Halbleiterbranche positioniert sich für Internet of Things Das Über-Internet bringt neue Wirtschaftsgiganten hervor
Altera, Broadcom, International Rectifier oder Freescale – bekannt sind diese Firmen nur Eingeweihten. Jetzt sind sie Historie. Aufgekauft für riesige Summen – jedenfalls für die Halbleiterbranche. Sinn bekommt dieser massive Konzentrationsprozess dann, wenn man Entwicklungen bei autonomen Fahrzeugen und dem „Internet der Entitäten“ mit beeinflussen will.
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Die nächste Milliardenübernahme im Halbleitersektor steht bereits ins Haus. Intel will den FPGA-Marktführer (Field-Programmable Gate Arrays) Altera für 16,7 Milliarden übernehmen, der bisher größte Zukauf in der Unternehmensgeschichte des US-Konzerns.
Nach Angaben von Intel soll die Akquisition in den kommenden neun Monaten abgeschlossen sein. Dass Intel die Übernahme von Altera betreibt, war in Fachkreisen Ende März bekannt geworden, nachdem US-Medien über den geplanten Deal berichtet hatten.
Bemerkenswert sind die Summen, die rund um den Erdball im Halbleitermarkt bewegt werden. Erst eine Woche vor dem Intel-Deal war der bisher größte Coup in der Halbleiterbranche bekannt geworden. Der Halbleiterhersteller Avago Technologies aus Singapur übernimmt den US-WLAN-Spezialisten Broadcom für 37 Milliarden US-Dollar. Das übrigens, nachdem in Insiderkreisen lange darüber spekuliert worden war, dass Intel sich den WLAN-Markführer einverleibt.
Boomende Halbleiterindustrie
Im Vergleich schwächelnden PC-Markt, der Intel in seinem Kerngeschäft mit rund 80 Prozent Marktanteil bei PC-Prozessoren und Chipsätzen ganz besonders zusetzt – Intel baut z. B. seit Jahren massiv Stellen ab, zuletzt 2014 nach einem enttäuschenden Gesamtergebnis 2013 – wächst der Halbleitermarkt unaufhörlich, woran unter anderem Smartphones/Tablets, Elektrofahrzeuge, Smartwatches, Infotainment-Technologie im KFZ und die Anforderungen des Internet of Things ihren Anteil haben. So steht der globale Halbleitermarkt in den kommenden fünf Jahren vor einem weiteren Boom. Derzeit steigen die Branchenumsätze weltweit um 5,2 Prozent pro Jahr und sollen 2019 der PWC-Studie „The Internet of Things: the next growth engine for the semiconductor industry“ nach bei 432 Milliarden US-Dollar weltweit liegen.
Intel und Altera
Die Verhandlungen zwischen Intel und Altera hatten sich mehrere Monate hingezogen und waren Anfang April zunächst gescheitert. Seinerzeit war den Verantwortlichen bei Altera Intels Angebot von 54 US-Dollar pro Altera-Aktie (zu einem Zeitpunkt, als der Aktienkurs bei rund 35 US-Dollar lag) nicht hoch genug. Seit dem 1. Mai lag aber bereits in der der Luft, dass die Übernahmeschlacht eine neue Wendung nehmen könnte und Intel laut einer Meldung auf Reuters unter Berufung auf Insider ab dem 1. Juni eine feindliche Übernahme versuchen würde. Zwar ist Intel mit seinen SSD-Produkten inzwischen auch im Storage-Sektor sehr erfolgreich, im Halbleitermarkt ist aber offenbar Wachstum das Gebot der Stunde. Während sich Intel mit Broadcoms Kauf Konkurrenz ins eigene Portfolio geholt hätte, überschneidet sich das Portfolio mit Altera nicht, weshalb auch die US-Aufsichtsbehörden dem Deal zustimmen dürften. Das versetzt Intel mit der Fertigung von FPGAs und SoCs in die Lage, auch in den momentan zukunftsfähigeren Segmenten der Halbleiterbranche mitzumischen.
Avago und Broadcom
Erst Ende Mai war die bisher größte Übernahme in der Halbleiterindustrie bekannt geworden. Die Übernahme des Marktführers für WLAN-Chips Broadcom durch den in Singapur ansässigen Chiphersteller Avago Technologies für 37 Milliarden US-Dollar verläuft allerdings einvernehmlich. Nur ein Teil des Kaufpreises soll den Pressemitteilungen beider Unternehmen nach in bar fließen; 20 Milliarden US-Dollar dagegen durch Aktientausch. Sogar der Name des kleineren US-Traditionsherstellers, dessen Chips nach Angabe des Unternehmens 99,98 Prozent des weltweiten WLAN-Traffics verarbeiten, soll für die neue Gesamtgesellschaft mit einem Kapitalwert von 77 Milliarden US-Dollar erhalten bleiben. Die ist auch für Storage- und PC-Hersteller nicht unerheblich, die Broadcom-Chips verbauen. Und das sind nahezu alle.
Infineon und International Rectifier
Ebenfalls noch nicht lange her ist, dass der DAX-Konzern Infineon das US-Unternehmen International Rectifier für rund drei Milliarden US-Dollar geschluckt hat. Die Münchener Konzernleitung erhofft sich von dem Deal einen besseren Zugang zum US-amerikanischen und asiatischen Markt.
Die Rechnung scheint aufzugehen, nachdem die anhaltende Euro-Schwäche und anhaltende starke Nachfrage den operativen Gewinn von Infineon soweit gepusht hatten, dass der Dax-Konzern die Prognose für das Geschäftsjahr nach oben korrigieren musste.
NXP, Freescale und der IoT-Markt
Dass die Chip-Branche in Bewegung ist, zeigt sich auch an der 16,7 Milliarden US-Dollar schweren Übernahme des texanischen Halbleiterkonzerns Freescale, ehemals ein Teil des US-Smartphone-Herstellers Motorola, durch den niederländischen Chiphersteller NXP, der ein direkter Infineon-Konkurrent ist.
Freescale ist im Jahr 2004 aus einer Abspaltung von Motorola hervorgegangen. Mehrheitliche Eigentümer sind derzeit Finanzinvestoren. NXP ist vor allem für seine NFC-Funkchips bekannt, die unter anderem bei kontaktlosen Bezahlsystemen oder Zugangskarten verwendet werden. Freescale dagegen ist auf Sensoren und Chips spezialisiert, die in Maschinen und Alltagsgeräten zu finden sind, wie z. B. In Amazons E-Book-Reader Kindle.
Erst Ende vergangenen Jahres konnten die Niederländer einen wegweisenden Vertrag mit Delphi, einem der weltweit größten Autozulieferer abschließen. Delphi will nicht nur dafür sorgen, dass Autos künftig miteinander reden, sondern auch mit Ampeln, Geschwindigkeitsanzeigen oder Baustellen. Das ist Voraussetzung für den Betrieb autonomer Fahrzeuge auf unseren Straßen.
Handfeste Verschiebungen im Ranking
Die frühere Philips-Tochter, ein direkter Infineon-Konkurrent, zahlt für die Übernahme je Freescale-Aktie 6,25 Dollar in bar (rund eine Milliarde US-Dollar) aus den „Barreserven“ und legt noch 115 Millionen eigene Aktien oben drauf.
Das Gesamtvolumen der Übernahme von 16,7 Milliarden US-Dollar kommt zustande, weil der US-Konzern mit knapp fünf Milliarden Dollar verschuldet ist. Die bisherigen Freescale-Aktionäre sollen nach Angaben beider Unternehmen nach Abschluss der Übernahme im Besitz von rund ein Drittel des neuen Unternehmen sein.
Beide Halbleiter-Spezialisten zusammen bringen einen Jahresumsatz von rund zehn Milliarden US-Dollar auf die Waage. Der neue gemeinsame Unternehmenswert wird von Analysten mit rund 40 Milliarden US-Dollar beziffert.
Durch die Übernahme entsteht einer Einschätzung der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge der weltweit achtgrößte Chiphersteller. Im Bereich Chips für Autos, sogar der Größte. Der deutsche KFZ-Zulieferer Continental ist größter Kunde von Freescale.
Autoindustrie wird zum Schrittmacher für IoT
Wie schnell sich das Business weiter entwickelt, hängt aber nicht nur von den Autoherstellern ab. Was die USA betrifft, prüft die Washingtoner Behörde National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA), ob Autos sogar mit solchen Chips ausgestattet werden müssen.
Das käme sowohl für die Autosparte von NXP, als auch für den Münchener Wettbewerber Infineon einem Hauptgewinn gleich. Delphi hat seinerseits mit General Motors bereits einen ersten Kunden, der noch in 2016 mit Chips für das vernetzte Auto in die Massenproduktion gehen und seine Konzernmarke Cadillac ab 2017 damit ausrüsten will.
Laut US-Verkehrsminister Anthony Foxx bestand das bisherige Ziel intelligenter Elektronik im Auto nur darin, dass Menschen Unfälle überleben; die neue Technologie erlaubt dagegen das Vermeiden von Unfällen.
Konsolidierungsdruck
Die Beispiele zeigen, dass Chiphersteller derzeit massiv bestrebt sind, sich durch Zukäufe Know How zu verschaffen, nicht zuletzt um für den IoT-Markt vorbereitet zu sein und dieses Feld nicht anderen zu überlassen. Dieser Markt könnte ab 2016 umsatztechnisch erhebliche Zuwächse generieren.
Schon seit Jahren lässt sich beobachten, dass früher sauber getrennte Bereiche bei den Chipherstellern zusammenwachsen. An der Börse spricht man von „Konsolidierungsdruck“, wobei offenbar schiere Größe die Überlebenschancen steigert, denn in der Chipfertigung sind die Entwicklungskosten enorm. Ein „leading-edge design“ kann schnell zwischen 150 und 200 Millionen US-Dollar verschlingen.
Bemerkenswert ist deshalb, wie sich NXP und Infineon durch intelligente Zuläufe im sonst mehrheitlich von US-Unternehmen dominierten Markt der 20 umsatzstärksten Chiphersteller der Welt behaupten. Nach Ansicht von Analysten stehen noch weitere Übernahmen an, wenngleich die Geschwindigkeit der Konsolidierung vorerst ihren Höhepunkt erreicht hat.
Industrie 4.0 und IoT
Die Summen, die dabei im Spiel sind, sprengen die bekannten Dimension, wobei allerdings wie schon in der Softwareindustrie zu beobachten ist, dass hinter vielen altehrwürdigen Unternehmen heute globale Finanzinvestoren operieren.
Dies gilt ebenso für die wichtigsten Softwareherstellern im Bereich Big Data und Analytics, die im Kontext von Industrie 4.0 und den sich abzeichnenden revolutionären Umwälzungen durch das Internet der Dinge untrennbar mit den neuen Chip-Technologien verbunden sind.
Klassische Halbleiterhersteller wie Intel und AMD müssen aufpassen, den Anschluss nicht zu verlieren, was die aggressiven Bemühungen z. B. von Intel erklärt. Gewöhnliche Prozessoren und Chips für PC-Systeme verlieren zunehmend an Bedeutung.
Commodity-Hardware dient in diesem Zusammenhang vorrangig als Vehikel für verteilte Big-Data-Infrastrukturen. Innovation dagegen passiert bei der Software zur Bereitstellung von Big Data und der im Hintergrund stattfindenden Analyse, sowie bei den Geräten, welche die Datenströme für das IoT liefern.
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