine Synergie von Mensch und Modell, denn noch kann die KI nicht alle Herausforderungen selbstständig bewältigen.

Beim Automobilkonzern AMAG Group AG wird das Liquiditätsforecasting bei Automobil-Importen per Machine Learning automatisiert, um so das Risikomanagement zu erleichtern.
Beim Automobilkonzern AMAG Group AG wird das Liquiditätsforecasting bei Automobil-Importen per Machine Learning automatisiert, um so das Risikomanagement zu erleichtern.
(Bild: AMAG Group AG)

KI und Machine Learning als fester Teil des Unternehmens – das ist langfristiges Ziel der AMAG Group AG – dem größten Anbieter individueller Mobilitätslösungen in der Schweiz. Zu diesem Zweck arbeitet der Automobilkonzern seit 2019 am Aufbau einer Community aus Data Scientists und Citizen Data Scientists. Innerhalb der kollaborativen Data-Science-Plattform Dataiku DSS setzt ein Team aus Data Scientists und Controllern gemeinsam mit der Universität Sankt Gallen den ersten Use Case um. Das Liquiditätsforecasting bei Automobil-Importen soll mittels Machine Learning automatisiert werden, um das Risikomanagement zu erleichtern.

Automatisierung statt Excel-Tabelle

Das Forecasting ist Teil des Liquiditätsmanagements und dient dazu, Finanzierungsbedarfe frühzeitig zu erkennen und die Finanzplanung entsprechend abzustimmen. Für Unternehmen ist sie essenziell, um die Liquidität sicherzustellen. Vor Einführung der Machine-Learning-Lösung wurde das Forecasting-Modell seitens der Controlling-Abteilung jeweils aus Excel-Daten zusammengetragen und monatlich manuell aufbereitet – ein Prozess, der im Regelfall bis zu fünf Arbeitstage in Anspruch nahm und damit wertvolle Zeit und Ressourcen blockte. Um zudem die Qualität des Forecasting zu erhöhen, entschied sich die AMAG Group für die Automatisierung der Liquiditätsplanung durch Machine Learning.

Bei diesem ersten Use Case in Dataiku DSS sollten drei Hautziele erreicht werden: Die Vorbereitungszeit des Forecasts sollte von fünf Tagen auf einen Tag reduziert werden, um die Forecasting-Zyklen und damit das Liquiditätstracking zu erhöhen. Zweitens sollten die Kosten des Forecastings gemindert werden, um die zeitlichen Ressourcen der Teams für Aktivitäten mit mehr Wertschöpfung nutzen zu können. Drittens sollte die Genauigkeit, also der RMSE erhöht und interaktive Forecasting-Analysen bereitgestellt werden.

Pfeiler der Zusammenarbeit: Eine kollaborative Plattform

Zum Start des Projekts wurden zunächst Daten aus verschiedenen Datenquellen gesammelt und direkt in Dataiku DSS importiert. Die Plattform bereitet die Daten automatisiert auf. Neben Daten aus dem System für Bestellabwicklung und dem Handelssystem wurden auch Daten der Hersteller bezüglich der Produktionseinplanung eingebunden, die Produktionsstandorte sind jeweils als Feature in den Daten enthalten. Auch die Entwicklung des Forecasting-Modells wurde direkt in Dataiku DSS umgesetzt. Hier lieferte ein Random Forest die besten Ergebnisse und weist eine hohe Robustheit auf.

Das Modell errechnet den Forecast jeweils wöchentlich am Sonntagabend, die Ergebnisse fließen direkt in das Forecasting-Modell ein. Der Output des Modells wird dem Team Data & Advanced Analytics anschließend über ein interaktives Dashboard direkt in der kollaborativen Plattform Dataiku DSS zur Verfügung gestellt. Diese Lösung bietet sich für die Zusammenarbeit verschiedener Geschäftsrollen besonders an, da auch Teammitglieder mit geringem Data-Science-Wissen, mit den Ergebnissen arbeiten können. Aus dem Forecasting-Modell kann die AMAG Group direkt ableiten, ob Handlungsbedarf besteht: Ist der Bedarf an Liquidität geringer als der Liquiditätspuffer, muss nichts unternommen werden – andernfalls müssen Maßnahmen ergriffen werden.

80 Prozent mehr Genauigkeit durch Machine-Learning-Modell

Im Backtest mit echten Daten liefert das Modell gute Ergebnisse: Während der durchschnittliche Fehler pro Woche mit der herkömmlichen Methodik bei 20 Prozent lag, konnte er im Machine-Learning-Modell auf zwölf Prozent gesenkt werden. Im relevanten Forecasting-Zeitraum von acht Wochen war sogar eine Senkung von sechs Prozent auf nur ein Prozent im automatisierten Forecasting-Modell möglich.

Der Mehrwert der Automatisierung zeigt sich zirka sechs Monate nach Projektstart bei der Implementierung des Modells. Einerseits konnte durch die Automatisierung ein höher frequentiertes Tracking der Liquidität erreicht werden: Wie geplant, wurde die Vorbereitungszeit auf nur einen Tag reduziert. Das senkt nicht nur die Kosten, sondern schafft auch freie Ressourcen bei den Mitarbeitern. Zudem weicht die Summe der prognostizierten Mittelabflüsse nur noch um minus ein Prozent von den tatsächlichen Abflüssen ab. Für das Unternehmen ergeben sich daraus bedeutende Vorteile: Unter demselben Liquiditätsrisiko wird nun deutlich weniger Working Capital benötigt.

Zusammenspiel zwischen Mensch und Modell

Bei allen Erfolgen durch die Automatisierung mittels Machine Learning ergaben sich während des Projektes auch Hürden. Die größte Herausforderung bestand aus der Integration bestimmter sporadisch vorkommender Effekte und weichen Faktoren, die das Modell nur sehr eingeschränkt wahrnehmen kann. Ein Beispiel hierfür wären die Corona-bedingten Produktionsausfälle im Frühjahr 2020 oder ganz aktuell eine Chip-Knappheit, von der Mitarbeiter aus dem Controlling durch den Flurfunk wissen. Obwohl Faktoren wie Saisonalität bereits im Modell berücksichtigt sind, kennt es solche Sonderfälle nicht und kann diese somit nicht einbeziehen. Deshalb hat sich die AMAG Group im Verlauf des Projekts ganz bewusst dazu entschieden, auch eine menschliche Komponente in das Forecasting einzubinden. Über ein interaktives Dashboard hat die Controlling-Abteilung so jederzeit Einsicht in das Modell und dessen Outputs und kann es anhand menschlicher Erfahrung nochmals validieren und bei Bedarf anpassen.

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Obwohl das nur sporadisch passiert, war der Schritt für die AMAG Group dennoch sinnvoll: „Wir haben erkannt, dass ein Zusammenspiel aus Mensch und Modell am besten funktioniert: Der Forecast dient als wertvolles Hilfsmittel bei der täglichen Arbeit – dennoch haben wir den Controlling ganz bewusst eine gewisse Entscheidungsfreiheit gelassen, um auch weiche Faktoren mit einbeziehen zu können“, erklärt Andreas Puke, IT Architecture Manager und Leiter des Projektes seitens der AMAG Group.

Die Zusammenarbeit koordinieren

Neben den mit Machine Learning vertrauten Teams waren auch das Controlling sowie die Universität Sankt Gallen als externer Partner bei der Entwicklung an Bord. Die Herausforderung bestand einerseits darin, die Zusammenarbeit und gemeinsame Entwicklung effizient zu koordinierten und andererseits auch Rollen, die weniger Einblicke in Machine Learning als solches haben, zur Mitarbeit zu befähigen. Diese Demokratisierung wurde durch die Zusammenarbeit in einem zentralen, kollaborativen Tool ermöglicht. Es stellt Ergebnisse so zur Verfügung, dass jeder – unabhängig von seinem Machine-Learning-Wissen – in der Lage ist, das Tool anzuwenden. Regelmäßige Videocalls, eine kontinuierliche Dokumentation und eine nachvollziehbare Kommunikation innerhalb der kollaborativen Plattform haben eine effiziente Organisation erleichtert.

Dieser erste Case war nur der Startpunkt für die Data Community der AMAG Group. Auch heute trifft sich das interdisziplinäre Team aus Experten aus der IT, Business Intelligence, IT und Data Science gemeinsam mit Citizen Data Scientists aus den verschiedenen Business Units einmal monatlich. Die Idee dahinter ist, den Business Units Raum zu geben, eigene Ideen für Use Cases vorzustellen und sich interdisziplinär über Datenthemen und neue Anwendungsmöglichkeiten auszutauschen. Der Einsatz von Machine Learning zum Liquiditätsforecasting hat mit guten Ergebnissen überzeugt, entsprechend befinden sich weitere Projekte bereits in der Umsetzung oder Planung – darunter die datengetriebene Mengenplanung sowie das Scoring im Bereich Garantie und Kulanz.

Die Data Community ist ein gutes Beispiel für die teamübergreifende Zusammenarbeit bei Machine Learning Projekten. Sie zeigt, dass Datenprojekte künftig nicht mehr in Silos stattfinden müssen und dass bereits effiziente Lösungen existieren, die alle Teams zur Mitarbeit befähigen.

Die Autoren

Rachel Boskovitch
Rachel Boskovitch
(Bild: Photographer: www.edward-park.com)

Rachel Boskovitch leitet das Zentraleuropa-Team bei der Enterprise-AI Plattform Dataiku.











Andreas Puke
Andreas Puke
(Bild: AMAG Group AG)

Andreas Puke ist IT Architecture Manager der AMAG Group AG, dem größten Anbieter individueller Mobilitätslösungen in der Schweiz.

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