Personalisierte Medizin Digitalisierte Probenaufarbeitung für die Einzelzellenanalyse
Die personalisierte Medizin ist eine Schlüsseltechnologie unseres Jahrhunderts. Sie nutzt Ansätze wie die Einzelzellenanalyse, z.B. das Next-Generation-Sequencing. Auch wenn die Prozessschritte dabei sehr unterschiedlich sind, beginnen die meisten Technologien mit einem gemeinsamen Ausgangsmaterial: einzelnen Zellen.
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Jeder Mensch ist anders – auch jeder Patient. Alter, Geschlecht, physische Konstitution oder Umwelteinflüsse wirken sich auf die Entstehung und den Verlauf von Erkrankungen aus, aber auch genetische, molekulare und zelluläre Besonderheiten eines jeden einzelnen Patienten. Denn: Die genetische Ausstattung eines Menschen ist so individuell wie sein Fingerabdruck. Kaum verwunderlich also, dass zwei Menschen mit gleicher Diagnose, kaum identische Krankheitsverläufe entwickeln oder auf dieselbe Medikation in identischer Weise ansprechen werden.
Neue Möglichkeiten der molekularen Diagnostik ermöglichen es heute, die Medizin immer stärker auf das einzelne Individuum abzustimmen, sie zu personalisieren. Die personalisierte Medizin hat das Potenzial, Therapien deutlich wirksamer zu machen, den Patienten unnötige Behandlungen und Leid zu ersparen und so letztlich auch das Gesundheitssystem zu entlasten.
Diese neuen Möglichkeiten verwenden häufig Ansätze wie die Einzelzellenanalyse, z.B. das Next-Generation-Sequencing (NGS). Die meisten dieser Technologien haben ein gemeinsames Ausgangsmaterial: einzelne Zellen. Eine entscheidende Voraussetzung für Analysetechnologien oder Pharma-Screenings ist daher heute die effiziente Bereitstellung hochwertiger Einzelzellen aus Gewebeproben. Weiterhin verlangen Ansätze der personalisierten Medizin effiziente und vor allem möglichst durchgehend digitalisierte Arbeitsabläufe, um eine lückenlose Dokumentation für Medizin und Wissenschaft zu erreichen.
Der hier vorgestellte Lösungsansatz adressiert genau diese zwei entscheidenden Punkte: zum einen die Verbesserung der Gewebedissoziation und zum anderen die Digitalisierung der Laborabläufe unter Einsatz eines handelsüblichen elektronischen Laborbuches.
Vom Gewebe zur Einzelzelle
Klinische Gewebeproben zeichnen sich durch ein heterogenes Spektrum ihrer strukturellen Eigenschaften aus. Der Großteil der Gewebedissoziation wird immer noch manuell durch Skalpell und Zellsiebe durchgeführt. Neben der überwiegend manuellen Dissoziation gibt es drei alternative Methoden: die enzymatische, chemische und mechanische Gewebedissoziation. Für molekulare Analysen ist der mechanische Ansatz die bevorzugte Methode. Die Behandlung mit chemischen oder enzymatischen Reagenzien ist nachteilig, da sie dazu neigen, die Proteinmarker und -strukturen anzugreifen, die für die Markierung/Färbung und die molekularbiologische Analyse benötigt werden.
Darüber hinaus sind klinische Gewebeproben zur Gewinnung von Primärzellen oft nur in kleinen Mengen verfügbar. Aufgrund der hohen Nachfrage nach Primärzellen für Anwendungen in 3D-Zellkulturen, Hochdurchsatz-Medikamentenscreens, Zelldruck- und Organ-on-Chip-Technologien sollten Primärzellen so effizient wie möglich gewonnen werden.
Die vielfältigen Probeneigenschaften machen eine standardisierte und automatisierte Gewebeverarbeitung schwierig. Handelsübliche Systeme zur Gewebedissoziation beschränken sich auf die Medimachine (BD) und das Gentlemacs (Miltenyi Biotec) mit Nachteilen hinsichtlich Funktionalität, Automatisierungspotenzial und intelligenter Systemsteuerung.
Optimierte Dissoziation
Die von Fraunhofer IPA (Mannheim) entwickelte Tissue-Grinder-Technologie ermöglicht eine standardisierte Probenaufbereitung und anschließende Filtration in einem geschlossenen sterilen System, basierend auf Standardlaborartikeln. Der Tissue Grinder kombiniert intelligente Regelalgorithmen mit mechanischer Dissoziation, um hochwertige Einzelzellsuspensionen aus frischen, gefrorenen oder FFPE-Gewebeproben für eine Vielzahl von Anwendungen bereitzustellen. Die Kerntechnologie des Tissue Grinders ist für eine ideale Kombination von Scher- und Schnittkraft optimiert, wodurch hoch lebensfähige Zellen für die anschließende Molekularanalyse oder Kultivierung entstehen [2].
Digitalisierung der Abläufe
Die Digitalisierung von Laborarbeit verlangt geeignete elektronische Dokumentationssoftware, die den Laboralltag unterstützt und ihn nicht stört. Es lassen sich zwei Phasen unterscheiden, für die Software benötigt wird: die Entwurfsphase, in der Prozesse iterativ und umfassend entwickelt werden, und die Ausführungsphase, in der Prozesse als Experimente tatsächlich durchgeführt und dokumentiert werden.
Angesichts des beachtlichen Aufwandes verbieten sich selbstentwickelte Lösungen heutzutage fast immer. Außerdem bietet der Markt bereits ein breites Spektrum so genannter elektronischer Laborbücher (ELN), d.h. speziell auf Laboranforderungen angepasste Dokumentationssysteme (s. LP-Info-Kasten). Eine Stärke solcher ELNs ist die benutzerzentrierte, einfache und flexible Dokumentation von Experimenten, die sich stark an bekannten Textverarbeitungen wie Word orientiert. Eine Schwäche aktueller ELNs ist die meist ungenügend umgesetzte prozessorientierte Sichtweise, d.h. eine umfassende Darstellung aller zusammenhängender Laborabläufe. Somit lassen sich ELNs sehr gut für die Ausführungsphase von Experimenten verwenden, wohingegen die Entwurfsphase bisher nur ungenügend durch Software abgedeckt ist.
Die Fraunhofer-Software Merlin Process Designer, kurz Merlin, wurde entwickelt, um genau diese Lücke in der Entwurfsphase von Experimenten zu füllen. Damit können Laborabläufe vollständig digital erfasst werden, um eine durchgängige und kontinuierliche Dokumentation zu erreichen sowie die nachgelagerte konsistente Durchführung von komplexen Experimenten zu ermöglichen. Merlin unterstützt Mehrsprachigkeit während des Entwurfs sowie die zeitliche Vorausplanung von Experimenten. Prozessbeschreibungen – oft auch Protokolle, Methoden oder Standardverfahrensanweisungen (SOPs) genannt – können mittels geeigneter Konverter importiert und exportiert werden. Für die Anbindung an elektronische Laborbücher von Drittherstellern verwendet Merlin moderne webbasierte Schnittstellen. Beispielhaft wurde eine solche Anbindung mit dem kommerziell erhältlichen Produkt Rspace umgesetzt (s. Abb. 4).
Wie die Herstellung von Einzelzellsuspensionen mit dem Fraunhofer Tissue Grinder funktioniert zeigt dieses Video:
Sowohl der Tissue Grinder als auch Merlin wurden im Rahmen des Fraunhofer-internen Forschungsprojektes „Mavo Lydia HD“ entwickelt, mit dem Ziel, ein Hochdurchsatzsystem für die gewebebasierte personalisierte Krebstherapie zu schaffen [1].
Literatur:
[1] Münzenmayer, Bruns: High-throughput diagnostic system for tissue-based personalized cancer therapy, 5th Digital Pathology & AI Congress, London 2018
[2] Scheuermann: TissueGrinder – Enabling Automated, Enzyme-free Tissue Dissociation for the Provision of Building Bocks for 3D Cell Cultures and High-Throughput Screens, SLAS Advanced 3D Human Models and High Content Analysis Conference, Leiden, 2018
Dieser Artikel stammt von unserem Partnerportal Laborpraxis. Verantwortliche Redakteurin: Dr. Ilka Ottleben
* S. Schöning, S. Scheuermann: Fraunhofer IPA, Projektgruppe Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB, 68167 Mannheim
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