Kommentar von Dr. Andreas Wierse, Sicos BW Auch KMU können Industrie 4.0

Autor / Redakteur: Dr. Andreas Wierse / Nico Litzel |

Es gibt sie immer häufiger: Beispiele, wie auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Big- bzw. Smart-Data-Technologien gewinnbringend einsetzen. Trotzdem trauen sich viele kleine und mittlere Unternehmen immer noch nicht an die Materie heran; dabei fehlt oft nur ein Schubs in die richtige Richtung.

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Der Autor: Dr. Andreas Wierse ist Geschäftsführer der Sicos BW GmbH
Der Autor: Dr. Andreas Wierse ist Geschäftsführer der Sicos BW GmbH
(Bild: Wolfram Scheible)

War Industrie 4.0 anfangs nur ein eher schwammiges Schlagwort, um die Digitalisierung in die Industrie zu bringen, gibt es mittlerweile viele konkrete und erfolgreiche Umsetzungsbeispiele – auch aus dem KMU-Umfeld. Letztlich geht es dabei immer um die intelligente Nutzung und Vernetzung von Unternehmensdaten, um Prozessverbesserungen zu erreichen und eine gute Wettbewerbssituation zu sichern. Das allgegenwärtige Buzzword „Big Data“ suggeriert in diesem Zusammenhang, dass hierfür eine sehr große Menge von Daten vorhanden sein muss. Tatsächlich können aber auch viele kleine Datenmengen in Kombination mit weiteren externen Daten bzw. Informationen für Unternehmen nützlich sein.

Prozessverbesserungen erreichen

Wichtig ist, dass die Daten eine gewisse Qualität und Varianz aufweisen. Kann man bei ihrer Analyse Muster oder Verbindungen erkennen, geben sie oft wertvolle Hinweise für mögliche Prozessverbesserungen. So geht es bei „Smart Data“ nicht nur um die Einbeziehung der mittels der IT erfassten Datenmengen (wie z. B. von Maschinen-Sensoren), sondern auch um die Zusammenführung mit weiteren Informationen – wie beispielsweise die Erfahrungswerte von Technikern oder die Beschaffenheit der Materialien. Derart clever genutzt, gewinnen auch mittelständische Betriebe aus ihren Daten wertvolle Erkenntnisse.

Paradebeispiel hierfür ist die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance). Damit lassen sich Wartungszeiten von Maschinen vorbeugend planen und Störungen minimieren; bestenfalls lassen sich diese vorhersagen, bevor es zu Ausfällen kommt. Aber auch wenn diese Vorteile der vorausschauenden Wartung längst bekannt sind, tun sich gerade KMU bei der Beurteilung, ob, wann und wie Big/Smart-Data-Anwendungen wie Predictive Maintenance für sie lohnend sind, verständlicherweise noch immer schwer. Darüber hinaus mangelt es vielen Unternehmen dieser Größenordnung an den finanziellen Mitteln oder der fachlichen Expertise, um Smart-Data-Projekte durchzuführen.

Mit Hilfestellung starten

Mittlerweile gibt es bundesweit einige Anlaufstellen (wie Initiativen, Förderprogramme oder Kompetenzzentren), die ihnen zur Seite stehen. So bietet beispielsweise das Smart Data Solution Center Baden Württemberg (SDSC-BW) (Stuttgart) seit 2014 unter Federführung der Stuttgarter Sicos BW GmbH und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) eine neutrale und unabhängige Smart-Data-Beratung für KMU. Finanziell unterstützt wird es dabei durch das baden-württembergische Landesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Mittels einer kostenlosen Potenzialanalyse beurteilen die Experten des SDSC-BW, ob sich die Aufbereitung, Analyse und Auswertung vorhandener Daten für ratsuchende Unternehmen lohnen. Falls ja, beraten die Experten zur Projektrealisation und geben auch Starthilfe bei der Umsetzung.

Erfolgreiche Projektbeispiele des SDSC-BW gibt es viele – aus den unterschiedlichsten Bereichen. Zwei davon wurden mit der Erdrich Umformtechnik GmbH und der Fuchs Schmierstoffe GmbH umgesetzt.

Projektbeispiel Erdrich Umformtechnik

Die Erdrich Umformtechnik GmbH mit Sitz im badischen Renchen-Ulm ist ein familiengeführtes Unternehmen, das seit mehr als 55 Jahren weltweit Brems-, Fahrwerks- und Antriebsteile für die Automobilindustrie liefert. Die qualitativ hochwertige und planmäßige Produktion einer großen Menge von Bauteilen ist ein komplexer Prozess, der aus unterschiedlichen Einzelschritten besteht. Verzögert sich einer dieser Schritte, muss der Zeitverlust an anderer Stelle kompensiert werden, um den Plan einhalten zu können.

Da die Plandaten, die vor Beginn einer Produktion zur Verfügung stehen, stark begrenzt sind, stoßen klassische Business Intelligence (BI) Tools hier an ihre Grenzen. Das Ziel des Projekts mit dem SDSC-BW war, diese Datenmenge mit Smart-Data-Technologien intelligent anzureichern und auszuwerten. Die Potenzialanalyse des Teams startete mit der Suche nach möglichen Einflussfaktoren für eine Planungsverzögerung.

Schnell stellte sich heraus, dass bestimmte Maschinenarbeitsplätze und Komponentenkombinationen besonders häufig zu einer Planabweichung führen. Die Analyse warf dabei die Frage auf, ob der bisher genutzte Planungsansatz flexibel genug auf die sich ständig verändernden Maschinenkonditionen reagieren kann. Die Experten des SDSC-BW erweiterten daraufhin ihre Zielstellung auf die Erprobung einer dynamischen Planung. Sie reicherten dafür den vorhandenen Datensatz mit weiteren Informationen aus historischen Produktionsdaten an.

Neben wichtigen Einflussgrößen, die häufig zur Verzögerung bei der Produktion führen, konnte das Projektteam verschiedene Verarbeitungsketten identifizieren, mit denen die zeitliche Abschätzung der Produktion verbessert werden kann. Dabei evaluierte es eine Reihe leistungsfähiger und moderner Algorithmen sowie Vorverarbeitungsschritte. Neben der Bestimmung der typischen statistischen Fehlermaße wurden die Ergebnisse auch als Kostendifferenzen zum ursprünglichen Planmodell sowie einem sehr einfachen Basis-Modell (Mittelwertschätzer) evaluiert. Erdrich erfuhr auf diese Weise, dass sich die Produktionskosten durch die verbesserte Produktionszeitschätzung genauer voraussagen lassen.

Projektbeispiel Fuchs Schmierstoffe

Die Fuchs Schmierstoffe GmbH mit Sitz in Mannheim entwickelt, produziert und vertreibt hochwertige Schmierstoffe und verwandte Spezialitäten – für nahezu alle Anwendungsbereiche und Branchen. Die Produktion von chemischen Produkten mit höchstem Qualitätsanspruch ist ein komplexer Prozess, bei dem viele Faktoren zu berücksichtigen sind. Um die gewünschte Qualität zu erreichen, muss dieser Prozess an verschiedenen Stellen überwacht und kontrolliert werden. Dazu gehören neben den Arbeitsschritten auch die einzelnen Inhaltsstoffe und Arbeitsmittel.

Eine übergreifende Analyse dieser Daten ist oft kompliziert, da sich die Daten in unterschiedlichen Systemen verstecken und in den Formaten stark variieren. Möchte man nach unbekannten Korrelationen Ausschau halten, helfen traditionelle BI-Lösungen meist nicht weiter. Aufgabe der Analysten vom SDSC-BW war es, den Produktionsprozess mit modernen Smart-Data-Technologien zu durchleuchten und nach diesen unbekannten Korrelationen zu suchen – mit dem Ziel, Optimierungspotenziale aufzuspüren.

Fuchs bestimmt die Beschaffenheit seiner Schmieröle mit sehr sensitiven Tests. Für die ausgewählten Produkte wollte das Unternehmen die datenseitige Abbildung des gesamten Produktionsprozesses mit neuem und vor allem neutralem Blick betrachten. Die Experten von Fuchs interessierten drei Faktoren: der Produktionsprozess der Schmierstoffe, die Güte der verwendeten Materialien sowie die jeweilige Produktionskonfiguration. In der vom SDSC-BW durchgeführten Potenzialanalyse untersuchten die Analysten jeden dieser Aspekte unter der Fragestellung: Was genau beeinflusst die Eigenschaften der Produkte?

Da für die Analyse der verdächtigten Faktoren unterschiedliche Ausgangsdaten aus PLS und ERP benötigt wurden, entwickelte das SDSC-BW-Team eine entsprechende Vorverarbeitung. Als Zielgröße wurden die wesentlichen Tests in drei Qualitätsstufen unterschieden und aggregiert. Dies legte einen Zusammenhang zwischen Material- und Produktqualität nahe. Die Anwendung von Smart-Data-Methoden (z. B. sogenannter Entscheidungsbäume, die automatisch Wenn-Dann-Regeln erzeugen) konnte dies bei einem Produkt tatsächlich belegen. Darüber hinaus offenbarten sie weitere Zusammenhänge in der Dauer spezifischer Produktionsschritte. Eine andere Erkenntnis: Die spezifische Produktionskonfiguration (z. B. die Batchgröße) scheint keinen Einfluss auf die Eigenschaften der Produkte auszuüben.

Die Ergebnisse der Analyse bieten Fuchs einen neuen Ansatzpunkt für die Optimierung der Produktionsprozesse. Es zeigte sich, dass die aufgezeigten Zusammenhänge auch aus der Perspektive der Produktionschemiker sinnvoll sind.

Zukunftschancen wahrnehmen

Beispiele wie diese zeigen, dass sich der Weg in die Smart-Data-Welt lohnen kann – gerade auch für KMU; sie müssen lediglich den richtigen Einstieg finden. Denn die Auswahl der geeigneten Werkzeuge und insbesondere auch der richtigen Partner ist entscheidend für erfolgreiche Analysen. Und damit diese tatsächlich hilfreiche Ergebnisse zu Tage fördern, sollte eine gewisse Skepsis gegenüber gewonnenen Erkenntnissen niemals fehlen.

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