Kommentar von Dr. Inessa Seifert Wie KI zur automatisierten Fahrzeugdiagnose eingesetzt wird

Von Dr. Inessa Seifert Lesedauer: 5 min |

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Große Datenmengen fallen in vielen Betrieben oft „nebenher“ an. Eine sinnvolle Nutzung dieser Daten, um die eigenen Prozesse zu verbessern und effizienter zu arbeiten, ist ein wichtiger Schritt, um langfristig den Unternehmenserfolg zu sichern. Hier helfen passende KI-Anwendungen, um aus Daten, Erkenntnisse zu gewinnen. So auch im Fall von Hella Gutmann. Das Unternehmen hat gemeinsam mit dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) geförderten Projekt KI-Marktplatz eine KI-gestützte Software zur Fahrzeugdiagnose entwickelt, um in Zukunft Autowerkstätten Fehlererkennung und Reparaturen zu erleichtern.

Die Autorin: Dr. Inessa Seifert ist Projektpatin im Rahmen der Begleitforschung zum Innovationswettbewerb „Künstliche Intelligenz als Treiber für volkswirtschaftlich relevante Ökosysteme“ des BMWK und Mitarbeiterin im Bereich Europäische und Internationale Geschäftsentwicklung in der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH.
Die Autorin: Dr. Inessa Seifert ist Projektpatin im Rahmen der Begleitforschung zum Innovationswettbewerb „Künstliche Intelligenz als Treiber für volkswirtschaftlich relevante Ökosysteme“ des BMWK und Mitarbeiterin im Bereich Europäische und Internationale Geschäftsentwicklung in der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH.
(Bild: Institut für Innovation und Technik (iit))

Wer schon einmal ein Auto wegen eines Defektes zur Werkstatt gebracht hat, weiß, dass die Reparatur eine ganze Weile dauern kann, bis der Pkw wieder fahrtüchtig ist. Die Fachleute vor Ort müssen zunächst das defekte Fahrzeugteil identifizieren, was oft viel Zeit in Anspruch nimmt. Hella Gutmann Solutions unterstützt Kfz-Werkstätten seit 1968 bei genau diesen Arbeiten. Die Fachleute setzen ihr Know-how ein, um passende Werkzeuge und Geräte zu entwickeln, die Monteurinnen und Monteuren in Werkstätten in ganz Deutschland die Arbeit erleichtern sollen. Dadurch sind im Laufe der Zeit eine Menge an Daten zusammengekommen: 66 Millionen KFZ-Diagnosen werden pro Jahr mit Geräten von Hella Gutmann durchgeführt, die Daten von 35.000 Fahrzeugmodellen verschiedener Hersteller generieren. Dazu zählen beispielsweise Angaben zu Einspritzmengen oder Kilometerständen.

Vom Fehlercode zur KI-Anwendung

Ein Datenschatz, den das Unternehmen einsetzen will, um ihren Partnerwerkstätten die Fehlersuche zu vereinfachen und damit den Reparaturprozess zu beschleunigen. Potenziell defekte Fahrzeugteile werden bis dato mithilfe von Fehlercodes und numerischen Sensorwerten ermittelt. Das Problem: Für die korrekte Interpretation dieser Werte brauchen Expertinnen und Experten nicht nur viel Zeit, sondern auch umfangreiches Know-how was die speziellen Sensordaten und Fehlercodes bedeuten. Das ist ein Problem in Zeiten des Fachkräftemangels. Die Komplexität steigt zudem, wenn es sich um freie Kfz-Werkstätten handelt, die eine Vielzahl unterschiedlicher Fahrzeugmarken und -typen mit ihren speziellen Fehlercodes und Sensorwerten reparieren. Insgesamt also ein Prozess, der mithilfe der richtigen technischen Werkzeuge deutlich effizienter gestaltet werden könnte. Aber wie? Gemeinsam mit Fachleuten des KI-Marktplatzes hat Hella Gutmann ein automatisiertes Diagnoseverfahren entwickelt, dass mittlerweile als fester Bestandteil einer der Softwarelösungen des Unternehmens an die Kundschaft ausgerollt wurde. Es interpretiert die vorhandenen Informationen und identifiziert auf dieser Basis das defekte Bauteil.

KI optimal eingesetzt

Künstliche Intelligenz vereinfacht die Fahrzeugdiagnose.
Künstliche Intelligenz vereinfacht die Fahrzeugdiagnose.
(Bild: KI-Marktplatz)

Dazu wurden alle Fahrzeug- und Diagnosedaten zunächst in einem Extract-Transform-Load-Prozess an verschiedensten Stellen in den Partnerwerkstätten erhoben, in einer Datenbank gespeichert und schrittweise bewertet und bereinigt. Das Data Engineering war, so beschreibt es der verantwortliche Data Scientist von Hella Gutmann, der wesentliche Schritt in Richtung KI. Auf Basis der bereinigten Daten wurden anschließend entscheidende Parameter, aber auch Toleranzbereiche für die vorhandenen Daten beziehungsweise Fehlercodes definiert und die KI entsprechend angelernt. Damit ist diese nun in der Lage, Abweichungen zu identifizieren und Fehler in Fahrzeugen zu diagnostizieren.

Neben dem Training mit bereits vorhandenen Daten setzen die Projektpartner ein „Active-Learning-Verfahren“ ein. Das KI-basierte System schlägt Fehlerdiagnosen vor, die von Mitarbeitenden von Hella Gutmann überprüft und wenn nötig korrigiert werden. Anhand dieses Feedbacks lernt die KI und verbessert ihre Ergebnisse stetig. Aktuell basiert die „Automatisierte Diagnose“ von Hella Gutmann auf rund zwei Milliarden historischer Fehlercodes und rund fünf Millionen statistisch erfassten Kausalitäten des Technischen Callcenters des Unternehmens. Zudem sollen Datenquellen mit der KI-Lösung verknüpft werden, die Informationen über Bauteile vorhalten, die potenziell defekt bzw. im Fahrzeug ausgetauscht worden sind. Beispieldaten sind Rechnungsdaten von Werkstätten oder Reparaturinformationen des Mechanikers auf dem Diagnosegerät.

Das System ist intelligent, verbessert sich kontinuierlich selbst. Es generiert nach einem einzigen Initial-Click des Anwenders automatisch ein statistisch validiertes Diagnoseergebnis. Pro Fahrzeug sollen der Werkstatt damit bis zu 75 manuelle Prozessschritte erspart bleiben. Bisher kann das System in mehr als 80 Prozent der Fälle die defekten Bauteile identifizieren und ermöglicht so den Kfz-Partnerwerkstätten von Hella Gutmann signifikante Effizienzsteigerungen im Bereich Reparaturen.

Zusammenarbeit von Mensch und KI als Change Management

Der Einsatz eines Machine-Learning-Modells, das mit Feedback der Mitarbeitenden arbeitet, erfüllt hier gleich zwei Ziele. Zum einen sorgt diese Lernmethode natürlich für eine signifikante Verbesserung der Diagnoseergebnisse der KI-Anwendung. Zum anderen aber – und das ist in seiner Wichtigkeit kaum zu unterschätzen – sorgt für die Entlastung des Werkers und höhere Kundenzufriedenheit durch die Zusammenarbeit von Mensch und Künstlicher Intelligenz. Das baut zum Teil bestehende Vorurteile ab und mindert die Hemmschwelle, die Lösung einzusetzen oder Kunden anzubieten. Die Sorge, Automatisierungsverfahren würden perspektivisch Angestellten ihre Arbeitsplätze wegnehmen, kann durch die Kooperation ein Stück weit entkräftet werden, denn die Arbeit zeigt: Allein kann die KI keine ausreichend überzeugenden Ergebnisse erzielen, sie braucht das Feedback von Expertinnen und Experten. Die höhere Produktivität senkt die Kosten und erhöht die Chancen auf mehr Kundenaufträge.

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Das Thema Akzeptanz ist, da waren sich die Kooperationspartner von Anfang an einig, ebenso Teil der Entwicklung und braucht sorgfältige Planung und Begleitung. KI-Marktplatz unterstützte Hella Gutmann hier mit Informationsangeboten zu ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der KI-Einführung.

Ein zentrales Ökosystem bringt Akteure zusammen

Der KI-Marktplatz ist eines von 25 Projekten des KI-Innovationswettbewerbes des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Herzstück des Projektes ist eine digitale Plattform für KI im Engineering, die gleich mehrere Aufgaben erfüllt: Sie vernetzt KI-Anbieter und Unternehmen, bietet die Möglichkeit zum sicheren Austausch von Daten und Algorithmen und zur Bereitstellung fertiger KI-Lösungen und offeriert standardisierte KI-Bausteine, die nach Bedarf kombiniert und für die Entwicklung neuer Lösungen verwendet werden können. Damit treibt KI-Marktplatz Einsatz und Entwicklung von KI-Anwendungen für mittelständische Unternehmen in Deutschland voran und trägt wesentlich dazu bei, dass KMU aus den Bereichen Industrie, Medizin, Logistik oder Landwirtschaft die Vorteile von Data Analytics und KI nutzen, um langfristig Erfolge zu sichern.

Gemeinsam gute Ergebnisse erzielen

Das Beispiel Hella Gutmann zeigt zweierlei: Es verdeutlicht, welchen signifikanten Einfluss die Nutzung von Big-Data-Auswertung auf Geschäftsbetriebe von Unternehmen jeglicher Größe hat. Die „Automatisierte Diagnose“ soll Werkstätten künftig wertvolle Zeit sparen und den Gesamtablauf einer Diagnose einfacher, zielsicherer sowie kostengünstiger machen. Darüber hinaus soll die Verknüpfung von Diagnose zu Bauteilen auch dem Handel neue Chancen für ein effizienteres Teilegeschäft eröffnen.

Gleichzeitig veranschaulicht das Beispiel Hella Gutmann die Wichtigkeit kollaborativer Projekte wie KI-Marktplatz. Nur dank der zentralen Plattform, die in diesem Fall Nachfrage und Angebot zusammengebracht hat, wurde es möglich, einen wegweisenden Service auf KI-Basis zu entwickeln, ohne alle Ressourcen dafür im eigenen Haus zu haben. Die Fachleute von KI-Marktplatz unterstützen den Mittelständler dabei, ein Machine-Learning-Modell zu entwickeln und so KI für den eigenen Geschäftsbetrieb nutzbar zu machen.

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