Kommentar von Bernhard Rawein, Adesso Künstliche Intelligenz zum Mitnehmen

Von Bernhard Rawein

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Make or buy – diese drei Worte fassen eine der zentralen Fragestellungen für Entscheiderinnen und Entscheider zusammen: Welche Produkte und Services erstellt ein Unternehmen in Eigenregie? Welche kauft es auf dem Markt ein? Für etablierte Prozesse, Technologien und Dienstleistungen ist die Situation klar: Unternehmen greifen für das Fällen dieser Entscheidung auf einen Erfahrungsschatz und ausgearbeitete Regelwerke zurück. Anders ist die Situation bei neuen, wenig erprobten Szenarien.

Der Autor: Bernhard Rawein ist Senior Platform Manager Data & AI bei der Adesso SE
Der Autor: Bernhard Rawein ist Senior Platform Manager Data & AI bei der Adesso SE
(Bild: Adesso)

Anwendungen auf KI-Basis bringen das Potenzial mit, Prozesse zu verändern. Die Spannweite reicht vom Automatisieren von Standardverfahren in der Sachbearbeitung bis zum Schaffen gänzlich neuer Geschäftsmodelle. Zahlreiche Unternehmen testen aktuell die Möglichkeiten von KI für ihre Anforderungen aus. Häufig ist der Mangel an KI-Fachleuten der Engpassfaktor für das Umsetzen von KI-Initiativen. Der Einsatz von fertigen, konfigurierbaren KI-Services ist eine Möglichkeit, wie die Verantwortlichen mit dem angespannten Arbeitsmarkt für KI-Experten umgehen können.

Intelligenz als Alternative

Definierte KI-Services aus der Cloud können für Unternehmen eine Alternative sein. Sie helfen dabei, vorhandenes KI-Know-how effizienter einzusetzen beziehungsweise den Mangel an Kompetenzen auszugleichen. KI-Services – sogenannte „AI as a Service“ (AIaaS) – sind ein Ansatz, der die benötigten KI-Funktionen „aus der Steckdose“ liefert. So wie heute selbstverständlich beim Bau von Hardware auf definierte, bereits funktionsfähige und getestete oder sogar zertifizierte Bauteile zurückgegriffen wird, kann AIaaS auch beim Aufbau von KI-Lösungen die Geschwindigkeit und Flexibilität erhöhen und den Bedarf an Spezialisten verringern. Ähnliche Konzepte gibt es in anderen IT-nahen Bereichen seit längerer Zeit als IaaS für Infrastruktur oder SaaS für Business Software.

Die dafür nötigen Application Programming Interfaces (APIs) sind lange etabliert und werden zunehmend auch für Massendaten optimiert: Neben den etablierten REST APIs, die heute vielfach für die Anbindung von Services verwendet werden, steht mit GraphQL schon der mögliche Nachfolger mit entsprechenden Vorteilen in den Startlöchern. Eine API erleichtert das Implementieren und das Warten von Software: Die definierte Schnittstelle kapselt die Komplexität der Implementierung ab, um die sich der Nutzer genauso wenig kümmern muss wie um Updates oder Neuentwicklung des Service hinter der API – solange die Systeme die Daten definitionsgemäß austauschen.

Die Einsatzmöglichkeiten vorkonfigurierter KI-Anwendungen lassen sich an einem Beispiel veranschaulichen: Eine Versicherung plant, ihren Kunden einen Service zum Erfassen von Belegen anzubieten. Versicherte reichen per App die fotografieren Belege für die Schadensprüfung ein. Ein System extrahiert die auf den Belegen erfassten Informationen wie Datum, Name, Anschrift, Rechnungs- oder Vorgangsnummern. Diese Angaben überträgt die Lösung automatisch in ein Formular. Der Versicherte prüft die Einträge, korrigiert sie gegebenenfalls und schickt die Meldung ab. Einige Informationen auf den Belegen sind handschriftlich notiert, beispielsweise Erläuterungen. Das Erkennen und Auswerten dieser Notizen ist ein typisches Einsatzgebiet für eine KI-Anwendung.

Das Team, das die Versicherungsanwendung entwickelt, entscheidet sich dazu, für diese Handschriftenerkennung auf einen vorkonfigurierten und -trainierten KI-Service zu setzen. Im KI-Kontext bringt der Einsatz solcher Services Vorteile mit sich. Der weitreichendste: Die Komplexität von KI-Verfahren verschwindet hinter der Schnittstelle. Anwender müssen die statistischen Modelle oder mathematischen Ansätze nicht vollständig verstehen oder selber aufbauen. Sie profitieren trotzdem von ihrem Einsatz.

Darüber hinaus bringt der Einsatz solcher KI-Modelle noch weitere Vorteile mit:

  • Aktuelle Anwendungen: Im KI-Umfeld verändern sich Angebote und Einsatzszenarien mit atemberaubender Geschwindigkeit. Um hier von neu verfügbaren Frameworks zu profitieren, müssen Unternehmen im großen Maßstab in KI-Know-how investieren. Über das API-Modell greifen sie dagegen automatisch auf alle Updates oder verbesserte Verfahren zurück.
  • Kurze Entwicklungsprojekte: Der Einsatz von Out-of-the-box-KI-Services reduziert die Zeit, die Teams für das Entwickeln einer Anwendung benötigen. Die Experten integrieren fertige KI-Services und konzentrieren sich auf das Gestalten des Gesamtprozesses.
  • Geringe Kosten: Exakte Kostenvergleiche zwischen der Eigenentwicklung von KI-Komponenten und dem Einsatz API-basierter Anwendungen sind nicht möglich. Tendenziell erfordern vorkonfigurierte Lösungen ein geringeres Investment in IT-Infrastruktur und KI-Fachwissen. Insbesondere verteilen nutzungsbasierte Abrechnungsmodelle den Aufwand über einen langen Zeitraum. Dies senkt die Kostenhürde zu Projektbeginn.

Die oben beschriebene Handschriftenerkennung ist ein Beispiel für vorkonfigurierte KI-Anwendungen. Die Auflistung gibt einen Überblick über typische Szenarien:

  • Umgang mit Texten: Rund um das Erkennen, Verstehen, Analysieren oder Übersetzen von geschriebener Sprache gibt es zahlreiche KI-API-Dienste. Sie unterstützen Unternehmen dabei, die Inhalte aus unstrukturierten Texten zu extrahieren, die Bedeutung zu verstehen und die Informationen für die Weiterverarbeitung aufzubereiten.
  • Umgang mit Sprache: Beim Verarbeiten der Sprache spielen KI-Dienste ihre Stärken aus. Dazu gehören unter anderem die Spracherkennung und das Übertragen gesprochener Worte in lesbaren Text. Es existieren Angebote für das Erstellen von Transkriptionen aus Audio- und Videoaufzeichnungen oder der Echtzeitübersetzung eines laufenden Dialoges.
  • Umgang mit Bildern oder Videos: Das Erkennen von Bildinhalten – seien es Menschen, Tiere, Gegenstände oder Röntgenaufnahmen – ist eine Paradedisziplin für KI-Lösungen. Vortrainierte KI-Services identifizieren nicht nur konkrete Personen, sondern geben direkt auch Hinweise auf deren Alter, Geschlecht oder Stimmungslage.

Mittlerweile etablierte sich ein unüberschaubarer Markt an API-basierten Angeboten. Softwaregiganten wie Microsoft, IBM, Google oder Amazon bieten KI-Lösungspakte an. Sie unterscheiden sich durch die technischen Grundlagen und haben unterschiedliche Stärken und Schwächen, aber vergleichbare Portfolios. Neben diesen thematisch breit aufgestellten Generalisten etablierten sich zahlreiche Spezialisten auf dem Markt. Ihr Fokus liegt häufig auf engen, anwendungsspezifischen Anwendungsfällen wie Natural Language Programming (NLP) oder branchenspezifischen Angeboten wie kognitives Schadenmanagement.

Die Schattenseiten

Den Vorteilen stehen Risiken beziehungsweise Besonderheiten bei Auswahl und Einsatz von Out-of-the-box-KI-Services gegenüber.

  • Abhängigkeit: Wenn Unternehmen sich bei kritischen KI-Prozessen auf externe Angebote verlassen, kann das zu ungewollten Abhängigkeiten führen. Prozesse beruhen dann zu wesentlichen Teilen auf Elementen, den die Verantwortlichen nicht unter Kontrolle haben. Wie Algorithmen arbeiten, auf welcher Basis sie welches Ergebnis liefern, ist für den Kunden weitestgehend nicht nachvollziehbar (Stichwort Blackbox).
  • Wacklige Anbieter: Welche Anbieter sich langfristig etablieren, ist gerade bei Nischenangeboten nicht abzusehen. Die Wahl des richtigen Partners kann sich schwierig gestalten. Auch wenn KI-Services für Unternehmen ein hohes Maß an Flexibilität mitbringen, sorgt ein – ungeplanter – Wechsel für Probleme im laufenden Betrieb.
  • Eigene Innovationskraft: Die Bequemlichkeit von API-Angeboten kann negative Auswirkungen haben. Um Ideen und Einsatzmöglichkeiten zu finden, ist es für bestimmte Anwendungsfälle notwendig, sich mit den Grundlagen zu beschäftigen und die Weiterentwicklung zu verfolgen. Die Gefahr besteht, dass die Experten abgehangen werden, wenn sie sich beim Thema KI-Maßstab auf externe Services verlassen.
  • Rechtliche Bedenken: Nicht in jedem Umfeld ist der Einsatz von Out-of-the-box-Lösungen möglich. So können datenschutzrechtliche Aspekte gegen das Nutzen von Angeboten sprechen, die über Server im Ausland betrieben werden oder deren Angaben zum Datenschutz nicht einsehbar sind. Oder die oben beschriebene mangelnde Nachvollziehbarkeit von Ergebnissen disqualifiziert solche Lösungen für bestimmte Szenarien. Dies kann die Nutzung in stark regulierten Branchen wie im Finanz- oder Gesundheitsbereich erschweren.
  • Verarbeitungsqualität für die benötigte Sprache: Beim Verarbeiten von Text oder Sprache gibt es eine ganze Reihe KI-Services, die Anbieter für den englischen Sprachraum entwickelten. Die KI-Unternehmen erweitern das Angebot Schritt für Schritt auf andere Sprachen. Die Entscheider müssen prüfen, ob die gebotene Qualität ihren Anforderungen genügt. Viele Anbieter weisen eine Vielzahl prinzipiell unterstützter Sprachen aus, die bei genauerem Hinsehen nicht das Qualitätsniveau erreichen, das für einen professionellen Einsatz erforderlich ist.

Die Ausführungen zeigen: Out-of-the-box-Lösungen sind keine Universallösung im KI-Umfeld. Sie haben ihre Grenzen und ihr Einsatz bringt neben Vorteilen auch Risiken. Aber: Sie eröffnen Verantwortlichen Möglichkeiten, um vom KI-Einsatz zu profitieren. Das kann gerade jetzt, wo Unternehmen den Grundstein für KI-Initiativen legen, den entscheidenden Unterschied machen.

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