Kommentar von Prof. Wil van der Aalst, Celonis Digital Twins – die Zukunft schon heute durchspielen

Von Prof. Wil van der Aalst |

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In eine Glaskugel schauen und alle Eventualitäten erkennen können – nie klang diese Möglichkeit verlockender als nach über zwei Jahren Pandemie und in einer Zeit der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit. Die Unternehmen stehen vor immer neuen Herausforderungen: Plötzliche Lieferkettenengpässe, veränderte gesetzliche Anforderungen, aber auch digitale Innovationen erfordern, dass Geschäftsprozesse immer wieder überprüft, angepasst und neu gestaltet werden. Doch wie lässt sich sicherstellen, dass die vorgenommenen Änderungen auch Früchte tragen?

Der Autor: Wil van der Aalst ist Informatikprofessor an der RWTH Aachen und Chief Scientist von Celonis
Der Autor: Wil van der Aalst ist Informatikprofessor an der RWTH Aachen und Chief Scientist von Celonis
(Bild: Celonis)

Unvorhergesehene Vorfälle wie die Covid-19-Pandemie, die Blockade im Suezkanal oder Naturkatastrophen zeigen, dass Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) angesichts disruptiver Ereignisse an ihre Grenzen stoßen. Wenn es darum geht, kreativ zu sein, Entwicklungen vorauszusehen und sich diesen anzupassen, sind Algorithmen, die auf Basis herkömmlicher Trainingsdaten angelegt sind, in der Regel nicht ausreichend. Andererseits sind zuverlässige Daten und Modelle in disruptiven Situationen besonders wichtig. Um dies zu erreichen sind Digital Twins ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung: Laut Gartner handelt es sich dabei um die digitale Darstellung einer realen Einheit oder eines realen Systems. Es entsteht also ein Software-Objekt, das entweder ein physisches Objekt, einen Prozess oder eine gesamte Organisation widerspiegelt.

Der große Vorteil: Mithilfe der virtuellen Nachbildung können alle möglichen Entscheidungen relativ schnell, kostengünstig und ohne negative Folgen analysiert und bewertet werden. Man kann nach Bedarf optimieren, replizieren was funktioniert und Fehler beheben, bevor sie zu Problemen in der realen Welt werden. Das Konzept ist durchaus nicht neu. In der Luftfahrt oder in der Industrie 4.0 werden Digital Twins bereits seit längerem eingesetzt, um beispielsweise die Funktionsweise von Motoren und Anlagen zu untersuchen. Aber auch mit Systemen und Prozessen rund um Finanzen, Lieferketten und Logistik befassen sich mittlerweile digitale Zwillinge.

Die nächste Generation geht noch weiter und simuliert die reale Welt von Unternehmen und ihrer Funktionsweise. Der digitale Zwilling einer Organisation (DTO) ist damit geboren. Gartner definiert diesen „Digital Twin of an Organization“ (DTO) als ein dynamisches Softwaremodell, das sich auf betriebliche und/oder andere Daten stützt, um zu verstehen, wie eine Organisation ihr Geschäftsmodell umsetzt, auf Veränderungen reagiert, Ressourcen einsetzt und somit einen außergewöhnlichen Kundennutzen liefert.

Weg vom Objekt hin zum Prozess

Um auf disruptive Situationen bestmöglich reagieren zu können, verbinden DTOs sozusagen menschliches und automatisiertes Handeln: Sie müssen die gegebenen End-to-End-Prozesse berücksichtigen und in der Simulation darauf eingehen, wie menschliche Arbeit mit maschinellen Vorgängen zusammenwirkt. So entsteht ein resilienter Digital Twin, der auf hybride Intelligenz zurückgreift – die Intelligenz eines Menschen kombiniert mit der Intelligenz einer Maschine.

Hybride Intelligenz als Brücke zwischen menschlicher und maschineller Intelligenz, um resiliente Digital Twins zu ermöglichen.
Hybride Intelligenz als Brücke zwischen menschlicher und maschineller Intelligenz, um resiliente Digital Twins zu ermöglichen.
(Bild: Celonis)

Wie genau erstellt man nun einen resilienten digitalen Zwilling einer Organisation? An erster Stelle gilt es, den Startpunkt, an dem der DTO ansetzen soll, zu definieren. Hierfür müssen die Unternehmen ihre einzelnen Geschäftsprozesse genau erfassen – und zwar so, wie sie in der Realität gehandhabt werden. Nachdem dieser Ist-Zustand definiert worden ist, folgt der Soll-Zustand. Hier entwickeln Unternehmen die Ziele, die sie mit einem DTO erreichen wollen. Diese können von einzelnen optimierten Geschäftsprozessen bis hin zu einem neuen, digital transformierten Geschäftsmodell reichen.

Sind nun alle aktuellen Unternehmensprozesse und deren mögliche Verbesserungen modelliert, geht es schließlich an die Simulation: Werden die geplanten Anpassungen funktionieren und die erwarteten Vorteile eintreten? Schließlich muss das Unternehmen die Herausforderungen und Hürden kennen, die während des Transformationsprozesses auftreten könnten. Die Simulationsphase ist somit diejenige Phase, die dem DTO seinen Geschäftswert verleiht: Sie bietet eine risikofreie Option, verschiedene Möglichkeiten in der Prozessanpassung durchzuführen und zu bewerten.

In der Theorie klingt das Erschaffen eines resilienten Digital Twin einer Organisation erst einmal einfach, in der Realität ist es jedoch mit einigen Herausforderungen verbunden: Die Grenzen einer Organisation – und damit auch eines DTO – sind nicht klar abgesteckt: Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten beeinflussen die gemeinsamen Prozesse. Darüber hinaus ist das menschliche und organisatorische Verhalten teilweise irrational und ändert sich im Laufe der Zeit durch Vorschriften, soziale Interaktionen oder auch persönliche Vorlieben. Dass sich ein DTO in jeder Situation genauso verhält wie eine reale Organisation, ist demnach zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht realisierbar. Die zugrunde liegenden einzelnen Prozesse kann ein DTO jedoch abbilden, um dadurch auf ein Gesamtbild schließen und Maßnahmen ergreifen zu können – die Frage ist nur: Wie funktioniert das in der Praxis?

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Das A und O für das digitale doppelte Lottchen: „Planning and Simulation“

Bevor man ein virtuelles Abbild von Prozessen entwickeln kann, muss man von Grund auf erfassen, wie diese funktionieren – und zwar in der Realität, nicht im Handbuch. Hier kommt Process Mining ins Spiel. Mithilfe der Daten aus Cloud-basierten Anwendungen kann die Software End-to-End-Prozesse und Automatisierungsabläufe rekonstruieren. Unternehmen sind nun dazu in der Lage, die Funktionsweise ihrer Prozesse tatsächlich zu verstehen und beispielsweise Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Abteilungen oder Partnern leichter zu erkennen. Konkrete Verbesserungsvorschläge liefert die Methode allerdings nicht. Der digitale Zwilling einer Organisation benötigt handlungsorientiertes Process Mining: Das Celonis Execution Management System (EMS) löst beispielsweise korrigierende Workflows aus. Auf der Grundlage von Process-Mining-Ergebnissen gelingt so die Planung automatischer Interventionen, die für einen DTO notwendig sind. Nur die tatsächliche Umsetzung liegt noch beim Menschen selbst.

Um die gewonnenen Erkenntnisse im Sinne eines DTO zielgerichtet einsetzen zu können, lassen sich mithilfe von Process Simulation neue verbesserte Ansätze für die Prozesse simulieren. Anhand eines Software-Modells können Anpassungen für den Soll-Zustand im Vergleich zum Ist-Zustand ausprobiert werden, um die tatsächlichen Auswirkungen zu sehen. Das System sammelt dafür alle notwendigen Daten eines Prozesses und identifiziert automatisch Komponenten wie die Größe der involvierten Teams oder wieviel Zeit ein Vorgang jeweils benötigt.

Kostensenkung dank Prozesssimulation

Wie sieht nun ein konkreter Anwendungsfall in der Realität aus? Ein weltweit agierender Hersteller und Anbieter von Baustoffen für die verschiedensten Arten von Dächern konnte durch die Automatisierung seiner Prozesse vor allem im Hinblick auf die Auftragsverwaltung eine Millionensumme einsparen. Mit den Simulationsmöglichkeiten konnte das Unternehmen darstellen, ob eine Erhöhung der Automatisierung oder die Neugestaltung eines Prozesses das gewünschte Ergebnis in Bezug auf Kosten und Durchlaufzeiten hat sowie neue potenzielle Engpässe ausmachen und verhindern. Mithilfe einer automatisierten Auftragserfassung und Lieferungserstellung, verbunden mit der Beseitigung von Rechnungssperren, konnte der Baustoffanbieter die Arbeitsbelastung in mehreren Teams erheblich reduzieren und seine Kosten jährlich um 2,1 Millionen Euro senken.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass mithilfe von Process Mining und EMS die Simulation einzelner Prozesse möglich ist. In einer Organisation herrschen jedoch verschiedenste Prozessinterdependenzen. Es reicht also für einen DTO nicht aus, jeweils einzelne Prozesse isoliert zu betrachten. Begonnen hat die Entwicklung jedoch bereits und ermöglicht Unternehmen schon heute, ihre Resilienz und Performance zu verbessern. Auch wenn vollständig autonome und resiliente Digital Twins zum jetzigen Zeitpunkt noch mehr Vision als Realität sind, schreitet ihre Entwicklung rasant voran und ihre Praxistauglichkeit ist nur noch eine Frage der Zeit. So können Unternehmen, die ihre Action Workflows auf der Grundlage von Erkenntnissen durch Process Mining optimieren, bereits erstaunliche Verbesserungen erreichen und ihre Organisation besser für unerwartete Vorfälle und Störungen wappnen.

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