Fraunhofer-Gesellschaft „Amerikaner haben die besseren Algorithmen“
Wie wichtig sind der Einsatz von KI und IoT im Rahmen der Digitalisierung für die deutsche Wirtschaft? Wo liegen Stärken, wo Schwächen? Was muss auf diesen Gebieten geschehen, damit sich Deutschland auf diesen Gebieten international vorn halten kann? Dazu referierte der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Prof. Dr. Reimund Neugebauer, vor Journalisten in München.
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Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD und seine digitalisierungsbezogenen Inhalte dienten dem Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft (FHG) Prof. Dr. Reimund Neugebauer als Anlass, um die deutsche Rolle und die Rolle der FHG in der Welt bei den Digitalisierungstechnologien zu diskutieren. Eine besondere Rolle spielen dabei die Themen KI und IoT.
Weltweit hatte der globale Smart-Manufacturing-Markt nach Daten von Marketsandmarkets laut Neugebauer 2016 ein Volumen von 45,6 Milliarden US-Dollar. Bis 2022 soll er auf 74,8 Milliarden Dollar anwachsen. Hardwarevoraussetzung dieser Entwicklung ist eine Flut kostengünstiger Sensoren allerorten, die permanent unvorstellbare Datenmassen erzeugen. „Bosch bietet Technologien an, bei denen in einem Sensornetz zwei Millionen Sensoren kommunizieren und interagieren können“, berichtete Neugebauer.
Nach den Analysen, die Neugebauer präsentierte, sei Deutschlands besondere Stärke die Integration von industrieller Produktion und wissens- beziehungsweise datengetriebener Dienstleistung. Speziell die Hidden Champions, mittelständische Weltmarktführer bei Spezialtechnologien, lägen schon heute weltweit vorn, wenn es darum gehe, eigene Produkte digital anzureichern oder zu transformieren.
Die Motoren intelligenter Produktionsweisen
Zu den Motoren intelligenter Produktionsweisen gehören Analysetechnologien, verzögerungsarme Datentransporttechnologien, maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz. „Heute entstehen Algorithmen, die in Daten Muster erkennen und selbstständig neue Algorithmen schreiben, die dann Schlüsse aus diesen Mustern ziehen und so aus Daten Informationen machen“, erklärte Neugebauer. Dabei sei Deutschland in der Anwendung solcher Technologien gut, in der Entwicklung aber schlecht. So gebe es in Deutschland letztlich nur an den Fraunhofer- und den Max-Planck-Instituten einige wenige Wissenschaftler, die weltweit anerkannt in der Entwicklung solcher Meta-Algorithmen seien.
Forschungsschwerpunkt maschinelles Lernen
Ein besonders wichtiges Thema ist für die Fraunhofer-Institute das maschinelle Lernen. Fraunhofer-Forschungsschwerpunkte aus diesem Themenbereich sind die Integration von Expertenwissen in die Systeme, Lernvorgänge bei geringen Datenmengen, Transparenz, Sicherheit und Nachvollziehbarkeit, spezielles Maschinenlernen für Industrie 4.0 sowie die Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen. So entwickele man inzwischen Algorithmen, die prüfen sollten, ob andere Analysealgorithmen sinnvoll analysieren und zu akzeptablen Ergebnissen kommen.
Zudem sollen Roboter eine sensuelle Ausrüstung bekommen. „Wir bewegen uns darauf zu, dass Roboter auch sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen“, berichtet Neugebauer. Heute müssten in Produktionsprozessen Menschen räumlich aus der Reichweiten von Robotern ferngehalten werden. Sonst gebe es das Risiko von Unfällen dadurch, dass der Roboter Menschen nicht von anderen Komponenten seiner Umgebung unterscheiden könne.
Ziel seien kognitive Maschinen. Solche Maschinen entwickeln aus multimodalen, also auch sensuellen Beispieldaten selbsttätig Modelle, wenden diese auf neu Daten an und generieren Lösungswege oder sinnvolle Ergebnisse, ohne explizit dafür programmiert worden zu sein.
Internationale Kooperation – notwendig, aber schwierig
Bei der Umsetzung seiner KI-Pläne baue Deutschland auch auf eine Kooperation mit Frankreich. Zwischen beiden Ländern laufen Konsultationen. Geplant ist ein gemeinsames Netzwerk. Im Detail unterscheiden sich laut Neugebauer aber die Ansichten der beiden Länder bezüglich dieses Plans: „Frankreich möchte dafür vor allem EU-Geld einsetzen, Deutschland eher nationale Mittel.“
Deutschland für sich baut eine Nationale Plattform Lernende Systeme auf und hat ein nationales Forschungskonsortium für KI und Maschinelles Lernen etabliert. Zwei neue Fraunhofer-Institute entstehen: einmal eins zum Thema KI, ein anderes für kognitive Robotik. Dazu kommt ein Cluster for Excellence auf dem Themengebiet „Kognitive Interaktionstechnologien“ (CITEC), der an der Universität Bielefeld angesiedelt ist.
In jedem Fall müsse man sich beeilen, denn inzwischen entwickelten viele Länder nationale KI-Pläne. China beispielsweise habe gar den Plan ausgegeben, bis 2045 die weltweit führende Produktionsnation zu sein. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate verfügen seit Oktober 2017 über eine KI-Strategie.
Biologische Produktion
Große Hoffnungen setzt Neugebauer auf ein datengetriebenes tieferes Verständnis biologischer Prozesse und Strukturen. Dies beziehe sich auf Prozesse, Prinzipien und Ressourcen. Beispielsweise könne man mithilfe geeigneter Algorithmen zur Analyse des Schwarmverhaltens von Ameisen oder Fischen neue Methoden entwickeln, nach denen sich der optimale Weg finden lässt – eine gängige logistische Aufgabe. Bionische Strukturen könnten, richtig analysiert und verstanden, leichtere, aber trotzdem robuste Maschinendesigns ermöglichen, die Energie und Material einsparen.
Der Fraunhofer-Chef zeigte sich überzeugt davon, dass sich KI im Fertigungsbereich schnell durchsetzen werde. „Die Daten sind da, nun wird man sie auch nutzen wollen“, sagte er. Allerdings sei längst nicht alles KI, was auf Messen oder anderenorts als solche verkauft werde. Dafür sei erforderlich, dass ein System analytische Fähigkeiten besitze, Situationen selbsttätig erfasse und auf sie flexibel reagiere.
Von der Annahme mancher IT-Wissenschaftler, dass Roboter oder KI-Maschinen den Menschen bald überflügeln und damit obsolet machen würden, hält Neugebauer nichts. „In jedem menschlichen Hirn sind 100 Milliarden Neuronen verschaltet und interagieren. In der KI sind wir bei knapp zehn Prozent davon.“ Zudem sei man weit davon entfernt, dass Computer ein Bewusstsein ihrer selbst entwickeln könnten. „Algorithmen reagieren auch heute noch ganz einfach auf Merkmale“, sagte Neugebauer.
Wegen des IoT die Netzneutralität verabschieden?
Damit Deutschland in der Entwicklung von Maschinellem Lernen und KI vorankomme, müssten bessere Voraussetzungen geschaffen werden, betonte er schließlich. Es fehle hier etwa an ausreichend hohen Investitionen. Diese würden in den USA von Privaten gestemmt. Die personellen Ressourcen wiederum seien in China mit seinen vielen Menschen schlicht besser. „Schon vor fünf oder sechs Jahren gab es in China mehr Absolventen englischsprachiger ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge als in den USA selbst“, sagte Neugebauer. Verändern müsse sich in Deutschland vor allem etwas bei der Datenerfassung: Man brauche schlicht Zugang zu sehr viel mehr Daten. Andere Länder seien hier, beispielsweise im Gesundheitsbereich, schon sehr viel weiter. Auch im Auto steckten zahlreiche Sensoren, die heute kaum genutzt würden.
Schließlich müsse man sich dank IoT und Edge Computing an den Gedanken der Datenselektion gewöhnen: Heute würden alle Daten unterschiedslos mit derselben Geschwindigkeit befördert, dabei könne es im Zeitalter von IoT und Digitalisierung nicht bleiben. „In Zukunft werden Daten je nach Notwendigkeit mit verschiedener Geschwindigkeit befördert werden“, prognostizierte Neugebauer.
Die Befürchtung, KI werde massenweise Arbeitsplätze vernichten, teilt Neugebauer nicht. Freilich werde es Unruhe und Umschichtungen geben. Es gelte aber in Hinblick auf die globale Konkurrenzsituation zu verhindern, dass Deutschland weitere Produktionsarbeitsplätze an Länder verliere, die beherzter zur modernen Technologie griffen und deshalb billiger erzeugten. Auch deutsche Konsumenten würden nämlich meist zu den günstigeren Produkten greifen, selbst wenn das im Zweifel die eigenen Arbeitsplätze koste. „Unser Ansatz deshalb, Technologien wie KI und maschinelles Lernen zu nutzen, die Produktion aber nicht voll autonom zu machen, sondern Menschen überall dort bewusst einzubinden, wo das sinnvoll ist.“ Dabei würden nicht nur Programmierer-Arbeitsplätze entstehen, sondern möglicherweise ganz neue Arbeit, die man sich heute einfach noch nicht vorstellen könne und Produkte, die man noch nicht kennt.
Schließlich ging Neugebauer noch auf die durch den Facebook-Skandal weiter forcierte Diskussion um besseren Datenschutz ein. „Die stärkste Macht ist noch immer die Macht der Nutzer, die heute die kostenlosen Dienste anwenden. Es aber gibt nichts, was nichts kostet – kostenlose Dienste bezahlen wir mit unseren Daten. Anscheinend ist hier die Schmerzgrenze noch nicht erreicht, doch das wird kommen.“
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