Grundlagenwissen Artificial Intelligence im Marketing, Teil 2 KI ist nicht gleich KI – Qualitätsmerkmale, Definition und Learnings

Autor / Redakteur: Sebastian Hupf / Nico Litzel |

Schach spielen, Aktien handeln und Auto fahren: Aufgaben, die wir so gut beherrschen, dass wir in der Lage sind, die zugrunde liegenden Prinzipien zu abstrahieren und sie künstlich intelligenten Maschinen beizubringen. Da die Fähigkeiten, die eine KI erlernt und anwendet, meist sehr spezifisch sind, lassen sie sich selten bzw. nur partiell auch auf andere Aufgaben übertragen.

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Der Faktor Echtzeit spielt im Marketing eine entscheidende Rolle. Wie Künstliche Intelligenz hier hilft, verrät der Artikel.
Der Faktor Echtzeit spielt im Marketing eine entscheidende Rolle. Wie Künstliche Intelligenz hier hilft, verrät der Artikel.
(Bild: © AndSus - stock.adobe.com)

Systematik, Logik und didaktische Methoden sind weitestgehend universell anwendbar, jedoch naturgemäß unglaublich komplex und entsprechend schwierig zu erlernen – für Mensch, wie Maschine. Jedoch erweist sich der Ansatz, einem künstlichen System grundlegende didaktische Methoden anzutrainieren und der Maschine somit das Handwerkszeug zu verleihen, Wissen aus Erfahrung zu generieren, als sehr vielversprechend. Ziel ist es, nach Beendigung einer Lernphase, dem System die Verallgemeinerung des explizit gelernten zu ermöglichen. Man fasst dieses Anlernen von Maschinen unter dem Oberbegriff „Machine Learning“ zusammen.

Wie lernen Maschinen zu lernen?

Wir machen täglich neue Erfahrungen, bilden uns fort und perfektionieren nebenbei, bisher gelernte Vorgehensweisen und Denkmuster, um so bestmöglich auf bereits bekannte, wie neue Herausforderungen vorbereitet zu sein. Hat man etwa das Regelwerk des Schachspiels verstanden, wird es trotzdem einige, wenn nicht zahlreiche Spiele dauern, bis man sich im Spielgeschehen zurechtfindet und sinnvolle Entscheidungen trifft, um ultimativ mehrschichtige Spielzüge zu identifizieren und selbst anzuwenden. Um an diesen Punkt zu gelangen, bedarf es vier essentieller Komponenten: Daten (Wahrnehmung & Fachkenntnisse), Infrastruktur (Verstand & Gedächtnis), Algorithmen (Systematik & Logik) und Lehrer (Experten & Didaktiker). Ein künstlich intelligentes System funktioniert mit denselben vier Komponenten und ist genau wie wir auf Erprobung, Training und sukzessive Anpassungen seiner Strategie angewiesen.

Grundsätzlich gilt: Je mehr Daten einem System zur Verfügung stehen, desto klüger bzw. präziser agiert es. Erwartungskonform gibt es im Zeitalter von Smartphones, Smartwatches und Smart Homes mehr Daten als jemals zuvor. In den vergangenen zwei Jahren wurden 90 Prozent aller jemals generierten Daten erzeugt, bei anhaltend steigender Geschwindigkeit. KI-Systeme erhalten somit stetig mehr Input und können folglich immer umfassendere Analysen durchführen und präzisere Vorhersagen treffen. Mit wachsendem Systemen steigen die Anforderungen an die Infrastruktur, die eine kontinuierlich zunehmende Menge an Datenpunkten zeiteffizient verarbeiten muss und die Kapazitäten eines Menschen bei weitem übersteigt. Die umfassende Analyse einer Kampagne, die einen Menschen hunderte Jahre kosten würde, läuft dank KI in Echtzeit ab.

Verlängerter Arm im Marketing

Der Faktor Echtzeit ist dahingehend entscheidend, dass ein statisch generiertes Ergebnis für Marketer nur bedingt relevant ist. Einzelne Parameter können sich im langwierigen Laufe des Planungs-, Durchführungs-, und Evaluationsprozesses ändern und im ungünstigsten Fall einen wertlosen, oder sogar irreführenden Insight generieren. Eine Anwendung im Marketing erfordert, dass eine KI autodidaktisch und in Echtzeit, sich permanent ändernde Bedingungen erkennt, klassifiziert und ihre Resultate entsprechend anpasst. Die Realisierung einer solchen KI erfordert eine immens komplexe Infrastruktur und massive Prozessorleistung. Selbst mit sinkender Tendenz ist die Einrichtung und Instandhaltung eines Datencenternetzwerkes auf globaler Ebene sehr ressourcen- und kostenintensiv.

Bei Sizmek analysieren beispielsweise etwa 50.000 Prozessoren, auf diverse Kontinente verteilt, jede Sekunde Abermillionen Datenpunkte für KI-Anwendungen. Was zunächst exzessiv klingen mag, ist eine absolute Notwendigkeit, um in Echtzeit globale Marktkonditionen zu verstehen und fundierte Erkenntnisse zu gewinnen. KI-Anwendungen, die in Echtzeit laufen, werden allgemeinhin Real Time AI (Echtzeit-KI) genannt. Hier ist Vorsicht geboten. Denn nicht alles, was als Echtzeit-KI verkauft wird, wird dem zugrunde liegenden Versprechen der Echtzeitdatenverarbeitung gerecht. Eine Echtzeit-KI lässt sich anhand der folgenden Indikatoren leicht erkennen. Sie ist:

  • Proaktiv: Weiß, wie man ohne externen Befehl handelt.
  • Selbstlernend: Kann den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg erkennen und sich anpassen.
  • Reaktionsfähig: Überwacht permanent die eigene Leistung durch eine kontinuierliche Feedback-Schleife.

Diese Indikatoren erlauben es, zu erkennen, ob eine KI-Anwendung auch eine Real Time AI ist. Sie erlauben aber darüber hinaus keine Einschätzung zur Qualität der Ergebnisse. Was macht also eine KI „gut“?

  • Daten: Qualitativ hochwertige Datenpunkte, den quantitativen Bedarf deckend.
  • Infrastruktur: Anzahl der Rechenzentren, Rechenleistung und ein engagiertes Team.
  • Entwickler: Erfahrene Experten auf Entwicklerseite, die bereits Projekte im Bereich KI durchgeführt haben, keine Ablenkungen durch andere Aufgaben erfahren & umfassendes Verständnis und Vision für den Themenkomplex KI besitzen.

Alt Rock, Punk Infected, Folk Rock oder alles gleichzeitig

Die Entwicklung neuartiger Technologien ist aufregend, kann jedoch gleichermaßen verwirrend sein, da es in Pionierphasen junger Branchen und Disziplinen oftmals weder eine einheitliche Terminologie noch Definitionen gibt. Die Kategorisierung von KIs ist ähnlich kompliziert wie die von Musik. Was der eine als „akustischen Pop“ bezeichnet, ist beim nächsten Alt Rock, Punk Infected, Folk Rock oder alles gleichzeitig. Die Grenzen verlaufen fließend und verschieben sich permanent. Zum besseren Verständnis und zur individuellen Evaluierung der Versprechen, die KI-Anbieter abgeben, werden nun einige Begriffe kurz erläutert und an einem Beispiel aufgezeigt, wie sie miteinander agieren.

Algorithmen sind Prozesse, die Schritt für Schritt Probleme lösen. Das kann so simpel sein, wie zwei Zahlen zu addieren oder einen Anrufer mit der gewünschten Person zu verbinden – oder eben so komplex, wie die Simulation einzelner Neuronen in künstlichen neuronalen Netzen. Gepaart mit Daten, die sie anwenden können, ergeben Algorithmen ein sogenanntes Model.

Computer Vision nutzt Algorithmen zur Übersetzung von Bildern in Daten. Es gelingt ihnen etwa Blumenarten, menschliche Emotionen oder Firmenlogos zu erkennen und voneinander zu unterscheiden.

Logistic Regression gibt Wahrscheinlichkeiten zum Eintreten bzw. Ausbleiben bestimmter Events wieder. Wird es heute regnen? Wird ein bestimmter Kunde auf eine Werbeanzeige klicken?

Neuronale Netze abstrahieren die Informationsverarbeitung von Nervenzellenverbindungen im menschlichen Gehirn. Sie kreieren gemäß dem biologischen Vorbild ein virtuelles Modell, also eine künstliche Nachbildung. Ein Netzwerk künstlicher Neuronen löst Probleme, bei denen wenig oder kein explizites Wissen vorliegt. Bei Text-, Bild- oder Gesichtserkennung müssen Hunderttausende bis Millionen Datenpunkte auf vergleichsweise wenige valide Ergebnisse überführt werden. Jedes künstliche Neuron führt eigene kleine Berechnungen durch, kann Verbindungen zu anderen Neuronen aufbauen und wenn nötig bzw. wenn es ihm sinnvoll erscheint, wieder trennen. Diese Beschaffenheit ermöglicht es ihnen, bei nicht linearen Problemen oftmals bessere Ergebnisse zu liefern als existierende statistische Ansätze.

Deep Learning beschreibt besonders große neuronale Netze. Je umfangreicher ein solches Netz wird, desto mehr Rechenleistung und Trainingsdaten benötigt es, um weiter wachsen zu können und somit progressiv besser, extrem komplizierte Probleme zu lösen. So gelang es unlängst dem Programm „AlphaGo“ erstmals, den Go-Turniergewinn gegen den weltbesten menschlichen Spieler zu erzielen.

Beispiel autonomes Fahrzeug

Ein autonomes Fahrzeug muss eigenständig eine immense Vielzahl von dynamischen Umfeldern erkennen und sein Verhalten in Echtzeit situationsgemäß anpassen. Wer sich an die Führerscheinprüfung erinnert, weiß wie stressig der Alltagsverkehr mit all seinen Akteuren und Regeln sein kann. Es ist schlichtweg nicht möglich, jede Situation in der Gesamtheit ihrer Komplexität vorherzusehen und eine entsprechende Reaktion zu programmieren. Man verfolgt also den Ansatz, dem Fahrzeug mittels maschinellen Lernens, eine hohe Kompetenz in der Beurteilungs- und Entscheidungsfähigkeit im Straßenverkehr anzutrainieren. Betrachten wir exemplarisch den Bremsvorgang: Algorithmen werden mit Daten diverser Sensoren, vorwiegend Kameras, versorgt. Computer Vision analysiert die Bilddaten und übersetzt diese in auswertbare Daten. Logistic Regression erstellt eine Vorhersage, wie wahrscheinlich eine Verhaltensänderung anderer Verkehrsteilnehmer ist und dank Machine bzw. Deep Learning kann das Fahrzeug, in sich ein hochkomplexes neuronales Netz, eine Bremssituation erkennen und in Echtzeit den Bremsvorgang einleiten.

Der Autor: Sebastian Hupf ist Managing Director DACH von Sizmek
Der Autor: Sebastian Hupf ist Managing Director DACH von Sizmek
(Bild: Sizmek)

Die Komplexität und Dynamik des Straßenverkehrs in aussagekräftige Daten zu übersetzen und es einer KI zu ermöglichen, sich in unserer analogen Außenwelt zurechtzufinden, ist sehr kleinteilig und erfordert viel Sensorik. Ein limitierender Faktor, da Probleme und entsprechende Lösungen nicht nur mathematischen, sondern auch physikalischen Gesetzen folgen müssen, die eine zusätzliche Ebene der Komplexität darstellen. In einem rein digitalen Umfeld kann eine KI frei von limitierenden Paradigmen agieren und in der Lösungsfindung disruptive und potenziell revolutionäre Wege einschlagen. Denn auch, wenn sich die didaktischen Methoden, mit denen man KIs anlernt, aus Ableitungen alltäglicher Beobachtungen unserer Natur ergeben, können sich in der individuellen und situativen Anwendung auf ein Problem im digitalen Umfeld - etwa im Marketing - unkonventionelle Lösungswege als zielführende Innovation erweisen und somit etablierte Ansätze obsolet machen. Raum für die Postmoderne.

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