Kommentar von Dr. Sebastian Feld, Ludwig-Maximilians-Universität So können sich Unternehmen jetzt schon auf Quantencomputing vorbereiten
Seit einiger Zeit liefern sich Akteure aus Forschung und Wirtschaft einen Wettlauf um die Quantentechnologie, an dessen Ende die Revolution der Informationstechnik stehen soll. An den Forschungsprojekten sind oft große Konzerne oder ganze Staatengemeinschaften beteiligt, wie etwa die EU mit ihrem kürzlich gestarteten „OpenSuperQ“. Doch was erhofft man sich vom Quantencomputing und wie können sich der Mittelstand und KMUs auf die neue Technologie vorbereiten?
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Ein Quantencomputer greift bei seinen Berechnungen auf Effekte der Quantenphysik zurück. Während ein klassischer Computer mit Bits arbeitet, die den Wert 1 oder 0 annehmen können, arbeitet ein Quantencomputer mit Qubits, die gleichzeitig 1 und 0 sein können. Dieser Effekt wird Superposition genannt. Darüber hinaus kann sich der Zustand eines bestimmten Qubits auch auf den Zustand eines anderen Qubits auswirken, was man als Verschränkung bezeichnet.
Grundsätzlich sind diese zwei Effekte die Ursache, warum Quantencomputer viel schneller rechnen können als klassische Computer. Wichtig bei der Diskussion um Quantencomputer ist allerdings die Tatsache, dass es zwei grundlegend unterschiedliche Konzepte gibt. Es existieren Quantencomputer, die auf dem Quantum Gate Model basieren. Diese können wie universelle Computer angesehen werden, nur eben mit der Fähigkeit, Quanteneffekte zu nutzen. Außerdem gibt es noch Computer, die auf dem adiabatischen Theorem basieren. Dabei handelt es sich um sogenannte Quantum Annealer – Maschinen, die genau eine spezielle Klasse von Problemen lösen können, nämlich kombinatorische Optimierungsprobleme. Beide Konzepte dieser neuartigen Art der Berechnungen bergen viel Potenzial.
Erste Schritte aus dem Labor – zumindest in der Theorie
In den vergangenen Jahren gab es im Bereich Quantencomputing beeindruckende Fortschritte. Unternehmen wie Google, IBM und Microsoft arbeiten an der Produktion von Quantencomputern nach dem Prinzip des Quantum Gate Model. Das sind universelle Computer, deren Geräte bis zu 72 Qubits leisten. Darüber hinaus mischen Unternehmen wie die kanadische Firma D-Wave Systems im Bereich Quanten Annealer mit. Diese besitzen um die 2.000 Qubits, sind jedoch nicht universell, sondern allein auf die Lösung kombinatorischer Optimierungsprobleme ausgelegt. Beide Gattungen verlassen allmählich die Labore der Unternehmen und werden der Wirtschaft zugänglich.
Die Einsatzfähigkeit von Computern im Quantum Gate Model ist für die Wirtschaft derzeit noch stark beschränkt. Einsatzmöglichkeiten dieser Quantencomputer sind etwa das Suchen in Datenbanken oder das Faktorisieren von Zahlen, eine Grundlage für die Verschlüsselung von Informationen. Konkrete Ergebnisse sind allerdings derzeit theoretischer Natur. Anders bei Quantum Annealern: Hier wurden jüngst Forschungsergebnisse vorgestellt, die sich auf die Optimierung der Abfertigung von Flugzeugen an großen Flughäfen oder des Verkehrsflusses in Straßennetzen beziehen. Nun stellt sich die Frage, wie KMUs im Bereich Quantencomputing agieren können, die keine große Forschungsabteilung besitzen. Meine Forderung: Beschäftigen Sie sich aktiv mit dem Thema Quantencomputing, auch wenn Sie vielleicht keine direkte Wertschöpfung erkennen. Jedenfalls jetzt noch nicht.
1. Raus aus dem Trend, rein in die Praxis
Ein erster Zugang zur Anwendbarkeit von Quantencomputing ist die Analyse der eigenen Geschäftsprozesse und Fragestellungen. Nicht der Eifer um ein Buzzword sollte die Motivation sein, sondern der praktische Einsatz von Quantencomputing im Unternehmen. Quantencomputer sind mit Sicherheit kein Allheilmittel, denn auch sie können nicht „einfach so“ die kompliziertesten Fragestellungen lösen. Denn: Diese hoch spezielle Technologie muss „richtig“ angewendet werden und erst beim korrekten Einsatz bei passenden Problemen kann Quantencomputing seine Stärke voll entfalten. Sehen Sie sich die Fragestellungen und Prozesse Ihres Unternehmens an und analysieren Sie, welche grundlegenden Probleme dahinterstecken.
Dieses Sezieren ist enorm wichtig, um dem Quantencomputer die richtige Frage zu stellen. Suchen Sie Probleme, bei denen die optimale Lösung schwer zu finden ist. Solche „Anwendungsfallermittlungen“ werden derzeit von Unternehmen, aber auch von Forschungseinrichtungen und Universitäten angeboten. Teams junger Wissenschaftler helfen zum Beispiel bereits KMUs und Konzernen dabei, die Optimierungsbrille aufzusetzen und geeignete Anwendungsfälle zu finden. Erarbeiten Sie gemeinsam Prototypen und bewerten Sie das entsprechende Potenzial, um gut vorbereitet zu sein, wenn die Skalierung der Hardware ausgereift ist. Apropos Optimierung: Auch wenn die Praxistauglichkeit von Quantencomputern noch begrenzt sein mag, die gedankliche Transformation der domänenspezifischen Probleme eines Unternehmens in Optimierungsprobleme kann Unternehmen jeglicher Art schon heute helfen!
2. Kampf um Talente – nicht um Quanten!
Die Hersteller von neuen Technologien, seien es Quantencomputing oder Künstliche Intelligenz, preisen ihre Erfindungen in den höchsten Tönen. Das ist zweitrangig, denn die genauen Fähigkeiten einer Technologie werden erst durch den Menschen zur Realität. Kämpfen Sie nicht um die beste Technologie, sondern kämpfen Sie um die besten Menschen. Denn von deren Know-how wird der Einsatz Ihrer Quantencomputer letztlich abhängen. Das entsprechende Fachpersonal muss ausgebildet werden und zwar lieber früher als später. Suchen Sie früh den Kontakt zur Forschung und kooperieren Sie in kleinen Demos, um Wissenstransfer zu ermöglichen: Die Universitäten bilden die künftigen Spezialisten aus und Ihre Mitarbeiter lernen durch die gemeinsam durchgeführten Projekte. Frühzeitige Kooperationen und somit die kooperative Ausbildung bindet Experten langfristig an Unternehmen – auch im kleinen Format, etwa bei der Betreuung einer Abschlussarbeit. An Lehrstühlen der Informatik wie an der LMU München, aber auch in anderen Städten und Ländern, wird genau dies schon jetzt praktiziert.
3. Interdisziplinäres Arbeitsfeld Quantum Computing: Teamwork ist gefragt
Beim Thema Quantencomputing gilt: Alleine hat man es schwer. Das Thema ist interdisziplinär und Unterstützung aus unterschiedlichen Domänen ist notwendig. Im Idealfall sollte grundlegendes Hintergrundwissen bezüglich der Technik von Quantencomputern (Physik), Expertise für die korrekte Verwendung der Technologie (Informatik), Kompetenz im Bereich effizienter Problemlösung (Mathematik) sowie selbstverständlich detailliertes Wissen bezüglich des anzugehenden Problems (Domänenwissen) vorhanden sein. Suchen Sie sich Unterstützung aus mindestens den genannten Themenbereichen und lernen Sie gemeinsam aus Erfahrungen. Denn die größte Schwierigkeit im Bereich der Anwendung von Quantencomputing ist die Tatsache, dass es keine standardisierte Vorgehensweise gibt (Best Practice) und auch keine etablierten Produkte „off the shelf“. Um die Suche nach Unterstützung und den Austausch von Erfahrung zu erleichtern, gibt es Formate unterschiedlicher Natur. Hervorragend geeignet sind Netzwerktreffen wie die DIGICON 2018, eine Digitalisierungskonferenz für die Wirtschaft rund um die Themen Quantencomputing, Data Mining und Reinforcement Learning. Lernen Sie gemeinsam aus Erfahrungen, seien es Erfolge oder Fehler!
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