Nachbericht GraphSummit 2023 in München Neo4j vertikalisiert den deutschen Vertrieb
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Rund 120 Partner und Anwender aus dem deutschsprachigen Raum trafen sich im April in einem Schwabinger Hotel zum GraphSummit 2023 von Neo4j, um Neuigkeiten rund um das Produkt und die Firmenstrategie zu erfahren.

Graphdatenbanken ermöglichen es, unübersichtliche Zusammenhänge, die sich im Datenmaterial verbergen, grafisch sichtbar zu machen. Beispielsweise kann ein zirkulärer Zusammenhang zwischen Akteuren, den das Controlling einer Bank feststellt, auf Geldwäscheaktivitäten hinweisen. Cluster mit dichten Verbindungen zwischen diversen Akteuren könnten auf eine Community hindeuten.
„Oft bringen einen grafische Muster erst darauf, die richtigen Fragen zu stellen“, erklärte Jesus Barrasa, Regional Vice President Field Engineering bei Neo4j. Der Anbieter der Graphdatenbank erwartet für dieses Jahr ein zweistelliges Wachstum.
Warum die Graph-Technologie derzeit auf fruchtbaren Boden fällt, erklärte Noel Yuhanna, Vice President und leitender Analyst beim Marktforschungsunternehmen Forrester. So nutzen schon heute 51 Prozent der Unternehmen ihre Daten kommerziell. „Demnächst werden es 100 Prozent sein“, ist der Analyst überzeugt. Allerdings erfordere das den Umstieg in die Cloud und die Modernisierung der IT-Infrastrukturen.
Ziel dieser Bemühungen sind vor allem bessere IT-Prozesse (46 %), verbesserte Daten und Analysen (34 %) und ein verbesserter Kundendienst. Hindernisse, Datenstrategien sinnvoll umzusetzen, sind fehlende technologische Reife bei Datenmanagement und Sicherheit (jeweils 24 %), die Unfähigkeit, Big Data und geschäftliche Aktionen miteinander zu verknüpfen, organisatorische Probleme und fehlende Zugänglichkeit, Verfügbarkeit oder Qualität der Daten (jeweils 20 %). Immerhin 18 Prozent der von Forrester befragten Firmen verstehen ihre Daten nicht, sie wissen also nicht, welche Daten-Assets sie besitzen und was sich daraus machen ließe.
Unternehmen verwerten Daten mangelhaft
Die Datenverwertungsmechanismen der meisten Unternehmen seien oft mangelhaft. So gebe es weder eine vollständige Integration noch Konsistenz und Vertrauenswürdigkeit der vorhandenen Datenbestände. Viele Daten seien doppelt oder mehrfach vorhanden. Nur zehn Prozent der Echtzeit-Daten würden verwertet. Moderne Data Governance sei kaum implementiert, genauso wenig Selbstbedienung oder Automatisierung.
Kein Wunder, dass viele Firmen, die Forrester 2022 befragte, in den kommenden zwölf Monaten in Datenqualität (29 %), Datenintegration insbesondere von Echtzeitdaten (25 %), Public Cloud Data Services, Master Data Management und Sicherheitsanalysen (23 %) investieren wollen.
Für Verbesserungen, so spielte Barrasa den Ball weiter, seien native Graphdatenbanken ein ideales Werkzeug. Verglichen mit multimodalen Datenbanken böten sie bei der Analyse komplexer, mehrdimensionaler Zusammenhänge mehr Leistung, hätten überschaubare Datenmodelle (85 % unter einem Terabyte), skalierten besser und seien konsistenter. Daher sei es kein Wunder, dass heute bereits 41 Prozent der Unternehmen Graph-Technologien in Produktivumgebungen nutzten.
In Zukunft: Domain- und Use-Case-Clouds
Die Zukunft gehöre sogenannten Domain- und Use-Case-Clouds, die spezifische Datenthemen in großer Tiefe analysieren und darstellen. Hyperscaler verstünden die Daten nicht und seien daher für solche Zwecke trotz ausgefeilter Pipelines ungeeignet. „Das Wissen über Use Cases liegt bei den Anwendern“, betonte Barrasa. Darstellen ließe sich dieses Wissen am besten mit Graphdatenbanken.
Heiko Schönfelder, der das Geschäft von Neo4j im deutschsprachigen Raum verantwortet, sieht die Vertikalisierung des Vertriebs in Deutschland als das derzeit wichtigste Thema des rund 40-köpfigen deutschen Teams mit Sitz in München. Dabei stehen die Branchen Pharma/Healthcare, Produktion und Finanzwesen im Mittelpunkt. Außerdem wurde mit Vertriebspartner Prodyna die Zusammenarbeit für den neuen Hyperscaler-Partner Azure ausgebaut.
Basecamp Research: Die ganze Biosphäre als Graph
Mehrere Beispiele demonstrierten auf der Tagung, wie Unternehmen von Neo4j profitieren. Das Start-up Basecamp Research versucht, die komplexen Zusammenhänge der Biosphäre mithilfe eines Graphen zu erfassen, der inzwischen schon drei Milliarden Datenbeziehungen abbildet. Dafür fahren Wissenschaftler in abgelegene Gegenden und sammeln dort biologisches Material, das sequenziert und mit Daten über Umweltbezüge in das Modell integriert wird. Daraus wiederum entnimmt das Start-up Teilgraphen, die für Firmenkunden interessant sind, und vermarktet diese per Lizenz.
Man wolle eine „ökonomische Brücke“ (CTO Philipp Lorenz) zwischen den Bewahrern der ökonomischen Vielfalt und den diese Vielfalt nutzenden Unternehmen bauen. Deshalb gibt es Verträge zwischen Naturschutzgebieten, Indigenen und weiteren Akteuren und Basecamp Research, die teils auch finanzielle Rückflüsse zu diesen Akteuren oder Zugriff auf sequenzierte Genome garantieren. Wie hoch die finanziellen Beiträge ausfallen, verrät Lorenz nicht.
IKEA: Knowledge Graph
Besonders nachgefragt sind derzeit Knowledge Graphen, die wichtiges Firmenwissen in eine durchschaubare Ordnung bringen. Einen solchen hat IKEA Systems B.V. mithilfe von Neo4j entwickelt, worüber Katariina Kari, Knowledge Graph Advisor bei IKEA Systems, berichtete. Der Knowledge Graph bildet die Basis der Sachkommunikation mit den Franchise-Nehmern in aller Welt.
Er umfasst eine oberste, ontologische Schicht mit rund hundert Konzepten („Kunde“, „Material“, etc.) , die von einem globalen Ontologie-Team verantwortet wird. Darunter liegt eine taxonomische Schicht, die ungefähr tausend einzelne Begrifflichkeiten umfasst und mit der sich beispielsweise erfassen lässt, dass Sofas grundsätzlich gut zu weichen Kissen passen. Die Inhalte dieser Schicht werden von Spezialisten für die einzelnen Begriffe verantwortet. Die unterste Ebene wird automatisiert gespeist und enthält die eigentlichen Produktdaten.
Kari betonte, dass gerade die oberste Ebene eines solchen Mindmap-ähnlichen Systems bei sorgfältiger Entwicklung sehr konstant sei. Hier ließe sich auch wenig automatisieren, vielmehr komme es auf gründliches Nachdenken an.
Telekommunikation
Drittes Beispiel war die Anwendung von Neo4j in der Telekommunikation, wie sie das österreichische Beratungsunternehmen Sopra Steria erfolgreich bei Providern wie Orange, AT&T, BTT und anderen praktiziert. Hier dient Neo4j der Erfassung und Abbildung von Topologien in Echtzeit.
Damit lassen sich Fehlerquellen oder Engpässe im Netz schneller erkennen. Man kann auch erkennen, wo im Netz Schwachstellen sind, wie man Bottelnecks am besten umgeht oder Daten-Transportrouten optimal wählt.
Neuerungen
Schließlich ging es noch um Neuerungen in der aktuellen Neo4j-Version. Über sie berichtete wieder Jesus Barrasa. Die Composite Database ermöglicht es Administratoren, Fabric über Cypher dynamisch zu erstellen und zu verwalten. So lassen sich Sharded- oder Federated-Graphen als eine einzige Datenbank erstellen. Dahinter verbirgt sich ein zweistufiger Datenbank-Aufbau: Im Hintergrund liegen mehrere Datenbanken mit spezifischen Detailinformationen, im Vordergrund eine Datenbank, in die die Abfragen eingegeben und dann an die hinten liegenden Datenbanken weitergereicht werden.
Die neue Infrastruktur Autonomous Clustering entkoppelt die Server von den Datenbanken und verbessert die Skalierbarkeit und Cloud-Fähigkeit, ohne dafür die Konsistenz der Daten aufzugeben. Im Rahmen inkrementeller Backups für sehr große Datenmengen ermöglicht Neo4j nun Schreib-/Lese-Replika. Die Abfragesprache Cypher hat neue Funktionen, die die Länge und Komplexität von Anfragen verringern. Aus dem Visualisierungstool Bloom heraus können Anwender jetzt diverse Algorithmen aus der integrierten Algorithmensammlung Graph Data Science direkt per Point-and-Click aufrufen.
Vereinfachungen wie diese scheinen nötig zu sein, denn viele Kunden nutzen Tools, die Endanwender komplett oder partiell vom direkten Umgang mit Neo4j abschirmen. Denn hinter den bunten Graphen stecken oft Hunderte Zeilen Cypher-Code. Beratungsunternehmen wie Gartner machen deshalb gute Geschäfte mit großen Kunden, die Neo4j einsetzen wollen.
Ein Beispiel für ein Vereinfachungstool ist Gemini Datas GUI Explore. Das italienische Start-up ist seit eineinhalb Jahren OEM von Neo4j. Vertriebsleiter Alessandro Salvi: „Mit unserem No-Code-Tool können auch Anwender aus Fachabteilungen ohne Programmierwissen mit Neo4j umgehen.“
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