Kommentar von Dr. Stefan Sigg, Software AG Das neue Zeitalter der Unternehmenssoftware

Von Dr. Stefan Sigg

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Während Unternehmen weltweit um die digitale Transformation ringen, getrieben von Faktoren wie der Pandemie und einem verschärften Wettbewerb, scheint gleichzeitig ein Wettstreit darum entbrannt zu sein, wer den größten Nutzen daraus zieht. Für die Unternehmensberatung McKinsey bedeutet digitale Transformation zweierlei: Zum einen transformieren Unternehmen ihr Kerngeschäft, um es durch den Einsatz von Technologie besser, schneller, billiger und effektiver zu machen. Zum anderen erschließen sie neue Geschäftsfelder, um jenseits des Kerngeschäfts etwas zu erschaffen, das es bisher nicht gab.

Der Autor: Dr. Stefan Sigg ist Chief Product Officer und Mitglied der Geschäftsleitung der Software AG
Der Autor: Dr. Stefan Sigg ist Chief Product Officer und Mitglied der Geschäftsleitung der Software AG
(Weedezign)

Technologieeinsatz – was ist damit eigentlich gemeint? Es geht um zwei grundlegende Dinge: den Einsatz von Daten und den Einsatz von neuer Software, die diese Daten nutzt, um Bestehendes zu optimieren oder neue Geschäftsideen zu verwirklichen.

Ein wichtiges Merkmal dieser neuen Art von Unternehmenssoftware ist ihr geringes Standardisierungspotenzial. Im Gegensatz dazu sind die Anwendungsfälle traditioneller Unternehmenssoftware – wie etwa die Buchhaltung in ERP-Paketen – in der Regel sehr gut definiert und standardisiert. Buchhaltung ist eine exakt definierte Aufgabe. Sie basiert auf Algorithmen und einer Datenstruktur, die sich seit ihrer Erfindung im Italien des 16. Jahrhunderts nicht grundsätzlich verändert haben. Neue Geschäftsmodelle funktionieren anders. Sie sind branchenspezifisch, sie können sogar kundenspezifisch sein. Daraus folgt: Zumindest ihr wertschöpfender Teil muss von den Unternehmen selbst oder von engen Partnern entwickelt werden.

Programmierkenntnisse erwünscht

Nur fehlt heute vielen Unternehmen die Kompetenz, in großem Maßstab eigene, skalierbare Software zu entwickeln. In den letzten Jahrzehnten haben viele IT-Teams Software lediglich konfiguriert oder betreut. Es gab kaum Bedarf an komplexen Software-Entwicklungsprojekten und entsprechend wenig Training. Grund dafür ist der Siegeszug der standardisierten Unternehmenssoftware. In der Anfangszeit der Software-Entwicklung in den späten 60er-Jahren entwickelten Unternehmen ihre (Geschäfts-)Anwendungen selbst. Dafür nutzten sie einige Basistechnologien, beispielsweise eine Datenbank und eine Programmiersprache, mit der sie Anwendungen schreiben konnten. Sie verfügten über große Teams, die mit viel Wissen, Aufwand und technischer Kompetenz komplexe Software entwickelten. Im Lauf der Zeit ist dieser „Muskel“ verkümmert. Angesichts der aktuellen Digitalisierungswelle muss er jedoch wieder trainiert werden, er muss sogar leistungsfähiger werden als er jemals war. Dem entgegen steht jedoch der notorische Mangel an IT- und Softwarefachkräften.

Der Aufbau von Software-Entwicklungsteams in Osteuropa, Indien oder anderen Standorten in Asien ist schwierig. Noch schwieriger ist es, über die ganze Welt verteilte Teams zu managen. Es braucht viel Zeit und die Erfahrungen aus dem Scheitern einer Reihe von Projekten, bis robuste Entwicklungsprozesse etabliert sind. Es gilt aber nicht nur, interne Fähigkeiten aufzubauen. Auch externe Herausforderungen müssen bewältigt werden. So findet ein „Wettlauf der Digitalisierung“ zwischen etablierten Unternehmen, die Softwarekenntnisse (neu) erwerben müssen, und Softwareunternehmen (häufig Start-ups) statt, die sich im Gegenzug Branchenkenntnisse aneignen müssen. In diesem Wettlauf haben wir bereits einige prominente Sieger gesehen, und zwar alle auf der Seite der Softwareunternehmen.

Beispiel Amazon

Amazon war ein Software-Start-up, das erkannt hat, welches Potenzial im E-Commerce über das Internet steckt. Es hat eine Softwareplattform gebaut und sich selbst beigebracht, wie man Bücher verkauft. Amazon hat ein technisches Problem gelöst und sich ausreichend Branchen-Know-how angeeignet, um erfolgreich zu sein. Die etablierten Einzelhändler, insbesondere diejenigen, die auf das Versandgeschäft setzten, waren nicht schnell genug in der Lage, eigene E-Commerce-Plattformen bereitzustellen.

Das Beispiel zeigt ein Schema: In einer bestimmten Branche werden erfolgreiche Unternehmen von neuen Akteuren angegriffen, die ihre disruptive Kraft aus ihrem Software-Know-how schöpfen. Was bedeutet das für andere Branchen? Software verändert die Spielregeln. Es braucht mehr Software. Manche Unternehmen steigen in die Softwareprogrammierung ein und entwickeln neue Software von Grund auf. In der Regel nutzen sie dafür die Infrastruktur und die Tools der großen Cloud-Hyperscaler. Häufig scheitert dieser Ansatz jedoch an Kapazitätsengpässen, fehlender Erfahrung mit Softwareentwicklung und explodierenden Cloud-Kosten. Softwarefirmen können etablierte Unternehmen dabei unterstützen, dieses Problem zu lösen und sich zum Tech-Player zu wandeln.

Das Optimierungsproblem

Bislang haben wir nur über neue Geschäftsfelder gesprochen. Wie aber können Unternehmen in ihrem Kerngeschäft besser, schneller und billiger werden? Dazu ein Beispiel: Bis vor einigen Jahren war es dem Leiter eines Rechenzentrums nahezu unmöglich, sich einen vollständigen Überblick über den Zustand seiner IT-Landschaft zu verschaffen. Welche Probleme als Nächstes auf ihn zukommen würden, ließ sich nur schwer absehen. Zu wenig Speicherplatz, ein CPU-Ausfall oder etwas ganz anderes? Jeder Hardware-Hersteller bot Monitoring-Software an, die aber immer nur die eigenen Komponenten erfasste. Jede Komponente erzeugte eigene sogenannte Log-Files, die separat gespeichert und analysiert wurden. Die Gründer von Splunk haben dieses Problem erkannt und die erste Analyseplattform für die Log-Files aller Hardware-Komponenten entwickelt. Heute liegt die Marktkapitalisierung von Splunk bei 25 Milliarden US-Dollar.

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In der industriellen Produktion stehen Produktionsleiter und andere Führungskräfte vor ähnlichen Problemen. Die zentrale Überwachung von Maschinen und Anlagen unterschiedlicher Hersteller ist sogar noch schwieriger, als es vor 15 Jahren die Überwachung von Rechenzentren war. Dabei ist es offensichtlich, dass Produktionsanlagen auf Werksebene, auf Landesebene und auf Unternehmensebene überwacht werden müssen. Diese Aufgabe ist jedoch ungleich schwieriger zu lösen als die Harmonisierung von Log-Files. Die Fertigungsautomatisierung wird in der Regel durch sogenannte Produktionsleitsysteme (Manufacturing Execution Systems, MES) gesteuert. Das sind branchenspezifische Softwaresysteme, die zum Teil sogar von den Fertigungsunternehmen selbst entsprechend ihren eigenen Anforderungen entwickelt werden. Die Bereitstellung einer semantischen Schicht, die alle MES, Maschinen und Roboter berücksichtigt, ist eine echte Herausforderung. Es ist aber eine Voraussetzung, um das Problem à la Splunk zu lösen.

Die Lösung ist bereits da

Viele der Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, werden durch vorhandene Technologien bereits gelöst. Das trifft insbesondere auf die Integration von Gerätedaten (man spricht auch vom IoT), die Integration vorhandener Unternehmensanwendungen (iPaaS) und die Prozessautomatisierung und -analyse zu. Diese drei Bereiche schaffen die Grundlage für die Entwicklung individueller Software, die Unternehmen neue Geschäftsfelder erschließt. Laufen die Produkte dazu auch noch auf allen wichtigen Cloud-Plattformen, bleibt die digitale Souveränität bewahrt, und ein Wechsel zwischen diesen Plattformen ist relativ leicht möglich. Außerdem bewahrt der Rückgriff auf bereits vorhandene, erprobte Basistechnologie Unternehmen davor, sich bei der Entwicklung komplexer Infrastruktursoftware, die an sich für sie keinen Mehrwert darstellt, zu verzetteln. Sie können viel später in den Software-Entwicklungsprozess einsteigen, arbeiten mit einer robusten, skalierbaren Plattform und sind nicht an einen bestimmten Cloud-Anbieter gebunden.

Man könnte dies als das „Rückgrat“ neuer Softwareanwendungen und Branchenlösungen bezeichnen, die auf der Verschmelzung transaktionaler IoT- und Prozessdaten basieren.

Wo liegt nun das Optimierungspotenzial der digitalen Transformation? In erster Linie geht es hier um ein Analyseproblem, das mithilfe von Analyseanwendungen gelöst werden kann. Daneben besteht die Möglichkeit, dafür nicht maßgeschneiderte Anwendungen, sondern Tools einzusetzen. Das fällt dann in den Bereich des Process Mining oder der Zeitreihenanalysen. Beides sind Tools für Endanwender, die von den Fachabteilungen eingesetzt werden, um Optimierungspotenzial zu erkennen, und zwar entweder indem sie unzureichende Prozessvarianten herausfiltern oder die Ursachen für suboptimale Konstellationen in Zeitreihendaten erkennen. Moderne IoT-Technologie hat das Potenzial, Maschinendaten zu harmonisieren.

Die Zielmärkte

Die oben beschriebenen Herausforderungen gibt es in fast allen Branchen – vom Finanzsektor bis zum Maschinenbau und vom öffentlichen Sektor (in einer besonderen Weise) bis zur Prozessindustrie. Das ideale Unternehmen zeichnet sich dadurch aus, dass es ein klares Verständnis davon hat, was eine digitale Transformation konkret bedeutet. Welchen Optimierungsbedarf gibt es beziehungsweise welches neue Geschäftsfeld sollte basierend auf neuen softwaregestützten Angeboten aufgebaut werden? Ein Unternehmen, das sich ernsthaft mit den Anforderungen der digitalen Transformation beschäftigt, wird diese Fragen beantworten und erfolgreich agieren können.

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