Kommentar von Dr. Nicole Wittenbrink, VDI/VDE Innovation + Technik GmbH Wie KI die Finanzbranche nachhaltiger gestalten kann
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Für die Finanzbranche hat das Thema Nachhaltigkeit eine entscheidende Bedeutung, vor allem im Hinblick auf die Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Finanzinstitute und die Begleitung des Übergangs zu einem nachhaltigen und klimaresistenten Wirtschaftssystem. Die Berücksichtigung von sogenannten ESG-Kriterien aus den Bereichen Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) unterstützt Investorinnen und Investoren dabei, nachhaltige und zukunftsorientierte Anlageentscheidungen zu treffen. Künstliche Intelligenz kann dazu beitragen, bestehende Ansätze zu optimieren. Das Projekt safeFBDC aus dem KI-Innovationswettbewerb des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) widmet sich im Rahmen eines Anwendungsfalls dieser Aufgabe.

Zukunftsfähigkeit, ökologische Unternehmensverantwortung, resiliente Lieferketten und Produkttransparenz– Nachhaltigkeitsthemen begegnen uns tagtäglich auf allen Kanälen. Sowohl Unternehmen verschiedenster Branchen als auch Regierungen und staatliche Organisationen greifen verstärkt auf verschiedene Mittel zurück, um diese globalen Herausforderungen zu adressieren. Ein Beispiel hierfür ist die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren im Rahmen von Kredit- und Investitionsentscheidungen. Die Finanzbranche ist ein Wirtschaftsbereich, der sich bisher überwiegend auf strategischer Ebene mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst hat.
Dass der Finanzsektor nur geringen Einfluss auf Nachhaltigkeitsthemen hat, ist ein Trugschluss: Tatsächlich können Anlegerinnen und Anleger mit ihrem Kapitaleinsatz fundamental beeinflussen, wie nachhaltig die Realwirtschaft agiert. Lange Zeit fehlte es jedoch an den nötigen Instrumenten und Vergleichsmöglichkeiten, um Anlegenden die Investitionen in nachhaltige Wertpapiere zu erleichtern. Das hat sich inzwischen geändert: Dank der ESG-Kriterien für die Bereiche Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) erhalten Investorinnen und Investoren nun einen Überblick darüber, wie nachhaltig Unternehmen, Staaten oder börsennotierte Organisationen handeln und können entsprechend entscheiden, ob ihre Gelder den Nachhaltigkeitszielen tatsächlich zugutekommen.
Nachhaltigkeit als unverzichtbarer Bestandteil der Kapitalanlage
Das Prinzip ist vergleichsweise einfach: In der Lebensmittelbranche sind Gütesiegel, wie etwa Bio oder Fair Trade, seit Jahrzehnten allgemein etabliert und Verbraucherinnen und Verbrauchern bekannt. Was Bio-Siegel im Allgemeinen sind, sind ESG-Kriterien im Besonderen. Organisationen, die mit Wertpapieren oder anderen Finanzprodukten handeln, müssen strenge Kriterien erfüllen, um sich selbst als ESG-performant bezeichnen zu dürfen. Die Maßstäbe, die dabei angelegt werden, können dabei von Branche zu Branche variieren – wichtig ist das Umfeld, in dem das jeweilige Unternehmen tätig ist. Der CO2-Abdruck, der Anteil an erneuerbaren Energien, die Einhaltung von ökologischen Richtlinien und andere Umweltthemen spielen im Energiesektor eine größere Rolle als etwa in der Textilbranche.
In allen Wirtschaftsbereichen wird im Rahmen der Nachhaltigkeitsbewertung die Qualität der Unternehmensführung als wichtiges Kriterium herangezogen (Governance). Dies bedeutet, dass Korruption, Bestechung oder Geldwäsche Ausschlusskriterien für ein ESG-Siegel sind. Für die Bewertung der Stärken und Schwächen sozialen und nachhaltigen Handels von Unternehmen und Staaten sind sogenannte Nachhaltigkeits-Ratingagenturen verantwortlich, die anders als herkömmliche Ratingagenturen neben den ökonomischen Dimensionen auch ökologische Aspekte mit in ihre Evaluierung aufnehmen. Investorinnen und Investoren erhalten bei der Anlage in mehr Nachhaltigkeit mehr Transparenz, denn bei einer gewünschten nachhaltigen Investitionsstrategie werden Titel ohne ESG-Siegel von der Anlageberatung von vorneherein aussortiert.
Genauere und umfangreichere ESG-Kriterien dank KI-Technologie
In der Praxis bestehen allerdings noch einige Hürden beim effektiven Einsatz von ESG-Kriterien, denn eine exakte Berechnung verschiedener Faktoren gestaltet sich teilweise noch schwierig. Anlegerinnen und Anleger erhalten noch nicht die umfangreiche Übersicht, die wirklich nachhaltige Investitionen einfacher macht. So lässt sich zwar die Klimawirkung von Investitionen inzwischen recht genau bestimmen, die Auswirkungen von Anlagen auf etwa die Biodiversität, den schonenden Umgang mit Rohstoffen oder die Schaffung fairen Arbeitsbedingungen jedoch nicht oder nur bedingt. Oft fehlt es noch an der notwendigen Datengrundlage. Auch kann im Rahmen einer ESG-Bewertung noch nicht adäquat abgebildet werden, inwiefern sich verschiedene Nachhaltigkeitsdimensionen beeinflussen, sodass Anlegerinnen und Anleger gezielt in bestimmte ökologische oder soziale Anliegen investieren könnten. Digitale Technologien wie Künstliche Intelligenz können in Kombination mit gut zusammengestellten, möglichst großen Datensätzen dazu beitragen diese Lücken zu schließen – und somit die Transparenz weiter zu erhöhen.
Das Projekt safeFBDC, das im Rahmen des KI-Innovationswettbewerbs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert wird, entwickelt aktuell entsprechende Lösungen. Das vom Frankfurter TechQuartier geleitete Konsortium besteht u. a. aus Partnern wie der Deloitte Consulting GmbH, der Deutsche Börse AG und der Frankfurt School of Finance and Management sowie jungen innovativen Start-ups. Gemeinsam erforscht das Projekt den Einsatz cloudbasierter Lösungen für die Mobilisierung und KI-gestützte Analyse großer Datenmengen von Finanzmarktteilnehmern. In diesem Kontext werden unter anderem Modelle entwickelt, die die Finanzbranche sicherer und nachhaltiger machen. So sollen etwa Anwendungen entstehen, die Finanzinstitute, Behörden oder Unternehmen der Realwirtschaft bei der Geldwäschebekämpfung, der Verhinderung von Marktmanipulationen oder beim Risikomanagement unterstützen. Die Anwendungen sollen zukünftig über eine digitale Plattform mit integriertem Marktplatz angeboten und bereitgestellt werden.
Ein zentraler Entwicklungsgegenstand von safeFBDC sind insbesondere Lösungen zur Optimierung der bestehenden ESG-Bewertungsverfahren und zum Schließen der im Hinblick auf die ESG-Bewertung noch vorhandenen Datenlücken. Aktuell werden dazu zwei Forschungsstränge verfolgt: Zum einen soll der Austausch ESG-relevanter Daten zwischen Finanzinstituten erleichtert werden, zum anderen sollen sichere und datenschutzkonforme Kanäle entstehen, um entsprechende Finanzdaten sowohl der Realwirtschaft als auch der Finanzbranche zugänglich zu machen. Ziel der beiden Ansätze ist der Aufbau einer zentralen ESG-Datenplattform mit einer umfangreichen Datenbasis. Dort soll es den KI-Anwendungen möglich sein, ESG-Bewertungen wesentlich genauer vorzunehmen, zusätzliche ESG-Daten zu generieren und Nachhaltigkeitsaspekte von Wertpapieren wesentlich detaillierter für Anlegerinnen und Anleger aufzuschlüsseln.
Einfluss und Beliebtheit von ESG-Titeln wachsen
ESG-Kriterien zeigen bereits jetzt große Wirkung: Vor allem unter privaten Investoren und Investorinnen erfreuen sich ESG-Finanzprodukte großer Beliebtheit, wobei sich entsprechende Investitionen im vergangenen Jahr fast verdreifachten – Tendenz steigend. So wird auch der Markteinfluss dieser Finanzprodukte mehr und mehr für die jeweiligen Unternehmen und Organisationen spürbar. Der wachsende Kapitalfluss in nachhaltige Titel übt zunehmenden Druck aus, Produkte, Services und Geschäftsmodelle ökologisch und sozial nachhaltig zu gestalten. Derweil weisen auch Finanz- und Anlageberatungen sowie Fondsmanagende verstärkt darauf hin, dass es sich lohnt in mehr Nachhaltigkeit zu investieren und den ESG-Trend ernst zu nehmen.
Nicht erst seit der Einführung der ESG-Kriterien zeichnet sich ab, dass nachhaltig agierende Börsenteilnehmer bessere Wachstumschancen und höhere Renditen erzielen als weniger ökologisch und sozial orientierte Unternehmen. Eine Verbesserung bzw. Optimierung der ESG-Bewertung, wie sie von Projekten wie safeFBDC angestrebt wird, kann entsprechende Geldanlagen noch attraktiver machen und somit den Druck auf börsennotierte Unternehmen, Volkswirtschaften und sonstige Organisationen weiter erhöhen. Die Finanzbranche kann somit einen aktiven Beitrag zur globalen Nachhaltigkeitswende leisten.
Über den KI-Innovationswettbewerb:
Mit dem Innovationswettbewerb „Künstliche Intelligenz als Treiber für volkswirtschaftlich relevante Ökosysteme“ (KI-Innovationswettbewerb) leistet das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einen zentralen Beitrag zur schnellen Umsetzung der KI-Strategie der Bundesregierung. Ziel ist es, die Anwendung Künstlicher Intelligenz in allen volkswirtschaftlich relevanten Wirtschafsbereichen voranzutreiben und sich dabei besonders an den Erfordernissen und Möglichkeiten der zahlreichen mittelständischen Unternehmen in Deutschland zu orientieren.
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