Interview mit Gerald Fahner, FICO „Quantified Self ist eine große Chance für Unternehmen“

Autor / Redakteur: Brigitte Galiger / Nico Litzel

Das Fitnessarmband zeichnet die Herzfrequenz auf, die Apple Watch kontrolliert den Kalorienverbrauch, das Smartphone überwacht den Schlaf. Die Vermessung des Menschen mit Apps, Fitnesstrackern und anderen Geräten ist heute für viele Menschen eine Selbstverständlichkeit. Daraus ist eine eigene Bewegung entstanden: Quantified Self.

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Gerald Fahner, Analytic Science Senior Director bei FICO
Gerald Fahner, Analytic Science Senior Director bei FICO
(Bild: FICO)

Ziel der Anwender ist das Selftracking – eine Art Selbstvermessung, die dabei helfen soll, fitter und gesünder zu leben. Das birgt nicht nur für Endverbraucher Vorteile. Auch Unternehmen profitieren von dem Trend.

So sieht das auch Gerald Fahner, Analytic Science Senior Director bei FICO, einem führenden Anbieter von Predictive Analytics und Softwarelösungen für Entscheidungsmanagement. Er leitet den Bereich Predictive Technologies in der Forschungsabteilung „FICO Labs“ und entwickelt mit seinem Team neue Methoden und Algorithmen. Sie bilden die Grundlage für Analytics-Softwarelösungen, die in den verschiedensten Branchen verwendet werden, um Risiken und Betrugsfälle zu verringern, profitablere Kundenbeziehungen aufzubauen oder Abläufe zu optimieren.

BigData-Insider: Herr Fahner, was bedeuten Trends wie Quantified Self für Ihre Arbeit?

Fahner: Gerade im Bereich Betrugserkennung und -bekämpfung bringen Trends wie Quantified Self ganz neue Erkenntnisse. Schließlich werden so zusätzliche und noch präzisere Daten über den Kunden gesammelt – natürlich nur, sofern er einwilligt. So ist beispielsweise ersichtlich, welche Gewohnheiten ein Kunde hat. Abweichungen davon zeigen dann, dass hier gegebenenfalls jemand anderer am Werk ist – also möglicherweise Kreditkartenbetrug vorliegt. So können Banken aktiv werden, bevor ihren Kunden weiterer Schaden entsteht. Ein Beispiel: Die Kreditkarte des Kunden wird in Deutschland benutzt, sein Smartphone wurde aber fünf Minuten zuvor in den USA getrackt. Entsprechende Software erkennt schnell: Hier stimmt etwas nicht! Die Bank kann also den Kunden kontaktieren und schnell die richtigen Maßnahmen einleiten. Da sind die durch Quantified Self oder Mobile Analytics gesammelten Daten natürlich sehr hilfreich.

Wie können Unternehmen von den Trends profitieren?

Fahner: Für Unternehmen aller Art ist es heute immer wichtiger, ihre Kunden genau zu kennen. Das betrifft nicht nur seine Verhaltensmuster, sondern auch seine Interessen, Vorlieben und Bedürfnisse. Das gilt für alle Branchen und Unternehmensbereiche. Durch Selftracking und Mobile Analytics eröffnen sich für Unternehmen natürlich ganz neue Möglichkeiten. Sie erhalten detaillierte Informationen über ihre Kunden und nutzen diese, um ihre Geschäftsstrategien danach auszurichten – ein entscheidender Wettbewerbsvorteil im Kampf um Kundenzufriedenheit.

Welche Rolle spielen dabei Big Data Analytics?

Fahner: Das Ziel moderner Datenanalytik ist es, Verhaltensmuster miteinander zu vergleichen und daraus Erkenntnisse zu gewinnen. Dabei ist es wichtig, das Handeln von Kunden oder Nutzern unter verschiedenen Umständen zu betrachten. Wenn ein Kunde zum Beispiel plötzlich gehäuft Einrichtungsgegenstände kauft, könnte das eine Anomalie mit Verdacht auf Betrug bedeuten, wenn ausschließlich Kreditkartentransaktionen analysiert werden. Versteht man jedoch durch Mobile Analytics und die Auswertung von Häufigkeitsverteilungen der GPS-Koordinaten, dass der Kunde umgezogen ist, dann wird die „Anomalie“ zum begreifbaren Verhalten und falscher Alarm kann zum Nutzen aller Beteiligten vermieden werden.

Wie wird aus den stetig anwachsenden Datenbergen verwertbares Wissen?

Fahner: Das ist gar nicht so einfach. Denn die Herausforderung ist nicht nur zu erkennen, welche Erkenntnisse man aus den Daten gewinnen kann, sondern auch, wie die Daten „vorbereitet“ werden müssen, damit sie überhaupt verwertbar sind. Wer Big Data nutzt, sollte einen Plan haben und sich vorab einige grundlegende Fragen stellen: Wo kommen die Daten her und was beinhalten sie? Wo und wie werden die Daten im Unternehmen vorgehalten und aufbereitet? Wie führe ich Daten aus verschiedenen Silos zusammen und verknüpfe sie zu verbesserten Entscheidungen? Unternehmen sollten sich außerdem fragen, ob sie über die notwendigen Voraussetzungen verfügen, Analytik-Tools sinnvoll darauf anzuwenden. Diese Vorstufe zur eigentlichen Analytik ist sehr wichtig.

Welche Rolle bleibt dem Menschen?

Fahner: Auch wenn Künstliche Intelligenz immer mehr zum Thema wird, darf man eines nicht vergessen: Hinter jedem Algorithmus, hinter jedem Modell und jeder Datenanalyse steckt immer (noch) ein Mensch. Und letztlich ist es auch der Mensch, der zumindest die großen Entscheidungen trifft. Insofern ist es Aufgabe der Unternehmen, Data Scientists und Analytiker, die neuen Technologien so zu nutzen, dass sie dem Gemeinwohl dienen. Wichtig ist auch, die Modelle und die Ziele, die mit ihnen verfolgt werden, transparent zu machen – und zwar nicht nur im Fachjargon. Generell bleibt es aber die Entscheidung des Einzelnen, was er mit seinen persönlichen Daten machen möchte. Denn gerade Trends wie Quantified Self beruhen auf der Bereitschaft des Nutzers, seine Daten sammeln, speichern und auswerten zu lassen. Und was Datenanalysen ergeben, ist letztlich nur eine Handlungsempfehlung – ob er sie annimmt, entscheidet der Nutzer selbst.

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