Kommentar von Luuk Houtepen, SThree Recruiting bleibt ein Prozess zwischen Menschen
Das Fax kam, dann wurde alles anders. Als sich in den 80er-Jahren die Telefax-Geräte in deutschen Unternehmen verbreiteten, schlug die Geburtsstunde von „Big Data“ im Personalbereich. Und das, lange bevor ein Gedanke über Big Data zum ersten Mal gedacht wurde, lange bevor das Internet seinen Siegeszug antrat und lange bevor man bei der Menge verfügbarer Daten überhaupt von „big“ sprechen konnte.
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Und dennoch: Das Faxgerät legte erstmals die technische Grundlage dafür, dass der Versand von Informationen an viele Empfänger nur noch einen Bruchteil an Kosten mit sich brachte im Vergleich zum bis dahin üblichen Versand auf dem Postweg. Das Prinzip „ein Absender, viele Empfänger“ war geboren. Und mit ihm begann der Einzug von Kennziffern in das Recruiting.
Die neue Telekommunikationstechnik ließ es erstmalig zu, dass einzelne Teilschritte in diesem Prozess messbar wurden. Personalverantwortliche in Unternehmen und Recruiting-Dienstleister fanden Antworten auf Fragen wie: Wie viele Anzeigen muss ich schalten und wie viele Faxe muss ich versenden, um 100 aussagekräftige Bewerbungen für eine Stelle zu erhalten? Wie hoch sind die Ausgaben dabei? Wie viele Interviews mit Bewerberinnen und Bewerbern muss ich führen, um den idealen Kandidaten für eine offene Stelle zu finden? Und wie viele „ideale Kandidaten“ müssen gefunden werden, um eine Stelle auch tatsächlich zu besetzen?
Das strategisch-planerische Arbeiten mit solchen Kennzahlen erhielt eine neue Bedeutung im Personalbereich; bis dahin hatte es seine Heimat vor allem im unternehmerischen Controlling, wo mithilfe von Daten Kostenstellen, Marktanalysen oder Wettbewerbspositionen bewertet wurden.
„Very Small Data“
Bei den verfügbaren Daten im Bereich der „Human Ressources“ kam man in aller Regel mit zwei- bis dreistelligen Kennziffern aus: 100 eingegangene Bewerbungen gleich 25 Einladungen zu Interviews gleich vier aussichtsreiche Kandidaten für eine offene Stelle. So sahen entsprechende Rechenmodelle aus, die im Vergleich zur heutigen Ausgangslage „very small Data“ sind.
Obwohl die Arbeit mit Kennziffern damals noch in den Kinderschuhen steckte, gingen pessimistische Prognosen für die Personalbranche davon aus, dass sich das Geschäftsmodell der Recruiter überlebt habe. Was für ein Irrtum! Denn selbst heute, 30 Jahre später und mitten im Big-Data-Zeitalter, ist die Personalvermittlung immer noch ein Prozess zwischen Menschen.
Erstaunlich, denn mit der technischen Innovation des Internets und der Nutzung von E-Mails begann die eigentliche Revolution in der datengestützten Personalarbeit. Anfang der 2000er-Jahre trat das Internet seinen Siegeszug in die deutschen Haushalte und Büros an. Arbeitnehmer und Unternehmen waren nicht nur online, sie hinterließen auch ihre Spuren im Internet – die Geburtsstunde von Big Data. Angetrieben von vier wichtigen Entwicklungen in der Online-Welt konnten Daten fortan systematisch beobachtet, gesammelt, analysiert und ausgewertet werden.
- 1. Die Ausbreitung des Internets: Im Jahr 2004 waren erstmalig mehr als die Hälfte der deutschen Haushalte mit einem Internetzugang versorgt. Bis zum Jahr 2009 stieg dieser Anteil auf 75 Prozent. In der für das Recruiting interessanten Zielgruppe der Berufstätigen lag dieser Anteil noch höher. Experten gehen davon aus, dass Mitte der ersten Dekade des neuen Jahrtausends nahezu jeder Berufstätige Zugang zum Internet hatte – entweder zu Hause oder im Büro.
- 2. Das Entstehen der Stellenbörsen: Ähnlich wie der Werbemarkt in anderen Branchen verlagerten sich auch die Stellenanzeigen seit Beginn der 2000er-Jahre ins Internet. Monster, Stepstone & Co. verfügen heute über riesige Datenbanken. Darin sind nicht nur Daten von Unternehmen hinterlegt, sondern – je nach Art des Jobportals – auch Profile von Arbeitnehmern und Stellensuchenden.
- 3. Internet 2.0 und Social Media: Die schnelle Verbreitung von Social-Media-Angeboten strahlte auch in die Berufswelt hinein – und somit ins Recruiting. Plattformen wie XING (im deutschsprachigen Raum) und LinkedIn (weltweit) richten sich ausdrücklich an Berufstätige. Die dort hinterlegten Profile bilden mittlerweile nahezu das gesamte Potenzial an Berufstätigen für mittlere und höhere Positionen ab
Software-Anbieter reagierten auf diese Entwicklung und brachten Programme auf den Markt, die die nun verfügbaren Daten auswerten konnten – auch für die Nutzung im Personalbereich. Die ersten Angebote erschienen bereits vor rund zehn Jahren.
Automatisierung von Teilbereichen
Mit ihrer Hilfe wurde erstmalig ein erster wichtiger Teilbereich des Recruitings automatisiert, nämlich die Recherche und Auswertung potenzieller Bewerber-Profile. Bestimmte Signale, die für das Matching zwischen offener Stelle und dem Bewerberpool entscheidend sind, konnten IT-gestützt erkannt und gewichtet werden: Wie weit ist die Entfernung zwischen dem Wohnort eines möglichen Kandidaten und dem mutmaßlichen Arbeitsplatz? Wann wurde das Profil in den Sozialen Medien oder Online-Stellenbörsen zum letzten Mal erneuert? Ist der in Frage kommende Kandidat erst seit kurzem auf Stellensuche oder schon länger? Rechnerleistung und intelligente Programme brachten diese Fülle an Informationen nun in eine Reihenfolge und erleichterten den Personalvermittlern den Aufwand.
Das Überraschende ist: Daran hat sich bis heute nichts Entscheidendes geändert. Die Automatisierung von Recruiting-Prozessen findet am Anfang statt – alles Weitere macht nach wie vor der Mensch. Und das, obwohl die Macht der Algorithmen mittlerweile viele Branchen erreicht hat. So hat der Online-TV-Sender Netflix Aufsehen damit erregt, indem er Datenanalysen als Grundlage nahm, um eine komplette Fernsehserie zu produzieren: Die Macher von „House of Cards“ konnten anhand der Streaming-Vorlieben des Netflix-Publikums zugunsten von bestimmten Formaten und Regisseuren den Erfolg der Serie schon prognostizieren, bevor die erste Folge gedreht war.
Auch die Politik wurde vom Daten-Sturm erobert: Den Anfang machte der US-Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama 2012. Die Kampagnen-Manager nutzen Informationen über Wohnort, Automarke oder Lieblingsreiseziele von Wählern, um daraus Präferenzen zugunsten von Demokraten oder Republikanern herauszulesen. Mit Erfolg.
Nicht alles ist messbar
So beeindruckend die Anwendungen der Datenanalyse und -nutzung heute sind, so gilt für das Recruiting immer noch: It's a people's business! Und das hat einen einfachen Grund: Die Entscheidung für einen Arbeitgeber (oder die Entscheidung für einen Arbeitnehmer) hängt von unendlich vielen Faktoren ab. Nur ein Teil davon lässt sich durch harte Fakten abbilden: Die Größe eines Unternehmens, die Branche, die unternehmerischen Kennzahlen, die wichtigsten Leistungen und Produkte – all diese Informationen sind natürlich für einen Bewerber wichtig, um zu entscheiden, ob ihn eine offene Stelle interessiert oder nicht.
Doch das Betriebsklima, die Atmosphäre in der Abteilung oder das Verhältnis zum Vorgesetzten lassen sich nicht in abprüfbare Daten fassen. Gleiches gilt, wenn man es von der anderen Seite aus betrachtet: Qualifikation und Berufserfahrung eines Kandidaten kann man aus dem Lebenslauf herauslesen. Bei den Persönlichkeitsmerkmalen wird es schon schwieriger – ob am Ende die Chemie stimmt, weiß man erst, nachdem man sich kennengelernt hat. Das „Produkt Mensch“ ist nicht einfach messbar. Und das ist nur ein Grund dafür, dass die Suche nach passenden Mitarbeitern auch weiterhin ein Prozess zwischen Menschen bleibt:
- Die verfügbaren Daten, auf die bei der Besetzung offener Stellen zurückgegriffen wird, bilden in aller Regel nur technisch-fachliche Fakten ab. Um eine hohe Treffsicherheit für das Matching zwischen offener Stelle und passendem Kandidaten zu erreichen, benötigen Personalentscheider und Recruiter Wissen über die „weichen Faktoren“.
- Diese weichen Faktoren, die vor allem die Persönlichkeitsstruktur eines Kandidaten betreffen, könnten zumindest teilweise über Fragebögen auch online erfasst werden. Jedoch führt die hohe Sensibilität im deutschsprachigen Raum im Hinblick auf den Datenschutz dazu, dass solche Fragebögen nur selten ausgefüllt werden. Kaum jemand outet sich gern im Internet als extrovertiert oder introvertiert, als analytisch oder emotional, als teamfähig oder individualistisch.
- Arbeitgeber haben oft sehr genaue Vorstellungen davon, was ihr idealer Bewerber mitbringen soll. Sie verraten es jedoch nicht immer in den offiziellen Formulierungen einer Stellenanzeige – auch aus Sorge vor möglichen rechtlichen Folgen.
- Personalentscheider in Unternehmen ebenso wie Recruiting-Dienstleister können anhand von Interviewtechnik und Gesprächsführungsmethoden viele solcher Persönlichkeitsmarkmale in Erfahrung bringen. Das telefonische Interview mit einem Bewerber oder – als Königsweg – das persönliche Gespräch bleiben deshalb nach wie vor die entscheidenden Bausteine auf dem Weg zu einer erfolgreichen Stellenbesetzung.
Fazit
Big Data, Software und Algorithmen sind wichtige Helfer im Personalbereich, wenn es um die erste Stufe im Recruiting geht: Recherche, Analyse und Vorauswahl passender Kandidaten. Dort wird die Bedeutung der IT in Zukunft weiter zunehmen. Doch kein Automatisierungsverfahren dieser Welt kann bisher dieses sehr komplexe Zusammenspiel von emotionalen und mentalen Faktoren abbilden, die zum Tragen kommen, wenn Menschen miteinander in Kontakt treten. An dieser Stelle werden auch in Zukunft erfahrene Personalprofis gefragt bleiben.
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