Angemerkt Illusion 4.0 – Deutschlands naiver Traum von der smarten Fabrik

Professor Andreas Syska / Redaktionsteam IoT |

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Industrie 4.0 erfüllt alle Kriterien für einen Hype. Zudem basiert Industrie 4.0 auf dem Denkfehler, dass ein nicht lineares und soziales System wie eine Fabrik mit Algorithmen steuerbar ist. Das hat noch nie funktioniert und das wird auch dieses Mal so sein, sagt Professor Dr. Andreas Syska von der Hochschule Niederrhein.

Nach dem Maschinenbaustudium und der Promotion in Aachen war Prof. Dr. Andreas Syska unter anderem als Produktionsleiter für Robert Bosch tätig. Heute lehrt er an der Hochschule Niederrhein. Seine These zu Industrie 4.0 lässt sich in dem Satz zusammenfassen: „Die Deutschen tüfteln an Schnittstellen, während die Amerikaner Geschäftsmodelle entwerfen.“
Nach dem Maschinenbaustudium und der Promotion in Aachen war Prof. Dr. Andreas Syska unter anderem als Produktionsleiter für Robert Bosch tätig. Heute lehrt er an der Hochschule Niederrhein. Seine These zu Industrie 4.0 lässt sich in dem Satz zusammenfassen: „Die Deutschen tüfteln an Schnittstellen, während die Amerikaner Geschäftsmodelle entwerfen.“
(Bild: Hochschule Niederrhein)

Einst gestartet als Initiative für den produzierenden Mittelstand, wird Industrie 4.0 derzeit vornehmlich von Fabrikausrüstern und der Forschung getrieben. Kein Wunder, denn sie profitieren hiervon als erste. Sie beglückwünschen sich gegenseitig für technische Lösungen, die aber oftmals gar nicht so innovativ sind, wie behauptet.

Wer also ein reiches Angebot an altem Wein in neuen Schläuchen sehen will, der möge sich hier etwas umschauen. Unhaltbare Heilsversprechen, zahlreiche Trittbrettfahrer und eine enorme mediale Aufmerksamkeit – Industrie 4.0 erfüllt alle Kriterien für einen Hype.

Zudem basiert Industrie 4.0 auf dem Denkfehler, dass ein nicht lineares und soziales System wie eine Fabrik mit Algorithmen steuerbar ist. Das hat noch nie funktioniert und dies wird auch dieses Mal so sein.

Das Narrenschiff ist auf dem Weg – ohne Ziel und ohne Kompass. Und alle wollen mit. Alle? Nein, denn ausgerechnet diejenigen, um die es eigentlich geht wollen partout nicht mit an Bord. So erklärt eine wachsende Zahl mittelständischer Produzenten offen, dass sie sich an Industrie 4.0 nicht beteiligen will. Das liegt aber nicht an deren vermeintlicher Schläfrigkeit, wie von den Treibern von Industrie 4.0 gerne kolportiert wird, sondern an der mangelnden Qualität des Angebotenen.

Das ist auch das Ergebnis einer desaströsen Kommunikation. Denn wie bei jeder großen Veränderung braucht auch Industrie 4.0 eine Vision und eine Antwort auf die Frage nach dem „Warum“. Auf beides warten wir seit fünf Jahren vergebens. Stattdessen hören wir die pauschale Aussage, dass dies nun einmal die nicht aufzuhaltende Zukunft sei. Man fügt noch eine Prise Angst hinzu und behauptet, dass derjenige unweigerlich ins Hintertreffen gerät, wer hier nicht mitmacht.

Industrie 4.0 zielt einseitig auf die Produktion

Der eigentliche Sinn der webbasierten Vernetzung besteht aber in datenbasierten Geschäftsmodellen, ihre Potenziale liegen außerhalb der Fabriken. Diese Potenziale findet man aber nicht, wenn der Denkhorizont nur bis ans eigene Werkstor reicht. Industrie 4.0 zielt hierzulande einseitig auf Performance der Produktion und kommt gedanklich nicht aus dem kleinen Karo der Fabrik hinaus.

Stattdessen betreibt man ebenso lustvoll wie selbstverliebt Nabelschau und löst mit Hingabe technische Probleme, vornehmlich die der Datenschnittstellen. Die Show hat auch einen Namen: Deutschland sucht den Super-Standard. Die Überlegung dahinter lautet, dass erst die Existenz eines technisch überzeugenden Informationsstandards spannende Anwendungen möglich macht. Umgekehrt ist es aber richtig: spannende Anwendungen bestimmen, welcher Standard sich durchsetzen wird.

Und genau das haben die Amerikaner erkannt. So tüfteln die Deutschen an Schnittstellen, während die Amerikaner Geschäftsmodelle entwerfen. Die Deutschen fragen sich, wie das funktioniert – die Amerikaner fragen sich, welches Geld man damit verdienen kann. Die Rollenverteilung ist klar. Die Amerikaner stecken die digitalen Claims ab und schaffen neue Märkte, während sich die Deutschen widerstandslos den Platz in der zweiten Reihe haben zuweisen lassen - als austauschbare Hardwarelieferanten von Internet-Unternehmen. Und unsere Fabrikausrüster, die Industrie 4.0 lediglich als Konjunkturprogramm begreifen und sich angesichts erwarteter Umsatzzuwächse derzeit freudig die Hände reiben, haben nicht verstanden, dass es genau diese Entwicklung ist, die sie selber hinwegfegen wird.

Industrie 4.0 darf nicht länger dogmatisch daherkommen und ist auch kein Selbstzweck. Einigkeit besteht darüber, dass die Vernetzung des Digitalen die Welt verändern wird. Deshalb hat Industrie 4.0 endlich die Technikecke zu verlassen und ist von der Gesellschaft und vom Markt her zu denken. Dies muss sich in neuen Geschäftsmodellen abbilden und bedarf der Bereitschaft, das eigene Geschäftsmodell unsentimental zu zerstören, statt es linear fortzuschreiben. Industrie 4.0 hat nur dann eine Chance auf Erfolg, wenn sie sich die Frage stellt, wie wir zukünftig wirtschaften, arbeiten und leben wollen und aus den Antworten die richtigen Schlüsse zieht.

Der Beitrag ist ursprünglich bei unserem Schwesterportal Industry of Things erschienen.

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