Smart Cities Ohne Kooperation geht nichts

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Offene Daten und KI haben das Potenzial, viele interessante Smart-City-Projekte zu ermöglichen. Doch oft fehlt es an den kooperativen Strukturen zwischen Stakeholdern, die dafür unabdingbar sind. Deshalb kommt das Thema langsamer voran als erwünscht.

Im niederländischen Almere verödete die Innenstadt, gleichzeitig war die Kriminalität hoch. Hier half unter anderem ein auf intelligenten Datenauswertungen basierendes Beleuchtungsmanagement. Dazu kommt der Einsatz intelligenter Videotechnik und akustischer Sensoren.
Im niederländischen Almere verödete die Innenstadt, gleichzeitig war die Kriminalität hoch. Hier half unter anderem ein auf intelligenten Datenauswertungen basierendes Beleuchtungsmanagement. Dazu kommt der Einsatz intelligenter Videotechnik und akustischer Sensoren.
(Bild: Axis Communications)

Ulf Hüther, Director Smart City Europe bei der G2K Group: „Deutschland hat im Bereich Smart City viele interessante Projekte zu bieten.“
Ulf Hüther, Director Smart City Europe bei der G2K Group: „Deutschland hat im Bereich Smart City viele interessante Projekte zu bieten.“
(Bild: G2K Group GmbH)

Die intelligente Stadt spukt schon seit mindestens fünfzehn Jahren durch die einschlägigen Gazetten. Doch die wenigsten Menschen hierzulande werden den Eindruck haben, in einer Smart City zu leben. Dabei steht Deutschland wohl gar nicht so schlecht da. Das jedenfalls berichtete Ulf Hüther, Director Smart City Europe bei der G2K Group, anlässlich eines Roundtables, der von Axis Communications veranstaltet wurde. Axis produziert unter anderem Netzwerkkameras und ist daher in viele Smart-City-Projekte involviert, deren Ziel etwa die Absicherung städtischer Räume ist.

Hüther war gerade von der Smart City Convention in Barcelona zurückgekehrt. Dort sei der deutsche Stand durch diverse interessante Projektpräsentationen aufgefallen. Insbesondere im Bereich Verkehr gebe es viele Möglichkeiten, durch intelligente Zusammenführung diverser Datenquellen etwas zum Guten zu bewegen.

Viele Möglichkeiten der Verkehrssteuerung

Ein Beispiel: Angenommen, die von öffentlichen Verkehrsträgern und von Straßenverkehrsteilnehmern (Auto, Fahrrad, E-Roller etc.) erzeugten Daten würden intelligent zusammengeführt und per intelligenter Verarbeitung in individuelle Meldungen umgesetzt. Dann ließen sich Fahrer beispielsweise per App zu freien Parkplätzen hin oder um Staus herumführen. Auch ein Hinweis, zu einem bestimmten Termin besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln ein Ziel anzusteuern, wäre so denkbar oder der Kauf des Park-and-Ride-Tickets direkt in der App auf dem Smartphone.

Dr. Michael Gerz, Leiter der Abteilung ITF am FKIE: „Niemand will für jede Stadt eine eigene App.“
Dr. Michael Gerz, Leiter der Abteilung ITF am FKIE: „Niemand will für jede Stadt eine eigene App.“
(Bild: Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE))

Doch die Realität sieht anders aus. Beispielsweise erschweren föderale und organisatorische Zuständigkeitsgrenzen derartige Projekte. Es ist schwer, die meist vielen Beteiligten unter einen Hut zu bringen. „Aber niemand will für jede Stadt eine eigene App“, sagt Dr. Michael Gerz, Leiter der Abteilung „Informationstechnik für Führungssysteme“ (ITF) am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE). Oft fehle es schon an Standards, um das gleiche Verständnis von Daten sicherzustellen. Es braucht beispielsweise ein einheitliches Format, in dem Parkplätze beschrieben sind. Zertifizierungen und Normen sollten hier wie in der Hard- und Softwaretechnik weiterhelfen.

Wirtschaftliche Interessen hemmen den Modal Split

Dietmar Bethke, Leiter Neue Technologien und Smart City bei der comNet GmbH. „Smart City Projekte, das zeigt sich etwa in Gelsenkirchen, drehen sich immer um Menschen und Strukturen.“
Dietmar Bethke, Leiter Neue Technologien und Smart City bei der comNet GmbH. „Smart City Projekte, das zeigt sich etwa in Gelsenkirchen, drehen sich immer um Menschen und Strukturen.“
(Bild: comNET – Gesellschaft für Kommunikation + Netzwerke mbH)

Zudem konkurrieren die einzelnen Verkehrsträger meist miteinander statt zu kooperieren, so Dietmar Bethke, Leiter Neue Technologien und Smart City bei der comNet GmbH. Bethke: „Dabei geht es oft ganz einfach um Geld.“ Auch die Flächen sind in der Stadt knapp. Das Versagen zeigt sich in noch immer steigenden Kohlendioxid-Ausstößen im Verkehrssektor.

Auf der Strecke bleibt bislang der erwünschte Modal Split, sprich: die Nutzung des jeweils am besten geeigneten Verkehrsträgers, und das wäre zumindest innerstädtisch oft nicht das Auto. Damit sich das ändert, bedürfe es, so Jochen Sauer, Architect & Engineering Manager bei Axis Communications mit Fokus auf Smart Building und Smart City, auch geeigneter Impulse an die und durch die Politik.

Projekte sterben an Budgetmangel

Dazu kommt, dass interessante Projektideen „häufig schon im Keim erstickt“ (Hüther) werden, beispielsweise, weil niemand ihnen ein Budget zuweist oder die Aufklärung über Ziele und Vorgehen nach außen organisiert. Laut Bethke müsse auch die Bürgerbeteiligung deutlich verbessert werden.

Ziel müsse es sein, so Hüther, wie die Wirtschaft in offenen Plattformen anstatt in Datensilos zu denken, an die sich neue Beteiligte einfach anbinden und in die neue Daten einfach eingebracht werden können. So lassen sich beispielsweise intelligente Algorithmen auf den vorhandenen, gemeinsam verwalteten Datenpool anwenden oder neue Apps kreieren.

An den Daten liegt es meist nicht

Oft seien Unmengen an bislang ungenutzten, aber frei verfügbaren Daten vorhanden. Eine selten genutzte Quelle seien beispielsweise Urlaubs- oder Reisefotos auf Social Media. Auch in den Datenarchiven der Städte schlummert so mancher ungenutzte Schatz, dessen Wert sich erst dann offenbart, wenn findige Entwickler sich eine entsprechende App ausdenken.

Wichtig sei dafür allerdings, dass die DSGVO eingehalten wird. Der Schlüssel zu einer datenschutzkonformen Nutzung sei hier die Zweckbindung der Daten. Fällt der genannte Zweck weg, müssen sie gelöscht werden. Sauer: „Die Daten unserer Netzwerkkameras werden deswegen zum Beispiel an einer Tankstelle, es sei denn es gab einen Zwischenfall, höchstens drei Tage gespeichert und müssen dann gelöscht werden.“

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Prävention in Almere

Trotz all dieser Schwierigkeiten gibt es eine Reihe von Projekten und Ideen, die sich nach vorn wagen. Oft amortisieren sich entsprechende Projekte auch schnell.

Im niederländischen Almere verödete die Innenstadt, gleichzeitig war die Kriminalität hoch. Hier half unter anderem ein auf intelligenten Datenauswertungen basierendes Beleuchtungsmanagement mit anderen als den üblichen Lichtspektren. Dazu kommt der Einsatz intelligenter Videotechnik und akustischer Sensoren.

Die Kameras bewegen sich dahin, wo aggressive Stimmen, vulgo Geschrei, zu hören ist. Die Bilder wandern zur Polizei, die sofort in Aktion treten kann, bevor kleinere Auseinandersetzungen zu Schlägereien eskalieren können. Die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt hat sich dadurch erhöht, die dortigen Restaurants sind wieder voller.

Intelligentes Covid-Management

Am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz lief während der Corona-Pandemie ein Forschungsprojekt, das sich mit alternativen Partyorten Jugendlicher befasste. Denn weil Bars, Discos und Restaurants geschlossen waren, feierten sie einfach anderswo.

Durch Interviews mit Bürgern der betroffenen Mittelstadt und andere, offen verfügbare Daten gelang eine Modellierung. Mit ihr ließ sich besser vorhersagen, wo wahrscheinlich die nächste Feier stattfinden sollte, um nicht genehmigte Versammlungen in einem frühen Stadium aufzulösen.

Reallabor Gelsenkirchen

Besonders die 265.000-Einwohner-Stadt Gelsenkirchen bemüht sich derzeit unter anderem durch ein Reallabor, neue Ideen für die Smart City zu entwickeln und umzusetzen. Ein Gelsenkirchener Projekt ist „Dragon“. Dabei geht es um die Besuchersicherheit bei Großveranstaltungen.

Ein weiteres will bessere lokale Wetterdaten erarbeiten und nutzen. „Es gibt keine einzige Wetterstation des Deutschen Wetterdienstes hier. Deshalb bauen wir vor Ort derzeit ein Netz von derzeit 30, später bis zu 60 lokalen Wetterstationen auf“, berichtet Bethke. Dadurch erführe man in kleinem Raster, wie das lokale Wetter sich gestaltet, wo es zum Beispiel bei Hitzewellen so heiß wird, dass die Gesundheit gefährdet wird.

Umweltsensitive Verkehrssteuerung

Ein Ziel ist eine umweltsensitive Verkehrssteuerung. Bethke: „Dabei kommt es keinesfalls nur auf Digitales an. Entscheidend ist das Zusammenwirken von Menschen und Strukturen.“ Aber natürlich könnten bequem nutzbare Apps helfen, den städtischen Alltag zu bereichern. Bethke: „Dabei braucht man die Freiheit, dass auch einmal etwas nicht funktioniert.“

Gerade Wetterdaten seien hier sehr vielfältig nutzbar. Beispielsweise für ein nachhaltiges Verkehrsmanagement, für die Korrelation mit Daten über Bodenfeuchte und Grundwasserstand oder für die Sicherheit.

Intelligentes Gebäudemanagement: Fehlanzeige

Prof. Clemens Gause, Geschäftsführer Verband für Sicherheitstechnik e. V: „Intelligentes Gebäudemanagement wird völlig unzureichend beackert.“
Prof. Clemens Gause, Geschäftsführer Verband für Sicherheitstechnik e. V: „Intelligentes Gebäudemanagement wird völlig unzureichend beackert.“
(Bild: VfS Verband für Sicherheitstechnik e. V.)

Bislang völlig unzureichend beackert ist das Feld des intelligenten Gebäudemanagements. Darauf wies Moderator Prof. Dr. Clemens Gause, Geschäftsführer beim Verband für Sicherheitstechnik e. V. (VfS) hin. Zwar verbringen Menschen rund 80 Prozent ihrer Zeit in Gebäuden. Dennoch findet meist keine sinnvolle Datenintegration und -analyse für die verhaltensangepasste Gebäudesteuerung statt. Hier und auch beim Management des Stadtraums könnten laut Hüther in Zukunft digitale Zwillinge helfen. Mit ihnen lassen sich beispielsweise Bauvorhaben im Vorhinein auf ihre Auswirkungen prüfen.

Ohne langfristigen Support (LTS, Long Term Support) über zehn bis fünfzehn Jahre sowie automatisiertes Geräte- und Sensormanagement dürften sich mittelfristig Smart-City-Projekte als aufwendig und teuer erweisen – beispielsweise wegen der Obsoleszenz von Hard- und Software oder anderweitigem Reparaturbedarf. Sauer dazu: „Wir entwickeln unser System-on-Chip aus Qualitätsgründen vollständig inhouse.“

Allerdings, so betonte Gause, habe sich hier bei den Komponenten-Zulieferern aus China schon viel verändert. „Früher war die Qualität der Komponenten teils problematisch, doch das hat sich durch Qualitätsoffensiven beispielsweise des deutschen TÜV, aber auch unzufriedene chinesische Inlandskunden verändert.“

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