Künstliche Intelligenz in Bayern Mit voller Kraft in die Baiosphere

Von lic.rer.publ. Ariane Rüdiger Lesedauer: 6 min |

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Bayern möchte sich im Bereich KI-Forschung, -Entwicklung und -Anwendung bundesweit an die Spitze setzen. Helfen soll dabei ein frisch etabliertes bayernweites KI-Netzwerk, das die Initiatoren anspielungsreich „Baiosphere“ genannt haben.

Das Projekt Baiosphere will Bayern – im Bild die bayerische Landeshauptstadt München – zu einem der führenden KI-Standorte weltweit machen.
Das Projekt Baiosphere will Bayern – im Bild die bayerische Landeshauptstadt München – zu einem der führenden KI-Standorte weltweit machen.
(Bild: frei lizenziert / Pixabay)

Im Vorfeld des ersten größeren KI-Kongresses in Bayern und überhaupt in Deutschland, ai.bay23 in München Ende Februar, wurde das bayernweite KI-Netzwerk Baiosphere im Rahmen einer Presseveranstaltung der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das Netzwerk ist ein weiterer Beleg dafür, dass sowohl die bayerische Landesregierung als auch alle bayerischen KI-Akteure das KI-Thema als große Chance begreifen. So wurde KI-Forschung bereits 2019 als Schwerpunkt der Hightech-Agenda Bayern 2019 definiert.

Baiosphere strebt nun die gezielte Verstärkung des landesweiten Netzwerks an, das sich auf KI-Themen konzentriert. Neu etabliert wurde deshalb ein Bayerischer KI-Rat mit Beteiligten aus Forschung und Industrie.

Weiteres Standbein ist die KI-Agentur, die bereits 2019 gegründet wurde. Sie ist für Kommunikation und Marketing, Netzwerkunterstützung und Aktivierung zuständig. Und nicht zuletzt dafür, das liebe Geld einzuwerben und für Technologietransfer universitärer Erkenntnisse zu sorgen.

Bayerischer KI-Rat: Wissenschaft und Industrie

Im Bayerischen KI-Rat finden sich namhafte Exponenten der universitären und außeruniversitären Forschung und industrielle Anwender, die Bürgergesellschaft ist nicht vertreten. Den Vorsitz hat Prof. Dr. Ing. Sami Haddadin, Professor für Robotics und Direktor des Münchner Instituts für Robotik und maschinelle Intelligenz der TU München.

Repräsentiert durch hochrangige Vertreter sind im Rat weiterhin die Universitäten Augsburg und Würzburg, die Universität für angewandte Wissenschaften in Kempten, die Universität Bamberg, die Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München, das Helmholtz-Zentrum München, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die Fraunhofer-Institute für angewandte und integrierte Wissenschaft (AISEC), für integrierte Schaltkreise (IIS) und für kognitive Systeme (IKS) sowie das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. Außerdem gehören Vertreter von Siemens, Roche, Google, IBM Watson, VW, BMW und Narvis zu dem Gremium.

Vier Forschungs-Knotenpunkte

Im Rahmen der Baiosphere-Initiative wurden vier neue Knotenpunkte als Zentren der universitären KI-Forschung definiert. Sie bearbeiten jeweils einen thematischen Schwerpunkt: München mit LMU, TU und Helmholtz-Zentrum sowie zahlreichen Unternehmen befasst sich mit dem Thema Robotik. Die Leitung dieses Themenbereichs übernimmt Prof. Dr. Sami Haddadin.

Mobilität ist in Ingolstadt zu Hause und wird von Prof. Dr.-Ing. Michael Botsch verantwortet. In Würzburg wird man sich mit Grundlagenproblemen der Data Science befassen. Diese Aufgabe übernimmt Prof. Dr. Andreas Hotho. Und schließlich geht es in Erlangen-Nürnberg vor allem um Gesundheit. Hier ist Prof. Dr.-Ing- Andreas Maier federführend.

Dr. Michael Klimke, Geschäftsführer der Bayerischen KI-Agentur: „Wir haben weitere 100 Professuren für KI-Themen in Bayern geschaffen.“
Dr. Michael Klimke, Geschäftsführer der Bayerischen KI-Agentur: „Wir haben weitere 100 Professuren für KI-Themen in Bayern geschaffen.“
(Bild: Rüdiger)

Dr. Michael Klimke, seit Mai vergangenen Jahres Geschäftsführer der Bayerischen KI-Agentur, wies auf die weltweite Strahlkraft des bayerischen Netzwerks hin. „Wir haben weitere 100 Professuren für KI-Themen in Bayern geschaffen. Insgesamt befassen sich hier nun 800 Professuren mit Themen rund um die KI. Das ist mehr als im gesamten übrigen Bundesgebiet zusammen.“ Ziel aller Bestrebungen sei, so Klimke, eine menschenzentrierte, innovative und nachhaltige Robotik, die zentrale Herausforderungen unserer Zeit angeht.

München ist Robotik-Leuchtturm

Besonders im Bereich Robotik habe Bayern und insbesondere München eine Leuchtturmfunktion. „Wir haben 20.000 Studenten, die Robotik studieren, sind hier in Europa Nummer 1 und weltweit auf dem sechsten Platz.“ In den Jahren 2018 bis 2022 seien in München allein zehn neue Robotik-Start-ups entstanden. 960 Millionen Euro Investitionen seien schon in die Branche geflossen.

Neben TUM und LMU gebe es weitere Träger wichtiger Forschung, etwa das Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt oder die Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI.

Auch in der Ausbildung gibt es vielversprechende Initiativen. So zieht die Munich School of Data, ein Kolleg der TU München, pro Durchgang mehrere Hundert Bewerber an, von denen zehn Prozent genommen werden. Klimke: „Das ist dann wirklich die Elite.“

Individuelle Reaktion auf Medikamente prognostizierbar

Mit den vielfältigen Herausforderungen, die KI im Gesundheitswesen zu lösen versucht, befasste sich coronabedingt in einem interaktiven Video-Kurzvortrag Prof. Dr. Fabian Theis, der 2023 mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis ausgezeichnet wurde. Theis ist Leiter des Computational Health Center und Direktor des Instituts für Computational Biology am Helmholtz-Zentrum in München. Er leitet ein Team von 35 Gruppenleitern, die wiederum einzelne Forschungsprojekte mit eigenen Teams durchführen. 10,5 Millionen Euro Drittmittel für sein Institut konnte er bereits einwerben.

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Theis hob heraus, dass der Einsatz von KI in der Medizin und Pharmazie unglaubliche Fortschritte gemacht hat. „Wir können heute mithilfe großer Datenmengen und geeigneter Algorithmen prognostizieren, wie und wo sich spezifische Teile des individuellen Genoms unter dem Einfluss von Medikamenten verändern.“ Zudem koste es inzwischen nur noch einige Hundert Euro, ein komplettes Genom zu sequenzieren. Dadurch ließen sich erheblich mehr Genomdaten generieren als bislang.

So arbeite man beispielsweise an einem Zellatlas, der Zustand und Organwirkungen auf Zellebene bei spezifischen Erkrankungen sichtbar machen soll, also wie sich bestimmte Zellen im Verlauf einer bestimmten Erkrankung verändern. Finde man erst einmal heraus, wo genau sich die gesunde von der kranken Entwicklung trenne, können man exakt dort einschreiten und die Erkrankung bereits auf Zellebene sozusagen rückabwickeln.

Nur fünf Prozent der Medizindaten entstehen in der Forschung

Das Thema Health und KI vertiefte Dr. Anna Bauer-Mehren, Head of Data Science bei Roche Pharma. Ziel der Entwicklungen ist bei Roche das individuell passende Medikament für alle Patienten. Allerdings steht dem im Weg, dass sehr viele Medizindaten niemals den Weg in die Datenbestände finden, die der medizinischen oder Pharmaforschung zugänglich sind.

Bauer-Mehren steht hinter einem vielversprechenden Projektantrag, um die Infrastruktur für die Einbindung beispielsweise von Daten, die in Praxen oder anderswo außerhalb des Forschungsbetriebs entstehen, zu verbessern. „Auch ich habe Ärzte, die sich noch alles auf einer Karte notieren. Diese Daten werden niemals der Forschung dienen“, bedauert sie. Intelligentes Tracking und Mobilapps stünden aber im Begriff, den Weg zu neuen Datenpools zu öffnen. Das ist dringend nötig, denn, so Bauer-Mehren: „Nur fünf Prozent der medizinischen Daten werden in der Forschung generiert.“

Mathematische Grundlagen erforscht die LMU

Prof. Dr. Gitta Kutyniok, Bayerischer Lehrstuhl für Mathematische Grundlagen von KI an der LMU, kam von Berlin nach München: „Die Zuverlässigkeit von KI als Grundlage für vielfältige Anwendungen steht im Mittelpunkt meiner Arbeit.“
Prof. Dr. Gitta Kutyniok, Bayerischer Lehrstuhl für Mathematische Grundlagen von KI an der LMU, kam von Berlin nach München: „Die Zuverlässigkeit von KI als Grundlage für vielfältige Anwendungen steht im Mittelpunkt meiner Arbeit.“
(Bild: Rüdiger)

So strahlend ist Münchens KI-Ruf, dass selbst namhafte Lehrende von anderswo den Weg nach hier antreten. Ein Beispiel ist Prof. Dr. Gitta Kutyniok, die den Bayerischen Lehrstuhl für Mathematische Grundlagen von KI an der LMU innehat. Zuvor war sie in Berlin. An München lobt sie die hervorragende Vernetzung und die Unterstützung durch die politische Sphäre.

Ihr wichtigstes Thema ist die Zuverlässigkeit von KI, also deren Sicherheit, Robustheit, oder Erklärbarkeit. Hier sei ein tiefes mathematisches und theoretisches Verständnis nötig. Auch daran, wo die digitale KI ihre Grenzen hat und welche Probleme mit analogen Rechnern, sprich: Quantencomputing, bearbeitet werden müssen, wird geforscht. Ein weiteres Thema sind theoretische Fehlerschranken und Robustheitsanalysen von KI.

Ein wichtiger Exponent der Entwicklung sei hier die Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI. Sie bietet ein strukturiertes Programm zur Erlangung von Master und Doktorgrad an und wird unter anderem von Kutyniok geleitet. Der DAAD fördert die Einrichtung als eine von drei Zuse Schools in Deutschland mit 13,8 Millionen Euro über drei Jahre. „Wir hoffen natürlich alle, dass sich diese Förderung verstetigt“, meinte Kutyniok.

Industrielle KI-Anwendung profitiert

Schließlich referierte Thomas Hahn, Siemens, Co-Vorsitzender des Bayerischen KI-Rates die industrielle Perspektive. In der Industrie wird KI vor allen Dingen zur Optimierung hochkomplexer Prozesse eingesetzt und häufig am Edge implementiert. Als Beispiel nannte Hahn die Beschickung von und die prozessgerechte Entnahme aus komplexen Waren- oder Werkzeuglagern. Eine zweite prototypische Anwendung ist die Erkennung komplexer Objekte mit Deep Learning, um beispielsweise anschließend optimale Greifpunkte für das Handling dieser Gegenstände herauszufinden.

Neben der praktischen Seite und der technischen Weiterentwicklung hält es Hahn auch für wichtig, Einsichten des KI-Rates an die Politik zurückzuspielen. Beispielsweise wenn sich zeige, dass bei manchen Problemen nicht die Suche nach dem perfekten Algorithmus die Lösung ist, sondern eine zweckdienliche Regulierung des jeweiligen Sachverhalts.

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