Erfahrungsbericht Ergebnisse zum digitalen Zwilling aus dem Umsetzungsprojekt

Von Johannes Kalhoff * |

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Wie setzen wir Industrie 4.0 schnell und effizient um? Mit dieser Frage beschäftigen sich derzeit viele Industrieunternehmen. Statt allein vor sich hin zu tüfteln, ist heute mehr denn je die Zusammenarbeit gefragt.

Bild 1: Vom Austausch technischer Informationen und Daten profitieren alle – die Anlagenbetreiber, die Service Provider und die Hersteller von Maschinen und Komponenten für die Industrie.
Bild 1: Vom Austausch technischer Informationen und Daten profitieren alle – die Anlagenbetreiber, die Service Provider und die Hersteller von Maschinen und Komponenten für die Industrie.
(Bild: Phoenix Contact)

Das Projekt „Technische Infrastruktur für digitale Zwillinge (TeDZ)“ des Spitzenclusters it´s OWL hat gezeigt, dass virtuelle Nachbildungen von Prozessen und Anlagen (digitaler Zwilling) die geeignete Technologie-Grundlage legt und der sich daraus ergebende Nutzen erreichbar ist. Die Bezeichnung it’s OWL steht für Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe und kennzeichnet eine Kooperation von über 200 Unternehmen, Hochschulen, wissenschaftlichen Kompetenzzentren und wirtschaftsnahen Organisationen in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL), die im Jahr 2012 gegründet wurde. Träger ist das Unternehmen it's OWL Clustermanagement GmbH mit Sitz in Paderborn.

Im Umfeld von Industrie 4.0 wird der digitale Zwilling auch als Asset Administration Shell (ASS) bezeichnet. Das Umsetzungsprojekt „Asset Life“ der am TeDZ-Projekt beteiligten Unternehmen Bosch Rexroth und Phoenix Contact hat die wesentlichen Use Cases für die Interaktion zwischen den beteiligten Akteuren betrachtet. Zudem ist eine Infrastruktur für digitale Zwillinge exemplarisch implementiert worden, die den Aufbau digitaler Geschäftsmodelle zur Realisierung des Industrie-4.0-Ansatzes ermöglicht. Nachfolgend werden die gewonnenen Erkenntnisse aus dem Asset-Life-Projekt sowie deren Übertragung auf industrielle Datenräume – beispielsweise „Manufacturing X“ - beschrieben. Ferner gibt der Artikel einen Ausblick auf den Wertbeitrag, den digitale Zwillinge hinsichtlich der Herausforderungen in puncto Wettbewerbsfähigkeit und industrieller Resilienz sowie Klimaneutralität und Nachhaltigkeit leisten können.

Stetige Anreicherung um zusätzliche Informationen

Um den Use Case eines konfigurierbaren Produkts zu erläutern, verwendet das Projekt Asset Life ein intelligentes Netzgerät als Use Case. Dieses Beispiel unterstreicht die Notwendigkeit eines interoperablen Datenaustausches zwischen den Beteiligten über digitale Zwillinge. Im Use Case werden die Anforderungen des Maschinenbauers (Kunde) im Produktkonfigurator des Herstellers des intelligenten Hutschienen-Netzteil berücksichtigt. Als Ergebnis erhält der Maschinenbauer das Angebot des Herstellers bezüglich der Fertigung eines kundenspezifischen Artikels und damit den ersten digitalen Zwilling (nachfolgend DZ genannt) des gewünschten Produkttyps (DZ-Typ). Ein solcher Produkttyp entspricht dem angebotenen Artikel, der zum Beispiel unter einer Artikelnummer gelistet ist (Bild 2).

Mit dem Produktionsauftrag wird das Produkt vom Produzenten hergestellt. So entsteht der DZ des real gefertigten Assets (DZ-Instanz I), der beispielsweise die tatsächlichen Produktionsdaten wie Seriennummer, Hard- und Software-Revision oder Prüfergebnisse umfasst. Die Instanz korrespondiert mit dem real gefertigten Produkt mit etwa der Seriennummer eines Artikels. Der Hersteller liefert das vom Maschinenbauer konfigurierte Produkt, den zugehörige DZ-Typ des Artikels sowie die DZ-Instanz II als digitales Typenschild. Die DZ-Instanz II beinhaltet unter anderem das Asset sowie die Anreicherung der DZ-Instanz I des Produkt-Herstellers um zum Beispiel den Wert des CO2-Fußabdrucks sowie Material- oder Ressourcen-Informationen.

Nachfolgend bildet sich beim Maschinenbauer die DZ-Instanz III und beim Betreiber die DZ-Instanz IV, die jeweils spezielle Informationen enthalten können, etwa maschinenspezifische Installationshinweise des Maschinenbauers oder Betriebsmittelkennzeichen des Betreibers (Bild 2).

Bild 2: Der Anwendungsfall „Konfigurierbares Produkt“ des it´s OWL-Umsetzungsprojekts Asset Life.
Bild 2: Der Anwendungsfall „Konfigurierbares Produkt“ des it´s OWL-Umsetzungsprojekts Asset Life.
(Bild: ZVEI)

Einfache, interoperable und sichere Bereitstellung der Daten

Wie das Beispiel belegt, ist der digitale Zwilling ein Teil der Wertschöpfungskette, auf die sich die beteiligten Unternehmen verlassen müssen. Das gilt auch für die inhaltlichen Daten und ihre Historie. Produkte werden immer intelligenter und können sich aufgrund von Software in ihren Fähigkeiten ändern. Vor diesem Hintergrund hängt der Erfolg eines wertschöpfenden Geschäftsmodells von der Kompetenz ab, Daten einfach, kostengünstig und interoperabel austauschen zu können.

Deshalb hat die digitale Infrastruktur für digitale Zwillinge die folgenden zentralen Anforderungen zu erfüllen:

  • Verfügbarkeit: DZ müssen den jeweiligen Nutzern einfach und bezahlbar zur Verfügung stehen – jederzeit und auch im Fall eines Offline-Betriebs.
  • Nachvollziehbarkeit: Die Integrität der Informationen muss gegeben sein, was eine transparente Historie und Publikation bedingt.
  • Sicherheit: Im Sinne von Security ist für eine hohe Zugriffssicherheit zu sorgen.
  • Vertraulichkeit: Informationen sollen pro Partei separat und durch die Quelle zugänglich gemacht werden. Das unterstützt die Souveränität im Handeln der Beteiligten.
  • Interoperabilität: Standardisierte Schnittstellen und Definitionen für die Syntax und Semantik stellen weltweit eine einfache Kommunikation und Interpretation der Inhalte sicher.

Die Infrastruktur muss dafür sorgen, dass der digitale Zwilling die für die entsprechende Phase der zirkulären Wirtschaft (beispielsweise Konfiguration, Produktion, Betrieb oder Wiederverwendung) erforderlichen Informationen anbietet und sich diese anpassen lassen.

ZVEI-Projekt Digitales Typenschild

Ein auf den Industrie-4.0-Mechanismen basierendes digitales Ökosystem, das neben der AAS ebenfalls Security, Integrität und den sicheren Datenzugriff auf der Objektebene unterstützt, weist beste Voraussetzungen für die zuvor beschriebenen Anforderungen auf. Nachfolgend sollen drei wesentliche Use Cases (mögliche Anwendungen) dies verdeutlichen (dazu Bild 3):

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Bild 3: Digitaler Zwilling und papierlose Datenwirtschaft in der Industrie am Beispiel Netzteil. Als Asset fungiert das Netzteil. Die Identifizierung erfolgt über einen QR-Code auf der Front des Produkts. Das Scannen leitet den Nutzer direkt zu dem digitalen Zwilling.
Bild 3: Digitaler Zwilling und papierlose Datenwirtschaft in der Industrie am Beispiel Netzteil. Als Asset fungiert das Netzteil. Die Identifizierung erfolgt über einen QR-Code auf der Front des Produkts. Das Scannen leitet den Nutzer direkt zu dem digitalen Zwilling.
(Bild: Phoenix Contact)

Das ZVEI-Projekt „Digitales Typenschild“ macht den direkten Nutzen einer Punkt-zu-Punkt-Verknüpfung des physischen Assets und des digitalen Zwillings – der Asset Administration Shell (AAS) – sofort sichtbar: Der Hersteller kann dem Anwender die derzeit analogen Produktinformationen nun vollständig digitalisiert bereitstellen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für Effizienzgewinne durch digitalisierte Planungs- und Betriebsprozesse oder Nachhaltigkeitsanforderungen wie den durch die EU angestrebten Batterie-Pass. Der Verzicht auf Papier für die produktbegleitende Dokumentation spart zusätzlich Ressourcen für die Bedruckung und den Transport sowie Entsorgungsaufwände. Die DIN SPEC 91406 definiert den Ankerpunkt für den digitalen Zwilling. Diese eindeutige Kennung (zum Beispiel in Form eines QR-Codes) erlaubt den Zugriff auf die AAS als für den Menschen lesbare Webseite ebenso wie für die Maschinen. Der herstellerübergreifende Standard reduziert somit Zeit und Kosten, ist weltweit verfügbar (IEC 61406 in Erstellung) sowie stets aktuell und nachhaltig (Bild 3).

Darstellung des Product Carbon Footprint

Die Informationsweitergabe über Unternehmensgrenzen und Zulieferer hinweg erweist sich sowohl für Lieferketten als auch die Identifikation von Materialien sowie des CO2-Footprints von Bedeutung. Zu diesem Zweck wird die AAS im ZVEI-Projekt „Product Carbon Footprint (PCF)“ zur CO2-Kalkulation eines Schaltschranks inklusive der in ihm installierten Zulieferprodukte genutzt. Die Fähigkeit der Asset Administration Shell, die Merkmale mit verschiedenen Standards zu verbinden, ermöglicht die automatisierte Verarbeitung unterschiedlicher Quellen. Dabei werden die Verkettung und Integrität der transferierten Informationen methodisch sichergestellt, da in der Zulieferkette nicht alle Partner zwingend bekannt respektive vertragsrechtlich gebunden sind. Wie das digitale Typenschild kann das ZVEI-Projekt PCF als Blaupause für den „EU Product Passport“ dienen.

Die Optimierung von Fertigungsprozessen

Für den Anwender ergibt sich ein weiterer Vorteil, wenn die Daten hersteller- und gewerkeübergreifend zugänglich sind. Als Beispiel sei die datentechnische Verknüpfung von Gerätehersteller, Maschinenbauer und Betreiber genannt. Mit dem gemeinsamen Ziel der Einsparung von Energie sowie des Hebens von Effizienzvorteilen sind sie jetzt in der Lage, mit den vereinbarten Nutzdaten über die AAS kundenspezifische Maschinenoptimierungen oder Funktions-Updates bei intelligenten Produkten umzusetzen sowie die entsprechenden Fertigungsprozesse gemeinsam mit dem Anwender zu verbessern. Das Erreichen von Produktions- oder Ressourcenzielen durch gemeinschaftliches Arbeiten verschafft sowohl dem Anwender ebenso wie dem Hersteller von Produkten und Produktionsmitteln Vorteile. Das multilaterale Teilen von Daten in einer verfügbaren Dateninfrastruktur ist hier Voraussetzung. Denn durch die Bildung industrieller Datenräume, etwa Catena-X für die Automobilindustrie oder Manufacturing-X für die Industrie, entstehen durchgängige, kollaborative und offene Datenökosysteme, in denen bestehende Geschäftsmodelle effizienter ermöglicht und neue Geschäftsmodelle zusätzlich befähigt werden.

Standardisierte Schnittstellen

Das it´s OWL-Projekt hat gezeigt, dass die hierzu notwendigen Daten tatsächlich in verschiedenen Produktivsystemen sowie unterschiedlichen Formaten und Strukturen vorliegen. Diese sind vielfach hersteller-/anwenderspezifisch und entsprechen folglich keiner standardisierten Form. Selbst wenn sich die Kommunikationsinfrastruktur durch den Einsatz von Ethernet, Internet und Funktechnologien zunehmend optimiert hat, hängt der automatisierte Datenaustausch zwischen den Unternehmen von der Verfügbarkeit interoperabler Software-Schnittstellen ab. Weil sie nicht überall vorhanden sind, müssen die Schnittstellen aufwändig und kostenintensiv integriert werden.

Insbesondere im Hinblick auf die globalen wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen erweist sich eine niederschwellige, funktionierende Datenlogistik als dringend erforderlich. Als Analogie sei die E-Mail genannt. Erst durch ihre Einbindung in Produktivsysteme sowie die geringeren Transportkosten aufgrund der standardisierten Internetanschlüsse wurde sie immer häufiger verwendet. Das Existieren interoperabler Kommunikationsschnittstellen in den Software-Lösungen der Anwender sowie die Nutzung der jeweiligen Dateninhalte stellen also erfolgsrelevante Faktoren dar.

Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit

Der Geschwindigkeit beim Aufbau digitaler Datenökosysteme sowie deren europaweiter und internationaler Ausweitung kommt eine wesentliche Bedeutung zu. Die Asset Administration Shell bietet hier mit der zugrunde liegenden Security, Integrität und dem sicheren Datenzugriff auf der Objektebene beste Voraussetzungen. Die AAS wird als Open Source durch die Industrial Digital Twin Association e.V. (IDTA) gestaltet und zugänglich gemacht. Als Taktgeber der digitalen Datenökosysteme fungiert eine verfügbare niederschwellige Datenlogistik, mit der sich durch standardisierte Schnittstellen in den Softwareproduktivsystemen Datenräume schaffen und skalieren lassen. Das gilt gleichermaßen für die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und industrielle Resilienz, ebenso wie die Erlangung von Klimaneutralität und Nachhaltigkeit.

Schlußanmerkung: In der Industrial Digital Twin Association (kurz IDTA) ist Phoenix Contact eines der Gründungsmitglieder. Die IDTA hat das Ziel, die Verwaltungsschale (Asset Administration Shell, AAS) als Umsetzung des digitalen Zwillings für das Konzept Industrie 4.0 weltweit zu etablieren. Die internationale Standardisierung der AAS als IEC 63278 wurde bereits gestartet. Zudem unterstützt Phoenix Contact die Aktivitäten zu der entsprechenden internationalen Norm IEC 61406 für das digitale Typenschild. 

Dieser Artikel stammt von unserem Partnerportal ElektronikPraxis.

* Johannes Kalhoff ist Master Specialist Corporate Technology and Value Chain bei Phoenix Contact.

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