Kommentar von Jens Siebertz, Inform DataLab Vom ESG Reporting zu ESG Analytics

Von Jens Siebertz |

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Die Pflicht zur Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte steht den meisten deutschen Unternehmen schon bald bevor. Damit die neuen ESG Reportings (Environment, Social, Governance) den Mittelstand nicht überfordern, gilt es nicht nur im Controlling rechtzeitig neue Prozesse aufzusetzen, sondern auch die dafür notwendigen Daten möglichst automatisiert zu erheben und auszuwerten. Schließlich fängt man auch bei der Steuererklärung im Januar und nicht erst im Dezember an, Belege zu sammeln.

Der Autor: Jens Siebertz ist Senior Vice President Inform DataLab
Der Autor: Jens Siebertz ist Senior Vice President Inform DataLab
(Bild: Martin Braun)

Mit der neuen EU-Richtline, der Corporate Sustainability Reporting Directive, ist das „ESG Reporting“ in aller Munde. ESG steht für Englisch „Environmental, Social, Governance“, also „Umwelt“, „Soziales“ und „Unternehmensführung“. Das zugehörige „ESG Reporting“ bezeichnet unternehmerische Berichte über den ökologischen und sozialen Fußabdruck von Unternehmen, während der Governance-Aspekt darüber aufklärt, wie ein Unternehmen geführt wird. All dies wird in naher Zukunft zur Pflicht.

„Non-financial KPIs“ bald Commodity

Bislang waren lediglich einige wenige, größere Konzerne dazu verpflichtet, neben den finanziellen, ökonomischen Kennzahlen auch regelmäßig über Aspekte der Nachhaltigkeit zu berichten. Jährliche Bilanzen und Finanzberichte sind die Norm. Doch in Zukunft sollen solche nicht direkt finanzielle KPIs, etwa über Umweltverschmutzung, Menschenrechte oder Diversität in Organisationen, gleichwertig in die jährliche Berichterstattung europäischer Unternehmen Eingang in die Berichterstattung und ein messbares Controlling finden müssen.

Die EU-Richtlinie sieht vor, solche Berichte schrittweise einzuführen: Gemessen am Umsatz und der Unternehmensgröße – die exakten Kriterien werden noch diskutiert – werden nach und nach nahezu alle Unternehmen betroffen sein. Angefangen mit dem Jahr 2024 werden wohl die meisten Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden verbindlich Rechenschaft über ihre ESG-Kennzahlen ablegen müssen. Ab 2026 werden sogar Unternehmen ab gerade einmal zehn Beschäftigten betroffen sein, also selbst kleinste Betriebe wie lokale Friseure, Bäckereien oder Restaurants. Zwar würde es verwundern, wenn die EU die ESG Reportings von der ersten Stunde an streng kontrolliert, doch grundsätzlich sind durchaus empfindliche Geldstrafen dafür vorgesehen, wenn Unternehmen ihrer Berichtspflicht nicht nachkommen: bis zu zwei Prozent des Umsatzes! Neben der Angst vor Strafe sollten aber auch die bevorstehenden Chancen motivieren: Schließlich werden die Unternehmen einen völlig neuen Datenschatz heben und nutzen können, etwa Risikomanagement zu betreiben, die eigenen Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln und ihre Attraktivität gegenüber Kunden, Investoren und Bewerbern zu erhöhen.

Was soll in einem ESG-Reporting gemessen werden?

Es stehen jetzt bereits eine Vielzahl von möglichen Kennzahlen im Raum, die sich natürlich von Branche zu Branche unterscheiden. Im Bereich Umwelt könnte es zum Beispiel um die Messung von Abfällen, Industrieabwässern und CO2-Emmissionen gehen, im Sozialen um Datenschutz, eine ethische Wertschöpfungskette oder Arbeitsschutz und im Bereich der Unternehmensführung um Managementgehälter, Transparenz und die Vermeidung von Korruption. Welche Kennzahlen konkret für sie relevant sind, müssen die Unternehmen spätestens 2023 auf individueller Basis für sich definieren und Prozesse aufbauen, um die nötigen Daten zu sammeln.

Dafür müssen Verantwortlichkeiten geschaffen und mit den nötigen Kapazitäten versehen werden. In jedem Fall aber wird die Messbarkeit eine Herausforderung. Dazu droht ein enormer manueller Aufwand, den das Sammeln und Bearbeiten dieser Daten verursachen kann. Es könnte zum Beispiel sein, dass ein Unternehmen heute bis auf seinen Stromverbrauch noch fast gar keine Kennzahlen misst, über welche es bereits in kurzer Zeit berichten muss.

Ein mögliches Szenario: Eine einzelne Person erhebt händisch für jeden einzelnen Mitarbeitenden einer 500-köpfigen Belegschaft, welchen Spritverbrauch und welche CO2-Emmissionen diese Person auf dem Arbeits- und Heimweg und bei weiteren Geschäftstätigkeiten über das Jahr hinweg verursacht. Der Aufwand wäre absurd hoch und die Person hätte mit diesen nur einige wenige Kennzahlen bedient, die für das ESG-Reporting in Frage kommen. Das Szenario ist dennoch realistisch, da die vielen browserbasierten Lösungen, die jetzt schon für die Erstellung von ESG Reportings zur Verfügung stehen, den Unternehmen genau diese Art von manuellen Eingaben abverlangen. Es wird sich also schon bald zeigen, welche Unternehmen wirklich kompetent mit ihren Daten umgehen können.

Datenkompetenz in alltäglichen Entscheidungen

Es wird 2023 darauf ankommen, clevere Wege zu finden, die notwendigen Daten zu erheben, zu speichern, zu analysieren und für die tägliche Entscheidungsfindung nutzbar zu machen. Dabei ist auch Kreativität gefragt: Ein deutscher Kosmetikhersteller misst zum Beispiel, wie oft sich am Tag die Schranke am Mitarbeiterparkplatz öffnet, um herauszufinden, wie oft die Mitarbeitenden durchschnittlich ins Büro kommen. Das hat Einfluss auf verschiedene Kennzahlen. Zugangssysteme wie dieses sind nur eine mögliche Datenquelle. Viele Unternehmen werden eine signifikante Anzahl an Kennzahlen aus den Daten ihrer ERP-Systeme und HR-Tools ableiten könnten. Darüber hinaus könnten je nach Branche zum Beispiel Schulungssysteme und Trackingsysteme für den Energieverbrauch oder Finanzdaten hinzugezogen werden, um manuelle Eingaben zu minimieren.

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Es bleibt zu hoffen, dass die Unternehmen all diesen Aufwand nicht nur betreiben werden, um lediglich einmal im Jahr einen Bericht auszufüllen. In einer datengetriebenen Organisation, die im Alltag echten Mehrwert aus ihren Daten zieht, ist die Erfüllung der Berichtpflicht allein nicht hinreichend. Gut vorbereitet lassen sich Umgebungen einrichten, in denen die notwendigen Daten über ESG-Kriterien aus vielen verschiedenen Quellen zum Großteil automatisiert während der laufenden Prozesse erhoben, in einer Single-Source-of-Truth zusammengeführt und in konfigurierbaren Dashboards zur Verfügung gestellt werden. Dort stehen die Daten dann auch für die alltägliche Arbeit und Entscheidungsfindung zur Verfügung.

Weg zu ESG Analytics ebnen

Unternehmen haben damit jetzt die Chance, ihre wirtschaftlichen Entscheidungen auf der Basis einer ganz neuen Datengrundlage zu treffen: Nämlich nicht nur orientiert an Marge, Gewinn und Umsatz, sondern auch an verschiedenen Aspekten der Nachhaltigkeit. Im Alltag sehen wir dazu schon erste Beispiele: Früher zeigte das Navigationssystem Google Maps an, über welchen Weg sich ein Ziel am schnellsten erreichen ließ. Heute informiert es auch darüber, welcher Weg und welches Transportmittel den geringsten CO2-Ausstoß mit sich bringt. Sowohl im B2C als auch im B2B, sowohl intern als auch in der Produktentwicklung sind unzählige Anwendungen vorstellbar. Vielleicht kaufen Unternehmen bald zum Beispiel nicht nur nach Preis, Qualität und Liefergeschwindigkeit ein, sondern können aus ihrem Analytics Dashboard direkt ablesen, welcher Lieferant ökologische und ethische Aspekte am stärksten berücksichtigt. Wenn also all die ESG-relevanten Daten ohnehin zur Verfügung gestellt werden, lässt sich nur empfehlen, sie in die täglichen Analysen einzubetten, damit sie auch über die verbindlichen Berichte hinausgehend echten Mehrwert liefern. Dann sind wir vielleicht in einer neuen Welt der ESG Analytics angekommen.

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